Annette Schavan über Guttenberg:"Ich schäme mich nicht nur heimlich"

Lange hat sie geschwiegen, nun äußert sich Annette Schavan im SZ-Interview: Die Forschungsministerin rügt Guttenberg wegen der Plagiatsaffäre.

Stefan Braun

Die Plagiatsaffäre um Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat in der Welt der Wissenschaft heftige Kritik ausgelöst. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) zeigt im SZ-Interview Verständnis für den Unmut und verteidigt trotzdem die zweite Chance für den Kollegen.

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Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) bezeichnet wissenschaftliche Integrität als ein hohes Gut und hält die Aberkennung des Doktorgrades bei ihrem Kabinettskollegen Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) für richtig. Andererseits ist sie der Ansicht, dass der Minister Guttenberg eine zweite Chance erhalten und im Amt bleiben sollte.

(Foto: dapd)

SZ: Die weltweit hoch angesehene deutsche Wissenschaftsgemeinde schäumt wegen des Umgangs der Regierung mit der Plagiatsaffäre von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Können Sie das verstehen?

Annette Schavan: Ja, das verstehe ich. Die Art der öffentlichen Debatte hat all jene verletzt, die für hohe Standards der Wissenschaft in Deutschland eintreten und sich in ihrer eigenen Arbeit darum bemühen.

SZ: Nach allem, was man weiß, hat er nachweisbar im großen Stil abgeschrieben und kann ohne Widerspruch aus der Regierung behaupten, er habe das alles nicht absichtlich gemacht. Glauben Sie das wirklich?

Schavan: Ich verstehe ihn so, dass er einen Schaden, wie er jetzt entstanden ist, nicht anrichten wollte.

SZ: Sind Sie der Meinung, da ist nicht aktiv getäuscht worden?

Schavan: Jedenfalls weiß ich, dass, wer viele Jahre an seiner Doktorarbeit sitzt, sich darin auch verirren kann.

SZ: Der Ärger unter renommiertesten Wissenschaftlern ist groß, weil der Eindruck entstanden ist, dass die Bundesregierung die zentrale wissenschaftliche Qualitätsauszeichnung - den Doktortitel - nicht als etwas ganz Besonderes verteidigt, sondern Verstöße gegen die Regeln wie eine lässliche Sünde behandelt.

Schavan: Ich habe ganz klar von wissenschaftlicher Integrität als einem hohen Gut gesprochen und davon, dass die Aberkennung des Titels richtig ist. Da kann niemand auf die Idee kommen, dass ich den Vorgang für eine Lappalie halte.

SZ: Sie betonen immer, Deutschland müsse in Bildung und Wissenschaft eine internationale Talentschmiede sein. Wie wollen Sie das noch glaubhaft vertreten, wenn der Doktortitel so entwertet wird?

Schavan: Der Doktortitel ist nicht entwertet, er ist aberkannt. Das ist die Antwort der Wissenschaft auf die Analyse der Arbeit. Die Debatte im Parlament litt unter Maßlosigkeit auf allen Seiten. Der Opposition ging es vor allem darum, den Kopf des Ministers als Trophäe aus der Debatte zu tragen. Andere haben durch ihre Wortwahl den Eindruck erweckt, als müsse man das alles nicht so ernst nehmen. Weniger Lautstärke hätte der Glaubwürdigkeit gut getan. Wer Wissenschaft ernst nimmt, muss nicht gleich den Stab über den Minister brechen. Auch das ist eine Instrumentalisierung der Wissenschaft.

SZ: Der Nachfolger des Doktorvaters Guttenbergs, Oliver Lepsius, spricht offen davon, dass man einem Betrüger aufgesessen sei. Hat er Unrecht?

Schavan: Das weiß ich nicht. Die Universität Bayreuth hat angekündigt, dass sie weitere Vorwürfe überprüfen wird. Das ist der richtige Ort: Die Uni muss entscheiden, ob sie von einer bewussten Täuschung ausgeht. Der Politik steht es gut an, sich in ein laufendes Verfahren nicht durch öffentliche Stellungnahmen einzumischen.

SZ: Ist die Uni Bayreuth schuld?

