Schlechte Quoten bei DSDS:"Deutschland ist durchgecastet"

Immer weniger Zuschauer sehen "Deutschland sucht den Superstar", zuletzt sank die Quote erneut unter die Fünf-Millionen-Marke. Ist die Ära der Casting-Shows vorbei? Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen erklärt, warum Bohlen, Klum und Co. niemand mehr sehen mag.

Carolin Gasteiger

Deutschland sucht den Superstar verzeichnet immer schlechtere Quoten: Nur 4,69 Millionen Zuschauer schalteten vergangenen Samstagabend ein - selbst ZDF-Schlagerkönigin Carmen Nebel hatte mehr Zuschauer ein (4,89 Millionen). In einem verzweifelten Versuch, einen Skandal zu provozieren - und damit Quote - verließ Dieter Bohlen bei einem seiner Meinung nach besonders bemitleidenswerten Kandidaten das Jury-Pult. Nach der Werbepause erntete er zwar Buhrufe, die Quote blieb jedoch im Keller. Auf die Frage von Moderator Marco Schreyl, ob "Deutschland sucht den Superstar" ein Quotenproblem habe, konterte Bohlen: "Ich glaub, das Problem das die Leute mit uns haben, ist einfach, dass wir wirklich über zehn Jahre jetzt einfach erfolgreich sind." Eine These, die Professor Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler an der Universität Tübingen und Autor des Buches "Die Casting-Gesellschaft" nicht teilt. Für ihn befinden sich Casting-Shows in einer gewaltigen Krise.

Fernsehshow 'Deutschland sucht den Superstar'

Im Wölkchenjackett einmal Superstar sein: DSDS-Kandidat Kristof Hering mag noch davon träumen.

(Foto: dapd)

Süddeutsche.de: Herr Pörksen, Deutschland sucht den Superstar kämpft um die Quoten, auch Heidi Klum kann mit Germany's Next Topmodel nicht mehr an iher Glanzzeiten anknüpfen. Woran liegt das?

Bernhard Pörksen: Deutschland ist durchgecastet, die Sendungen kannibalisieren sich wechselseitig; das wird Ihnen jede Casting-Agentur bestätigen. Und nach knapp zehn Jahren hat auch der Letzte begriffen, dass es sich bei all den schlimmen Schicksalen, den Liebes- und Knastgeschichten um gebaute Tragödien handelt. Der Zuschauer weiß nun: Es geht um das immer gleiche Melodram aus Hoffen, Bangen, Absturz, Verzweiflung, Erfolg. Und es stehen die immer gleichen Typen zur Auswahl: der Streber, der Schräge, der Schönling. Superstar ist heute ein zutiefst ironischer Begriff. Dies sind Leute, so hat man begriffen, die man oft schon Monate nach der Show beim Eröffnen von Baumärkten und Dorf-Discos sieht, umringt von drei Autogrammjägern. Wer mag hier schon auftreten?

Süddeutsche.de: Das Bedürfnis der Fernsehzuschauer, das mitanzusehen, scheint langsam nicht mehr so stark zu sein. Werden Casting-Shows bald Geschichte sein?

Pörksen: Wir erleben momentan eine Krise der Casting-Shows. Trotzdem würde ich das Genre noch nicht ins Grab reden, es sind vergleichsweise immer noch gute Quoten. Und man versucht inzwischen krampfhaft, das Format neu zu erfinden. Aber es gibt auf der Seite des Publikums zumindest ein Unbehagen über eine Unkultur des Bluffs und der Show.

Süddeutsche.de: Was faszinierte die Zuschauer zu Beginn der Casting-Ära so sehr an der öffentlichen Zurschaustellung vermeintlich talentierter Models, Sänger oder Singles?

Pörksen: Der Aschenputtel-Mythos, diese Billigvariante des amerikanischen Traums - ganz nach dem Motto: Jeder kann es schaffen, er braucht nur die richtige Chance. Auf einmal war, so schien es, jeder mit im Rennen um den großen Pokal der Berühmtheit. Das verändert natürlich unser Konzept von Prominenz. Prominente sind nicht mehr unerreichbar, nicht mehr von einem Geheimnis umgeben, sondern Konkurrenten in einem Spiel, in dem alle mitspielen wollen.

"Was zählt, ist Geld zu verdienen"

Süddeutsche.de: Sendungen wie The Voice of Germany oder Das perfekte Model, die Sie bereits als "weiche Welle der Casting-Shows" bezeichneten, versuchen einen anderen Weg: Sie wollen die Kandidaten weniger schikanieren, sondern auf Augenhöhe behandeln. Meinen die das ernst? Oder ist das nur eine weitere Illusion?

Pörksen: Mit Begriffen wie Ernsthaftigkeit und Authentizität kommt man nicht weiter, wenn man das gegenwärtige Fernsehen charakterisieren will. Es handelt sich stets um eine Form der Inszenierung, die - warum auch immer - fasziniert. Ob jemand auf der Bühne auch mal eine echte Träne weint, spielt keine Rolle.

Süddeutsche.de: Worum geht es dann?

Pörksen: Schlicht und einfach darum, auf eine leichte Art Geld zu verdienen, das Publikum durch kostspielige Telefonvotings scheinbar zu beteiligen und die Quote im Kampf um Werbebudgets zu nutzen.

Süddeutsche.de: Dieter Bohlen hat angekündigt, DSDS künftig mit Kindern veranstalten zu wollen. Hat er damit noch eine Chance?

Pörksen: Das sind klägliche Versuche der Selbstrettung - ob eine solche Idee die Aufmerksamkeit noch einmal anzuheizen vermag, weiß ich nicht. Aber es liegt in der Logik der Show, immer neue Schocks einzuplanen. Das Muster ist hier: aggressive Asymmetrie; man liefert, um den voyeuristischen Reiz zu erhöhen, weitgehend Ohnmächtige der Medienmaschinerie aus.

Süddeutsche.de: Also funktioniert das Prinzip der Casting-Formate nicht mehr.

Pörksen: So hart würde ich nicht formulieren, aber die Macher stecken in der Inszenierungsfalle, die sie selbst gebaut haben. Heute berichten selbst Boulevardzeitungen über inszenierte Gags, vorproduzierte Sprüche, Knebelverträge. Niemand, der bei Verstand ist, wird noch im Ernst die Auffassung vertreten, es ginge hier um den authentischen Selbstausdruck irgendeines Musiktalents. Ich glaube, man hat das eigene Publikum systematisch unterschätzt.

Süddeutsche.de: An der Auswahl der diesjährigen Grimme-Preisträger könnte man vermuten, dass Satire Casting-Shows überflügelt: Das NDR-Format Der Tatortreiniger und die Tele-5-Produktion Walulis sieht fern konnten sich gegen Let's Dance (RTL) und Cover my Song (Vox) durchsetzen. Ist Satire das Genre der Zukunft?

Pörksen: Satiresendungen sind vielleicht nicht das Genre der Zukunft, aber es wäre zumindest ein Zeichen der Reife, wenn sie sich durchsetzen. Die Haltung des Satirikers setzt Distanz voraus - und zeigt: Man nimmt den Quatsch nicht mehr ernst.

Süddeutsche.de: Wird das deutsche TV-Publikum klüger?

Pörksen: Meine ironische Hoffnung ist eher eine Selbstvernichtung des Mediums. Irgendwann kämpfen die Macher dieser Formate auf eine so widerliche Art und Weise um Publikum und das Geld der Werbekunden, dass sich die Zuschauer in einem letzten Akt der Vernunft kollektiv abwenden. Und am Ende niemand mehr einschaltet.

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