Soziale Netzwerke gegen US-Stiftung:"Jeder hasst Krebs, alle lieben Brüste"

Was hat Brustkrebs-Vorsorge mit konservativer Politik zu tun? Eigentlich nichts - doch eine US-Stiftung wollte einer Organisation die Mittel streichen, die auch Abtreibungen anbietet. Neu im Vorstand: Eine Dame von der Tea Party. Über die Folgen eines wütenden Protestes in den sozialen Netzwerken.

Matthias Kolb, Washington

Susan G. Komen war eine junge Frau, die ihr halbes Leben noch vor sich hatte, als sie der Krebs erwischte. Komen starb 1981 im Alter von 36 Jahren an Brustkrebs, und am Sterbebett schwor Nancy Brinker ihrer Schwester Susan, sich dafür einzusetzen, dass andere Frauen nicht so leiden müssten. Nancy Brinker, eine PR-Expertin, hielt ihr Versprechen: In den folgenden 31 Jahren sammelte die Stiftung Susan G. Komen for the Cure etwa 93 Millionen Dollar. Von dem Geld werden Vorsorgeuntersuchungen für Frauen bei Partnerorganisationen bezahlt und das öffentliche Bewusstsein für das Thema Brustkrebs gefördert.

Sensibilisierungskampagne für Brustkrebs-Prophylaxe

Pink, die Farbe der Brustkrebs-Vorsorge: Im Mai 2010 formen im australischen Melbourne Hunderte Menschen einen Frauenkörper.

(Foto: dpa)

So werden seit Jahrzehnten in Amerika "Race for Cure"-Veranstaltungen abgehalten: Für jeden Teilnehmer, der fünf Kilometer absolviert, zahlen Sponsoren einen bestimmten Betrag an die in Dallas ansässige Stiftung. Solche Läufe finden seit Jahren auch in Deutschland statt. Mit rosafarbenen Schleifen, den pink ribbons, hat die Stiftung ein international bekanntes Symbol geschaffen und genoss einen exzellenten, unabhängigen Ruf. Bis jetzt.

Überraschend kündigte Nancy Brinker in der vergangenen Woche an, die Zusammenarbeit mit dem langjährigen Partner Planned Parenthood einzustellen. Allein 2011 hatte Brinkers Stiftung die Organisation mit 750.000 Dollar unterstützt. Begründet wurde der Schritt mit einer neuen Regelung: Man wolle kein Geld an Initiativen geben, gegen die ermittelt werde.

Der Schritt löste einen Sturm der Empörung im Internet aus. In mehr als 1,3 Millionen Tweets wurde auf #Komen Bezug genommen, auf der Facebook-Seite der Stiftung liefen mehr als 10.000 Kommentare ein und die Zahl der Facebook-Freunde von Planned Parenthood wuchs um mehr als 10.000. Der Vorwurf: Hier werde Gesundheitsvorsorge mit Politik vermischt, mit konservativer Politik. Planned Parenthood bietet auch Abtreibungen an. Das Ermittlungsverfahren, auf das sich Komen beruft, ist nach Ansicht der Kritiker klar parteipolitisch motiviert: Der republikanische Abgeordnete Cliff Stearns aus Florida hat zahlreiche Unterlagen angefordert, um zu prüfen, ob Planned Parenthood Steuergelder verwende, um Abtreibungen zu finanzieren.

Die empörten Internetnutzer verwiesen darauf, dass mit Karen Handel eine Abtreibungsgegnerin in den Vorstand der Komen-Stiftung berufen wurde - Handel war 2010 bei dem Versuch gescheitert, Gouverneurin in Georgia zu werden und zählt wie Sarah Palin zu den ultrakonservativen "Grizzly Moms" (mehr dazu in einem Text des SZ-Magazins).

Furcht vor Spendenrückgang?

