Uniklinik Erlangen:Lara wartet auf ein Herz

Den Schnee kann Lara nur vom Fenster aus sehen. Ihr Herz lässt das Spielen im Freien nicht zu. Seit 25 Monaten hofft die Fünfjährige auf ein neues Herz. Weltweit hat noch nie ein kleines Kind mit einem Kunstherz länger auf ein Spenderorgan gewartet.

Katja Auer

Gleich wird Heike Günther mit der blauen Plastikwanne hinuntergehen und ein bisschen Schnee holen. Damit Lara Schneebälle machen kann. Man kann ihn sehen vom vierten Stock aus, den Schnee, wie er auf den Bäumen liegt und auf den Blumen da unten im Botanischen Garten. Lara war lange nicht mehr unten, mehr als zwei Jahre schon. Ihr Herz lässt es nicht zu. Der große Apparat neben ihrem Bett brummt; nicht laut, aber permanent. Wie ein Heizlüfter vielleicht oder ein Rasenmäher, wenn man ihn aus der Ferne hört. Der Apparat ist Laras Herz.

Uniklinik Erlangen: Seit 25 Monaten wartet die fünfjähirge Lara auf ein Spenderoran. Ein Kunstherz hält das Mädchen am Leben.

Seit 25 Monaten wartet die fünfjähirge Lara auf ein Spenderoran. Ein Kunstherz hält das Mädchen am Leben.

(Foto: Uni-Klinik Erlangen)

Am 6. Februar 2010 hat ihr der Kinderherzchirurg Robert Cesnjevar das Kunstherz angeschlossen, in einer Notoperation, für die sie ihn aus dem Stadion geholt haben, als gerade der Club gegen Stuttgart spielte. "Sonst wäre der 6. Februar 2010 ihr Sterbetag gewesen", sagt Kardiologe Sven Dittrich, der Lara seitdem betreut. Ihr eigenes Herz war zu schwach, wahrscheinlich von Geburt an. Damit hält das fünfjährige Mädchen einen Rekord: Noch nie hat ein kleines Kind mit einem Kunstherz weltweit länger auf ein Spenderorgan gewartet. 25 Monate sind es an diesem Tag genau, dass Lara auf der kinderkardiologischen Station der Uni-Klinik in Erlangen wohnt.

Gerade war der Zahnarzt da, ein kleines bisschen Karies hat er festgestellt und außerdem hat sie einen Wackelzahn. Der hier unten ist es, sie macht den Mund auf und zeigt mit dem Finger drauf. Die Vorschullehrerin war heute auch schon dran, "plus und minus" habe sie gelernt, erzählt Lara. Anderntags kommt die Logopädin. Mit dem R hat Lara noch Schwierigkeiten, "Labe Ludi", sagt sie zu der schwarzen Amsel auf dem Balkon.

Alle kommen sie zu Lara, ihr Leben spielt sich im Krankenzimmer ab. Das ihrer Mutter Heike auch. "Hier wohnen wir", sagt sie und zieht mit der Hand eine Linie von der Bettkante bis zu dem kleinen Schrank, in dem sich die Liege verbirgt, die sie am Abend neben Lara aufklappt. Ein paar Quadratmeter sind es bloß und Privatsphäre gibt es gar keine. Auf dem Fensterbrett stapeln sich die Spiele, in einer Kiste sind die Bücher. Es hat sich einiges angesammelt über zwei Jahre, über zweimal Weihnachten und zwei Geburtstage.

Bald ist es wieder soweit, dann wird Lara sechs Jahre alt. An der Wand hängen Fotos. Von Freunden, von Kindern, die auch mal auf der Station waren, aber längst wieder entlassen worden sind. Lara ist geblieben. "Wenn wir daheim sind, mach ich die Tür erstmal gar nicht mehr auf", sagt Heike Günther. Meistens ist das zweite Bett in Laras Zimmer belegt und am Wochenende kommt auch ihr Papa, der in Ungarn arbeitet. Wenig Platz für ein Familienleben. "Wenn wir daheim sind", sagt Heike Günther oft. "Wenn wir daheim sind", dann kann Lara die Stützräder abschrauben, mit denen sie im Krankenhausflur das Fahrradfahren gelernt hat. Das rosarote Fahrrad parkt am Fußende ihres Krankenbettes. "Ich möchte zeigen, wie gut ich das kann", sagt Lara.

Ein Mädchen, ein bisschen blass vielleicht, aber sonst recht vergnügt, das in die Pedale tritt. Ganz normal. Wenn nicht Mutter Heike das Kunstherz neben ihr her schieben müsste, um die 100 Kilogramm schwer, von dem Lara kaum zwei Meter weg kann. Länger ist der Schlauch nicht. "Wenn wir daheim sind", wird Heike Günther wieder selber kochen. Kein Krankenhausessen mehr. Heute gibt es Karottensuppe und Lara würzt mit reichlich Maggi nach. Maggi. Wie früher. "Wenn wir daheim sind", will Heike Günther auch wieder arbeiten. Sie hat Dreherin gelernt bei Schäffler in Schweinfurt und dort wird der 43-Jährigen ihr Arbeitsplatz freigehalten.

An daheim kann sich Lara nicht mehr erinnern. Im unterfränkischen Haßfurt ist das, wo jetzt ein Haus leer steht und die Blumen im Garten eingehen, wo Heike Günther viermal, vielleicht fünfmal im Jahr hinfährt, um neue Klamotten zu holen. Für den Winter, wenn wieder ein Sommer vergangen ist, für den nächsten Winter, den sie wieder im Krankenhaus verbringen. Im ersten Jahr ist sie einmal heimgefahren, weil sie solche Lust hatte auf etwas Gegrilltes. Heute grillen sie mit einem Elektrogrill auf dem Krankenhausbalkon.

Ein paar Monate hätten es werden sollen, ein Jahr vielleicht, aber es hat sich einfach kein passendes Spenderherz finden lassen. Heike Günther macht jenen Eltern keinen Vorwurf, die die Organe ihrer toten Kinder nicht spenden wollen. "Das muss jeder mit sich selber ausmachen", sagt sie. "Wir sind halt jetzt auf der anderen Seite." Seit Lara krank ist, hat Heike Günther selbst einen Organspendeausweis.

1200 Spendern wurden 2010 nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation nach ihrem Tod Organe entnommen. In Bayern waren es 189. "Dies ist zu wenig", sagt Bayerns Gesundheitsminister Marcel Huber. Bisher muss man einer Organspende ausdrücklich zustimmen, indem man einen Spendeausweis ausfüllt oder die Entscheidung den Angehörigen überträgt. Nun soll in Deutschland die sogenannte Entscheidungslösung eingeführt werden, bei der jeder Mensch mindestens einmal im Leben befragt wird, ob er bereit ist, seine Organe zu spenden. Gesundheitsminister Huber erhofft sich davon "einen Anstieg der dokumentierten Spendebereitschaft". "Es fehlt weniger eine Rechtsgrundlage als das öffentliche Bewusstsein", sagt dagegen Kardiologe Sven Dittrich in Erlangen.

Die Gesellschaft müsse das Thema der Organentnahme positiv besetzen. Und auch die Ärzte, gerade in kleineren Kliniken, müssten für das Thema sensibilisiert werden. 68 Herztransplantationen wurden in Bayern 2010 nach Angaben des Gesundheitsministerium durchgeführt. 153 Menschen im Freistaat warteten auf ein Herz. Auch Lara wartet noch.

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