Schavan: Der Doktorvater, Professor Häberle, ist ein hoch anerkannter Wissenschaftler. Wissenschaft hat auch mit Vertrauen zu tun. Auf die Erklärung, eine Arbeit sei nach bestem Wissen und Gewissen verfasst worden, muss ein Doktorvater vertrauen können.

"Auch ein intelligenter Mensch kann überfordert sein"

SZ: Haben Sie eine Erklärung, wie Guttenberg zu Beginn von abstrusen Vorwürfen sprechen kann, dann nur vorübergehend auf den Titel verzichten möchte und schließlich gravierende Fehler einräumt?

Schavan: Das ist passiert - und wird vermutlich auch von ihm im Nachhinein nicht als glücklich empfunden.

SZ: Guttenberg erklärt, er habe nicht bewusst Fehler gemacht. Kann man unbewusst eine Dissertation schreiben?

Schavan: Nein, aber man kann damit überfordert sein, auch als intelligenter Mensch. Ich habe beim Cusanuswerk viele Doktoranden begleitet und weiß um viele Tücken auf diesem Weg.

SZ: Die Regierung und die Union versuchen, den Wissenschaftler Guttenberg zu ignorieren und den Verteidigungsminister im Amt zu halten. Kann man Guttenberg in zwei Menschen aufteilen?

Schavan: Nein, das kann man nicht. Wir wissen aber auch, dass dies nicht der erste Fall ist, in dem jemand gute politische Arbeit leistet und zugleich in einem anderen Bereich seines Lebens Schuld auf sich genommen hat. Für einen Minister gilt das Gleiche wie für jeden Menschen: Er hat eine zweite Chance verdient, zumal doch alle wissen, dass er ein großes politisches Talent ist.

SZ: Der Eindruck ist, dass die Kanzlerin und die Union so sehr zwischen dem Plagiator und dem Minister trennen, weil sie sich angesichts seiner Beliebtheit in der Bevölkerung nicht trauen, ihm gegenüber eine klare Haltung des "So geht es nicht" auszusprechen. Können Sie verstehen, dass das Wissenschaftler wie den früheren DFG-Präsidenten Ernst-Ludwig Winnacker schmerzt?

Schavan: Herr Winnacker und andere Vertreter der Wissenschaft haben einen anderen Ton in die Debatte gebracht. Da spricht niemand vom Rücktritt des Ministers und doch wird in jeder Stellungnahme klar, dass die Wissenschaft sich eine Bagatellisierung des Vorgangs verbittet.

SZ: Guttenberg hat nicht an zwei, drei Stellen falsch zitiert. Er hat das in Dutzenden von Fällen getan und dabei das geistige Eigentum anderer zum eigenen Nutzen verwendet. Schämen Sie sich heimlich für Ihren Kabinettskollegen?

Schavan: Als jemand, der selbst vor 31 Jahren promoviert hat und in seinem Berufsleben viele Doktoranden begleiten durfte, schäme ich mich nicht nur heimlich. Und das wird Karl-Theodor zu Guttenberg nicht anders gehen.

SZ: Die Kanzlerin wirbt weltweit für den Schutz des geistigen Eigentums. Mehr noch: Sie hat zum Welttag des Schutzes geistigen Eigentums erklärt, der Diebstahl geistigen Eigentums sei keine Bagatelle und Raubkopien seien kein Kavaliersdelikt. Gilt das nicht mehr?

Schavan: Das gilt. Raubkopien sind kein Kavaliersdelikt. Der Schutz des geistigen Eigentums ist ein hohes Gut.

SZ: Befürchten Sie nicht, dass Sie künftig bei derlei Versuchen auf Guttenberg verwiesen und verspottet werden?

Schavan: Nein, das befürchte ich nicht. Das Wissenschaftssystem in Deutschland ist auch deshalb so anerkannt, weil wir seitens der Politik die Souveränität und Selbstkontrolle der Wissenschaft achten. Das ist auch jetzt so. Das deutsche Wissenschaftssystem ist so effizient wie kein zweites auf der Welt. Der Wohlstand in unserem Land hängt eng mit wissenschaftlichem Fortschritt zusammen. Deshalb muss Vertrauen, das verloren gegangen ist, wiederhergestellt werden.

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