Wahl in Ägypten:Kandidaten ohne Konzept

Ein von Despotie, Paternalismus und Korruption zerfressenes Land wählt ab Mittwoch zum ersten Mal frei seinen neuen Staatschef. Doch unter einem guten Dutzend Bewerbern finden die Ägypter keinen Favoriten - weil keiner der Kandidaten kompetent genug ist, um dem Land zum Neuanfang zu verhelfen. Der geeignete Präsident für das Land wäre ausgerechnet ein Islamist.

Tomas Avenarius

50 Millionen Ägypter stehen vor einer Wahl, die jeden Buchmacher jubeln und jeden Wähler verzweifeln lassen muss. Sie sollen diese Woche den neuen Staatschef bestimmen, obwohl es unter dem guten Dutzend Bewerber keinen Favoriten gibt. Auf den Sieger wetten möchte da keiner.

Die Wähler wissen auch, dass der neue Mann die Probleme Ägyptens nicht schnell lösen kann. Aber sie ahnen, dass diese Wahl eine Richtungswahl ist. Sie entscheidet jenseits von Personen darüber, ob der Aufstand gegen Hosni Mubarak als regimeinterner Machtwechsel mit öffentlich-blutigem Statisteneinsatz in die Geschichte eingehen wird oder ob Ägypten die Chance für seinen Neuanfang nutzt.

Gibt es in dem von Despotie, Paternalismus und Korruption zerfressenen Land ein Mehr an Demokratie und Rechtsstaat, wenn auch vielleicht mit islamistischem Anstrich? Oder haben die im Namen der Revolution putschenden Generale den Aufstand gekidnappt und so für den Erhalt des Regimes gesorgt?

Kein Kandidat hat Lösungen für die Probleme des Landes

Die Kandidatenliste trägt der Bedeutung dieser ersten freien Wahl nach dem Mubarak-Sturz jedenfalls nicht wirklich Rechnung. Keiner der Bewerber hat ein Konzept präsentiert, mit dem sich die Probleme des von der Tahrir-Revolution gebeutelten Landes beheben lassen.

Keiner verkörpert Wandel, Versöhnung, Sachverstand, Erfahrung und Machtinstinkt in einer Person. Keiner von ihnen hat glaubhaft gemacht, wie er die gegeneinander stehenden Gesellschaftsgruppen vereinen will. Enttäuschend auch die "jungen Revolutionäre" und Total-Oppositionellen. Sie haben es nicht geschafft, einen der Ihren als Kandidaten wenigstens aufzustellen, um als Minderheit ihrem Anspruch aufs Gehörtwerden ein Gesicht zu geben.

Vorwärts oder zurück nach dem Tahrir-Aufstand?

Stattdessen bieten sich Bewerber an - bezeichnenderweise ist keine Frau darunter -, die für Flügel und komplett unvereinbare Denkweisen stehen. Die Islamisten, Alt-Links-Nationalisten, Pan-Arabisten, chancenlosen Liberalen, unbelehrbaren Mubarakisten und Wendehälse spiegeln die Post-Tahrir-Gesellschaft allerdings detailgetreu wider, und damit die heutigen Probleme Ägyptens. Junge Revolutionäre stehen gegen die, die der bleiern-brutalen Stabilität der Mubarak-Jahrzehnte nachtrauern.

Islamisten und Christen misstrauen einander

Islamisten und Christen trauen sich gegenseitig nicht über den Weg, wobei die Kopten mehr Grund zur Sorge haben als die von den mehrheitlich muslimischen Ägyptern mit 70 Prozent ins Parlament gehobenen Fundamentalisten. Moderate und radikale Islamisten machen sich Konkurrenz. Die oft ebenfalls muslimischen Anhänger einer säkularen Verfassung streiten mit denen, die im "islamischen Staat" das Heil sehen. Und die Vertreter des Rechtsstaats können diejenigen nicht überzeugen, die in den Generalen noch immer Wundertäter sehen, die dem Land Stabilität garantieren.

Da Umfragen in Ägypten entweder gekauft oder unzuverlässig sind, lässt sich über die Chancen der Bewerber wenig voraussagen. Vier von ihnen dürften das Rennen aber unter sich ausmachen. In die wahrscheinliche Stichwahl kommen entweder zwei sich spinnefeind seiende Islamisten - der eine ist ein treuer Muslim-Bruder, der andere ein Abtrünniger aus den Reihen derselben Fundamentalisten-Organisation.

Die zweite Stichwahl-Variante bestünde aus Vertretern des alten Regimes: Der eine ein Ex-Offizier, der sich als Macher und ziviler Technokrat präsentiert, der andere ein Ex-Außenminister, der sich als Dissident bezeichnet, obwohl er dem Regime Jahrzehnte diente. Die dritte Variante entspricht der politischen Befindlichkeit Ägyptens wenigstens teilweise: Ein Fundamentalist gegen einen Ex-Mubarak-Mann. Die Frage "Vorwärts oder zurück nach dem Tahrir-Aufstand" wäre beantwortet.

Ein Rückwärtsgewandter oder ein Nein-Sager?

Das Ganze mit Namen: Mit Ex-General Ahmed Schafiq spräche sich der Wähler für die verbrämte Rückkehr zum alten System aus. Als Macher und Mann der harten Hand hätte er wohl die Unterstützung der Armee. Er würde regieren wie Mubarak, nur zeitgemäßer. Amr Mussa, ehemals Außenminister und Chef der Arabischen Liga, wäre nicht besser. Der Diplomat verkauft sich wegen seiner Zwischenrufe an Mubaraks Kabinettstisch als "Nein"-Sager, obwohl er die Autokratie nie offen in Frage gestellt hat. Schafiq oder Mussa können Ägypten nicht nach vorne bringen, weil sie vom Regime geprägt wurden. Sie können es bestenfalls zeitweise beruhigen.

Bei den Fundamentalisten sieht es anders aus. Käme der Muslim-Bruder Mohammed Mursi an die Macht, müsste die weltweit wichtigste Islamisten-Organisation beweisen, dass ihre Vertreter modern regieren können und die Lösung politischer Probleme nicht im Koran suchen. An solcher Modernität bestehen berechtigte Zweifel. Realistischerweise wäre der geeignete Präsident für Ägypten der andere Islamist: Abdul Monaim Abul Futuh. Er hat sich gegen die KP-artige Parteidisziplin und den Kaderdünkel der Bruderschaft aufgelehnt. Er war bei den Aufständischen auf dem Tahrir. Er hat Frauen, Christen, Liberale um sich gesammelt, aber auch Radikal-Islamisten. So repräsentiert er das Bündnis derer, die nicht zurück wollen zur alten Zeit. Zugegeben, in Futuhs Botschaft passt vieles nicht zusammen. Aber das hat er mit dem heutigen Ägypten gemeinsam.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: