Wikileaks: Die Quelle:Bradley Manning, der verratene Verräter

Wikileaks hat die veröffentlichten Geheimdaten offenbar von Bradley Manning erhalten. Der junge US-Soldat teilte sich einem bekannten Hacker mit - und der verriet den Verräter an die US-Behörden.

Oliver Das Gupta

Adrian Lamo weiß, wie man in die Schlagzeilen kommt. Der Amerikaner mit kolumbianischen Wurzeln brach Anfang des Jahrhunderts in das Computersystem der New York Times ein, bei Yahoo und Microsoft. Lamo hat für seine Straftaten im Cyberspace viel Geld zahlen müssen und sah Gefängniszellen von innen. Das läutert.

Bradley Manning

Leitete offenbar vertrauliche US-Dokumente in großer Zahl an Wikileaks weiter: Soldat Bradley Manning

(Foto: AP)

Später trat er im Fernsehen auf und auf Kongressen, zuletzt spielte er sich selbst in einem bislang unveröffentlichten Film, den Oscar-Preisträger Kevin Spacey produzierte. Adrian Lamo war prominent geworden, keine kolossale Berühmtheit, aber ein schwach leuchtender Stern am Hacker-Himmel.

Bis er Bradley Manning verriet - den Mann, von dem Wikileaks offenbar Abertausende als geheim eingestufte Dokumente erhalten hat, die in mehreren Tranchen veröffentlicht wurden. Persönlich haben sich Lamo und der Soldat Manning nie kennengelernt. Und doch haben sie ihre Leben wechselseitig nachhaltig verändert.

Die Geschichte beginnt am 22. Mai filmreif: Der namhafte Hacker wird offenbar von Manning, dem unbekannten IT-Spezialisten im Rang eines Obergefreiten, kontaktiert. Der Soldat befindet sich gerade auf der Militärbasis Hammer im Irak.

Ihr Kontakt besteht allein in Internet-Chats, in denen sich die beiden jungen Männer über die höchst brisanten Staatsgeheimnisse unterhalten, auf die Manning zugreifen konnte. Früh brüstet sich Manning damit, welch außergewöhnlichen Möglichkeiten er hat: "Was würdest du tun, wenn du unbegrenzten Zugang zu geheimen Netzwerken hättest, 14 Stunden pro Tag, sieben Tage in der Woche und das für mehr als acht Monate?", fragt der Noname-Gefreite den erfahrenen Hacker.

Etwa fünf Tage läuft die Unterhaltung, ab Tag drei lesen die von Lamo alarmierten US-Staatsschützer mit. Nach fünf Tagen greifen die US-Behörden zu: Am 26. Mai nehmen sie Private First Class Bradley Manning fest.

Über den inzwischen 23 Jahre alten Whistleblower ist nicht sehr viel bekannt. Er soll aus Potomac im Bundestaat Maryland stammen, eine britische Mutter haben und einen amerikanischen Vater.

Nach der Scheidung der Eltern ist er dem Daily Telegraph zufolge in Wales zur Schule gegangen. Im Internet kursieren inzwischen Fotos, die ihn mal in Uniform zeigen, mal in Freizeitkleidung: ein blasser Mann, jung mit kurzen rötlichen Haaren, der breit in die Kamera lacht.

Der Telegraph befragte einige Bekannte und Verwandte zu Manning, sie gaben mitunter ein diffuses Bild: Mal wird er als introvertiert, mal als hitzig beschrieben. Sein Onkel erzählte, wie sehr seine Mutter leidet. "I think the boy did the right thing", fügte er hinzu.

Auf seinem Facebook-Account machte Manning aus seiner Homosexualität keinen Hehl, ein Foto zeigt ihn mit einem selbstgefertigten Plakat, auf dem er Gleichtberechtigung für Schwule fordert - auch auf dem "Schlachtfeld". Liebeskummer habe er um die Jahreswende gehabt, heißt es. Er sei wohl einsam gewesen, erklärte sich Hacker Lamo den Umstand, warum Manning sich ihm anvertraut habe.

Inzwischen sitzt Manning in einer Zelle auf dem Militärstützpunkt Quantico, Virginia. Er wartet auf seinen Prozess. Mittlerweile ist seine Festnahme mehr als 185 Tage her. Erst in Jahrzehnten dürfte Manning wieder in Freiheit sein: 52 Jahre Gefängnis drohen ihm, sollte er in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen werden. Dabei hat er offenbar auch offensichtliche Kriegsverbrechen verraten, als ein Video aus Bagdad zeigte, wie US-Soldaten von einem Hubschrauber aus Passanten erschießen.

Orientierung an humanistischen Werten

Längst gibt es eine Unterstützer-Website für Manning, auf der sein Fall dokumentiert wird. "Einen Helden" nennt ihn die Geistesgröße Noam Chomsky, auch Filmemacher Michael Moore fordert seine Freilassung.

Es zählt zu den Kuriosa dieser Geschichte, dass es inzwischen zahlreiche Zitate von Bradley Manning gibt - allerdings stammen sie allesamt aus dem Chat von Manning mit Lamo: Die virtuellen Protokolle ließ Lamo bei Wired veröffentlichen - nachdem die sensiblen Stellen getilgt worden waren. Nur mehr ein Viertel blieb angeblich übrig.

