Neue Werbefigur des US-Präsidenten:"Julia" buhlt für Obama um die Herzen der Frauen

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Ein ganzes Leben für Präsident Obama: Die Comic-Figur "Julia" soll amerikanischen Wählerinnen zeigen, warum es sich lohnt, für die Demokraten zu stimmen. Die Netzkampagne offenbart die Tricks des Obama-Lagers. Anhänger von Mitt Romney sind empört, denn für eine Hochzeit oder einen Ehemann ist in Julias Leben kein Platz.

Matthias Kolb, Washington

Das ist "Julia", die neue Werbefigur von Präsident Barack Obama. Sie soll Wählerinnen überzeugen, ihre Stimme den Demokraten zu geben. (Foto: Quelle: www.barackobama.com)

Es dauert nur zwei bis drei Minuten, um Julia durch ihr gesamtes Leben zu begleiten. Julia wurde in Chicago im Hauptquartier von "Obama For America" geboren und lebt seit Anfang Mai auf einer eigenen Website. Per Mausklick können amerikanische Wählerinnen Julias Lebenslauf verfolgen - vom Kindergarten über die High-School und die Universität bis zur Karriere als Web-Designerin.

Die Slideshow erinnert mit ihrer bunten Optik an ein Kinderbuch. Die Texte über Julias Lebensabschnitte sind kurz und enden stets mit einer Beschreibung, wie ihr Alltag von der Politik der Obama-Regierung positiv beeinflusst wird - und welche Folgen die von Mitt Romney geplanten Budgetkürzungen hätten.

Mit "Julia" geht der "War on Women" weiter, den die Republikaner den Demokraten zufolge ausgerufen haben. Die Frauen sind wahlentscheidend. Wenn Obama bei den Wählerinnen keine Mehrheit findet, muss er im Januar die Koffer packen. Dementsprechend drastisch wählt der demokratische Präsident seine Methoden.

Höchststrafe vom Faktenprüfer

Ein Beispiel aus Julias Lebenslauf: Während sie dank Obama mit 65 "sorgenfrei" in Rente geht, heißt es im Hinblick auf Romneys Pläne: "Julias Ansprüche könnten um bis zu 40 Prozent sinken." Glenn Kessler, einer der Faktenprüfer der Washington Post, nennt diese Behauptung irreführend und vergibt die Höchststrafe von drei Pinocchio-Nasen.

Die Zahl von 40 Prozent sei nicht gedeckt - nach unabhängigen Berechnungen geht den US-Sozialkassen ohnehin 2033 das Geld aus, was in der Aussage über Julias goldenen Ruhestand verschwiegen wird. ( Detailliert ist Kesslers Analyse in diesem Artikel nachzulesen.)

Die Slideshow über Julias Leben illustriert mustergültig einige Regeln des amerikanischen Wahlkampfs: Kaum ist die Website online gestellt, sorgt Obamas Wahlkampfstab dafür, dass der Link bei Facebook und Google Plus auftaucht und via Twitter über #Julia diskutiert wird. Innerhalb weniger Minuten bläst die Gegenseite zum Angriff: Julia sei keineswegs typisch amerikanisch, denn sie vertraue sich "von der Wiege bis zur Bahre" dem Staat an.

Kein Platz für eine Hochzeit

"Ich werde meinen Kindern die Geschichte vorlesen, damit sie wissen, wie sie NICHT leben sollen", schimpft Bloggerin Michelle Malkin in einem Tweet. Derek Hunter ätzt: "Mit 40 hat Julia zwei Autobiographien geschrieben, ohne etwas geleistet zu haben. Halt, das war Obama. Julia ist arbeitslos". Die Tatsache, dass in Julias Leben kein Platz für eine Hochzeit ist und der Vater ihres Sohns Zachary nicht auftaucht (es heißt lediglich: "she decides to have a child"), ärgert viele Anhänger der Republikaner.

Bei Twitter schimpft eine falsche " @Life_of_Julia" über Sozialisten, im Netz tauchen schnell Parodien auf und die Steuersenkungsfanatiker von "Americans for Tax Reform" zeigen in ihrer Slideshow, wie Obamas Schuldenpolitik die Chancen der Amerikaner mindert. Ähnlich sieht es William Bennett, Bildungsminister unter George Bush. Er jubelt auf CNN, endlich werde allen die Folgen der Politik der Demokraten vor Augen geführt: Die Freiheit des Individuums werde beschnitten.

Differenzierte Betrachtungen des Themas brauchen etwas länger. Erst einige Tage nach der Vorstellung von Julia zeigt das Magazin The Atlantic auf seiner Website am Beispiel eines gewissen "Ahmed", dass sich die Lage der Migranten in den USA weder unter Romney noch unter Obama verbessern würde.

Julia gehört der "liberalen, oberen Mittelschicht" an

Noch interessanter sind die Versuche, den interaktiven Clip in die Wahlkampfstrategie der Obama-Berater und in die gesellschaftlichen Veränderungen in den USA einordnen. Heute sind 45 Prozent aller Amerikaner, die älter als 15 sind, unverheiratet - 1960 lag der Wert noch bei 32 Prozent, wie die konservative Autorin Jessica Gavora in der Washington Post schreibt.

Es gehe "Obama for America" weniger darum, die Stimmen aller Wählerinnen zu umwerben, als sich die Unterstützung der unverheirateten Frauen zu sichern, urteilt Gavora. Sie nennt auch den Grund: Diese Wählergruppe wächst viel stärker als jene der Verheirateten. Wer weiß, wie akribisch jeder Schritt im Wahlkampf geplant wird und wie besessen Obamas Berater David Plouffe und David Axelrod von Zahlen sind, der weiß, dass alles in "The Life of Julia" genau kalkuliert ist.

Dass die virtuelle Julia eine weiße Hautfarbe hat, betont auch der Katholik Ross Douthat in einem Essay für die New York Times. Er weist auf weitere interessante Daten hin, die Julia eindeutig in der "liberalen, oberen Mittelschicht" zuweisen: Sie wird mit Anfang 30 Mutter, während die Durchschnittsamerikanerin mit Mitte 20 ihr erstes Kind zur Welt bringt. Dass sie sich als Rentnerin freiwillig beim community gardening engagiert, lässt auf ein städtisches Umfeld schließen.

Douthats Text ist deutlich anzumerken, dass er die Hochzeit oder den Hinweis auf Eltern oder Geschwister in "The Life of Julia" vermisst. Auch er sieht in dem Lebensentwurf, den die Strategen des Obama-Lagers präsentieren, einen Beweis dafür, dass sich Amerika ändert: "In einer zunehmend atomisierten Gesellschaft, wo die Bindung an Familien und andere Gruppen immer schwächer wird, ist dieser Lebensentwurf wohl für mehr Männer und Frauen in diesem Land anziehender, als es sich jene Konservativen, die sich darüber lustig machen, vorstellen können."

Linktipp: Die lesenswerte Analyse der konservativen Autorin Jessica Gavora, die einst als Redenschreiberin für George W. Bushs Generalbundesanwalt John Ashcroft arbeitete, ist auf der Website der Washington Post zu finden.

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