Anwar al-Awlaki:Der bin Laden des Internets

Der islamistische Prediger Anwar al-Awlaki nutzt das Netz, um zur Gewalt aufzurufen und Attentäter zu motivieren. Der Westen tut sich schwer damit, ihm Einhalt zu gebieten.

Janek Schmidt

Die Stimme klingt bedächtig und verrät wenig von der todbringenden Gewalt, die sie schürt. Dabei spricht der Prediger Anwar al-Awlaki nicht nur in Moscheen, um Islamisten zu inspirieren.

A still image of a video shows U.S.-born cleric Anwar al-Awlaki

Der umstrittene Prediger Anwar Al-Awlaki nutzt erfolgreich das Internet, um seine islamistischen Botschaften zu verbreiten.

(Foto: REUTERS)

Vor allem nutzt der in den USA aufgewachsene Jemenit so geschickt die neuen Medien wie kaum ein anderer Islamist. So schrieb er mehrere E-Mails an den amerikanischen Armee-Major Nidal Malik Hasan, bevor dieser im vergangenen Jahr 13 Soldaten auf einer US-Militärbasis in Texas erschoss.

Zudem motivierten Awlakis Videos und Tonbandaufnahmen in fließendem Englisch und Arabisch Attentäter, wie den amerikanisch-pakistanischen Autobomber vom Times Square, Faisal Shahzad. Und auch im englischsprachigen Al-Qaida-Magazin Inspire tritt Awlaki in der jüngsten Ausgabe vom Oktober prominent auf.

Mit dieser Medienpräsenz hat der im Jemen lebende Prediger einen solchen Einfluss erreicht, dass Abdul Rahman al-Rashed, Chef des Fernsehsenders al-Arabiya, zu dem Schluss kommt: "Er ist der bin Laden des Internets."

Auch die amerikanische Regierung hat Awlakis Gefährlichkeit erkannt und setzte ihn im Frühjahr als ersten US-Bürger jemals auf eine Tötungsliste der CIA. Als Sicherheitsbehörden im Oktober Paketbomben in Flugzeugen aus dem Jemen fanden, vermuteten sie Awlakis Einfluss dahinter und beschlossen, auch im Internet verstärkt gegen den Prediger vorzugehen.

Vorträge auf Facebook

Dort hatte Awlaki einen guten Start. Zunächst setzte er eine eigene Facebook-Seite auf, über die Hunderte Fans seine Vorträge verfolgten. Zugleich gründeten seine Anhänger eigene Gruppen auf sozialen Netzwerkseiten wie Facebook und MySpace, in denen sie Schriften, Tonbandaufnahmen und Videos des Predigers verbreiteten.

Zudem betrieb Awlaki eine modern gestaltete Webseite. Dort nutzte der Prediger nach Einschätzung des Terror-Forschers Jack Barclay vor allem seine persönlichen Erfahrungen aus mehrjährigen Aufenthalten in den USA, um Sehnsüchte und Wissensdurst westlicher Muslime anzusprechen.

Barclays Auswertung von englischsprachigen Islamisten-Seiten und Foren ergab, dass Awlakis Vorträge zu harmlosen Themen - wie etwa den Gefährten des Propheten - besonders beliebt sind. "Awlakis Kritiker halten das für eine gezielte Taktik", sagt Barclay, "erst versucht er, die größtmögliche Bandbreite möglicher Unterstützer mit allgemeinen Themen anzusprechen, bevor er auf Weltpolitik und Dschihad zu sprechen kommt."

Um so eine Rekrutierung von Gotteskriegern zu stoppen, konzentrierten sich die amerikanischen Behörden zunächst auf Awlakis eigene Webseite. 2009 hatte er dort ein Lob für den Amokläufer vom Armeestützpunkt in Texas verfasst und ihn als "Held" bezeichnet.

Flucht zu YouTube

Noch am selben Tag veröffentlichte das Middle East Media Research Institute - eine amerikanische Organisation, die islamische Medien beobachtet und auswertet - die Registrierungsdetails von Awlakis Webseite. Diese wurde daraufhin umgehend abgeschaltet.

Auf die Internetsperre reagierte der Prediger wie viele Terrorgruppen: Er wich auf das weltgrößte Video-Portal YouTube aus. Diese Webseite wird von der Softwarefirma Google betrieben und ist mit ihrer Reichweite und Beliebtheit vor pauschalem Abschalten sicher.

Nach Einschätzung des Terror- Experten Evan Kohlmann gibt es noch einen zweiten Grund, warum auch Gruppen wie die Taliban YouTube nutzen und dort sogar Kanäle für die Sammlung ihrer Filme einrichten: Mit zunehmender technischer Qualität verbrauchen die hochauflösenden Videos zu viel Speicherplatz auf den Servern der Terroristen.

5000 Treffer - trotz Sperre

Um die Lieblingsseite vieler Jugendlicher vor Terror-Propaganda zu schützen, intervenierten nun britische und amerikanische Sicherheitsbehörden bei den Betreibern von YouTube. Doch der Aufforderung, Videos des Predigers Awlaki gezielt zu sperren, kamen die Betreiber nur teilweise nach. Zwar sind einige Filme mit offener Terror-Propaganda nicht mehr auf dem Portal zu sehen. Doch andere Clips mit zurückhaltenderen Aussagen bleiben zugänglich. Noch an diesem Montag ergab eine YouTube-Suche für "Awlaki" mehr als 5000 Ergebnisse.

Viele Terror-Bekämpfer halten eine Blockade aller Videos von Awlaki für politisch und vor allem technisch unmöglich. Auch Kommunikationsexperte Barclay meint, dass der effektivste Widerstand gegen den Hassprediger in Vorträgen anderer islamischer Theologen bestehe. Zu sehen gibt es auch die auf YouTube - auf dem speziell eingerichteten Kanal Refutationofawlaki. Übersetzt: die Widerlegung von Awlaki.

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