Es handelt sich also um O-Töne vom Verräter des verratenen Verräters - und deshalb ist nicht sicher, ob die Zitate echt sind. Eingedenk dieses Vorbehalts, lesen sich die Protokolle durchaus plausibel. Gerade, was die Selbstcharakterisierung und die Motivation Mannings angeht, wirken die kolportieren Äußerungen stimmig. Er folge "humanistischen Werten". An anderer Stelle: "Ich möchte, dass die Menschen die Wahrheit sehen, egal, wo sie sind." Bradley Manning klingt wie ein Idealist in Uniform.

Religiös scheint er nicht zu sein: "Ich wurde katholisch aufgezogen", schreibt er einmal, "aber ich habe nie ein Wort davon geglaubt."

"Du gehörst nach Guantanamo"

Manning erzählt Lamo, er habe 260.000 Dokumente des Außenministeriums an Wikileaks weitergeleitet - darunter auch solche, die nun von Wikileaks veröffentlicht werden. Was er erreichen will, erklärt der junge Soldat laut Chatprotokoll in folgenden Sätzen: "Gott (alleine) weiß, was nun passiert. Hoffentlich weltweite Diskussionen, Debatten und Reformen." Wenn nicht, dann sei die Menschheit verdammt. "Ich würde offiziell unsere Gesellschaft aufgeben, falls nichts passieren sollte."

An einer Stelle äußert Manning Selbstzweifel, doch er beruft sich auf eine bereits erfolgte Wikileaks-Enthüllung: Er nennt das Video, auf dem eine US-Hubschrauberbesatzung unbewaffnete Iraker aus der Luft erschießt und das Blutbad hämisch kommentiert. Dem Protokoll zufolge hat Manning auch diesen Film an Julian Assange und seine Leute ausgehändigt.

Wikileaks hatte die Sequenzen im April veröffentlicht und damit enorme Resonanz hervorgerufen. CNN habe "überwältigend" berichtet, Twitter sei "explodiert". Manning: "Menschen, die das sahen, wussten, dass da etwas falsch war."

Lamo fragt den Informanten nach und nach aus: Wie hat er die Daten übertragen? Indem er sie auf CD brannte und sie als Musik-Videos von Lady Gaga deklarierte. Warum hat er das Material nicht an Russland oder China verkauft? "Weil sie in die Öffentlichkeit gehören."

Der Hacker hat möglicherweise einige seiner eigenen Sätze aus dem Protokoll getilgt, zumindest wirkt es so.

Am Ende des dokumentierten Chats schreibt Lamo, Wikileaks könnte "die perfekte Tarnung" für einen ausländischen Geheimdienst sein. "Die veröffentlichen, was für sie nicht verwendbar ist und behalten den Rest." Das Hacker-Medium 2600 Magazine, schrieb dagegen einmal, Wikileaks verkörpere "alles, was der Hacker-Mentalität heilig ist". Andere US-Hacker sprechen davon, die Person, die sensible Informationen Wikileaks zugänglich mache, sei ein ein "nationaler Held".

Lamo sieht das nicht so.

Er wittert Gefahr. Gefahr für Amerika. Er habe um die nationale Sicherheit und das Leben amerikanischer Soldaten gefürchtet, sagt er. Deshalb habe er die Behörden eingeschaltet.

Das Magazin Forbes hat noch eine weitere Erklärung: Demnach ist Lamo ein Mitarbeiter des "Project Vigilant", einer durch die Privatwirtschaft finanzierten Truppe von IT-Spezialisten, die Militärstellen, dem FBI und anderen Geheimdiensten zuarbeiten.

Wie dem auch sei: Adrian Lamo steht dazu, den Soldaten Manning gemeldet zu haben. Der sei sich gar nicht bewusst gewesen, was er verrät, sagte Lamo bei Hackers on Planet Earth (Hope), einer Konferenz, die im Juli in Manhattan stattgefunden hat. Manning habe "wie ein Staubsauger" agiert, beteuerte Lamo auf dem Podium, schließlich habe es sich auch um "Codeworte" und vertrauliche "Informationen über manche unserer Handelspartner" gehandelt.

Jeden Tag Beschimpfungen

Überzeugen konnte er damit kaum jemand: "Wir Hacker sind Internationalisten", bellte ein Konferenzteilnehmer aus Skandinavien als Reaktion auf Lamos patriotische Argumentation. "Du gehörst nach Guantanamo", schallte es aus dem Publikum. Ein anderer rief: "Du hast Verrat begangen!"

Damit hatte Adrian Lamo gerechnet, solche Beschimpfungen liest er jeden Tag auf seiner Facebook-Seite. Auf der Hope-Konferenz wollte er cool wirken und gab schlagfertige Antworten. Wohl war ihm dennoch nicht, das sah man ihm an und das räumte er auch ein. "Ich bedaure die ganze Situation", sagte der gehasste Hacker. Er wünschte sich, Private First Class Manning hätte ihn nie angesprochen.

Eines wollte Lamo aber auch klarstellen: Er habe den Whistleblower nicht in Gewahrsam genommen, sondern jemand anderes: "Bradley Manning wurde von Bradley Manning festgenommen."

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