Die Beteuerung von Komen-Gründerin Nancy Brinker, der Schritt sei nicht gegen eine einzelne Organisation gerichtet, wurde postwendend von einem Washingtoner Lobbyisten konterkariert: John D. Raffaelli sagte der New York Times, die Stiftungsregeln seien nur aus einem Grund geändert worden: Man fürchte, die Ermittlungen des Republikaners Stearns könnten der Stiftung schaden und es erschweren, Spendengelder einzutreiben. Von konservativen Amerikanern, die Abtreibung grundsätzlich ablehnen. In den USA wird die Abtreibungsfrage sehr politisch diskutiert: So war die Auseinandersetzung zwischen Pro-Life- (Abtreibungsgegnern) und Pro-Choice-Anhängern (Abtreibungsbefürwortern) bei den Vorwahlen in Florida für sieben Prozent der Republikaner das wichtigste Thema überhaupt im Wahlkampf.

Die erhitzte #Komen-Debatte im Internet blieb natürlich den Politikern nicht verborgen: 26 demokratische Senatoren appellierten an die Stiftung, den Schritt rückgängig zu machen. Die Demokratin Barbara Boxer sagte, sie fühle sich an eine "Hexenjagd" und die McCarthy-Ära der 1950er Jahre erinnert. Nancy Pelosi, die frühere Sprecherin des Repräsentantenhauses, nannte die Entscheidung "politisch motiviert und unglücklich".

Es war jedoch ausgerechnet ein einflussreicher, allerdings liberaler Republikaner, der als Erster sein Unverständnis äußerte: Per Twitter-Botschaft teilte New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg am vergangenen Donnerstag mit, dass er 250.000 Dollar an Planned Parenthood spenden werde, um die finanzielle Lücke zu schließen, die Brinkers Rückzug in die Kasse der Organisation gerissen hatte. Der Milliardär sprach vielen aus der Seele, als er in einem weiteren Tweet mitteilte: "Politik sollte keinen Platz in der Gesundheitsvorsorge haben."

Dem enormen Druck konnte - oder wollte - die Stiftung Susan G. Komen nicht mehr standhalten und so erklärte Gründerin Nancy Brinker per Video auf Youtube, dass die neuen Kriterien nicht dazu gedacht seien, um Planned Parenthood zu bestrafen. Die Kooperation werde fortgesetzt und die Regeln so angepasst, dass nur "strafrechtliche" - und nicht jedwege Form von - Ermittlungen zu einem Ende der Zusammenarbeit führten.

Machtbeweis der sozialen Netzwerke

Cecile Richards, die Chefin von Planned Parenthood, begrüßte den Schritt: Der Protest habe hoffentlich allen gezeigt, dass es die Amerikaner leid seien, wenn Themen wie Brustkrebs und Gesundheitsvorsorge für politische Zwecke missbraucht würden. Zudem freue sie sich über drei Millionen Dollar Spenden, die in der vergangenen Woche eingegangen sei - dies sei vier Mal so viel wie die Organisation jährlich von Komen erhalte.

In vielen amerikanischen Medien wird das Einknicken von Komen als Beweis dafür angesehen, welchen Einfluss Bürger und Aktivisten per Twitter, Facebook und Tumblr auf die Politik ausüben können. Wenige Wochen nach den erfolgreichen Protesten gegen das Anti-Piraterie-Gesetz SOPA sei mit der #Komen-Debatte nun ein weiterer "Fall für die Lehrbücher" zu beobachten, heißt es auf der Website politico.com.

Für Mark Jurkowitz vom Pew's Project for Excellence in Journalism ist es besonders bemerkenswert, dass die auf Twitter und Facebook verbreiteten Informationen die Zeitungsredaktionen, Fernsehsender und Radiostationen vor sich hergetrieben hätten: "Die sozialen Medien waren das dynamische Element in dieser Geschichte und die traditionellen Medien bildeten die dort ablaufende Diskussion ab."

Es gibt jedoch auch kritische, ja sogar traurige Stimmen: In der New York Times schreibt Gail Collins, dass Amerika eine Grenze überschritten habe: Nach der Komen-Kontroverse sei klar, dass es in diesem Land kein Thema mehr gebe, dass sich nicht - wie in diesem Fall durch die Verquickung mit der Abtreibungsdebatte - für den Streit zwischen Demokraten und Republikanern instrumentalisieren lasse. "Brustkrebs sollte das letzte Thema für einen Parteienstreit sein", findet Collins: "Jeder hasst Krebs, alle lieben Brüste - Kinder, Erwachsene, Männer, Frauen. Sie sind doch Amerikas beliebtestes Körperteil."

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