Syrien-Konflikt weitet sich aus:Vorboten eines Bürgerkrieges in Libanon

Die Gewalt in Syrien schwappt über die Grenzen: Libanesische Sunniten unterstützen ihre syrischen Glaubensbrüder, die mit Syriens Regime verbundene Schiitenmiliz Hisbollah wirft ihnen vor, den Konflikt damit weiter zu schüren. Beide Seiten wollen offene Rechnungen begleichen und könnten damit auch Libanon in einen Bürgerkrieg stürzen. Dem Assad-Regime wäre das nur recht.

Tomas Avenarius

Was lange Zeit befürchtet wurde, wird Realität: Der Bürgerkrieg in Syrien schwappt über in das Nachbarland Libanon. Nachdem libanesische Soldaten zwei Prediger erschossen hatten, griffen sunnitische Milizionäre zu den Waffen. Bei Schießereien in der Hauptstadt Beirut starben am Montag zwei Menschen, auch in anderen Städten wurden Barrikaden gebaut, die Militanten aller Lager trommeln zum Kampf.

Das Beiruter Geplänkel könnte Auftakt sein für mehr Gewalt. Die Religionsgruppen in Libanon sind verfeindet, fast jede unterhält eine Miliz. Die Menschen haben sich nach dem fünfzehnjährigen Bürgerkrieg noch längst nicht ausgesöhnt, politische Loyalität orientiert sich an der Religion.

Dass der Konflikt zwischen Regime und Opposition in Syrien auch in Libanon Folgen haben wird, war klar: Die beiden Länder eint, obwohl sie unabhängig sind, bis heute eine Hassliebe. Die Grenze ist durchlässig, Familien auf beiden Seiten sind miteinander verwandt, viele Syrer verbringen den Sommer in Beirut, die Geschäftsbeziehungen sind eng.

Die offizielle Einheit wurde von Damaskus als Besatzungsmacht jahrzehntelang erzwungen und endete erst mit dem Abzug der syrischen Truppen 2005. Sie reicht aber viel weiter in die Geschichte zurück. Was in Libanon geschieht, ist keinem Syrer gleichgültig; und umgekehrt.

Deshalb löst der Bürgerkrieg jenseits der Grenze in Libanon Unruhe aus. Die libanesischen Sunniten sehen seit einem Jahr zu, wie ihre aufständischen Glaubensbrüder vom Assad-Regime in Syrien abgeschlachtet werden. Sie liefern Waffen und Verbandszeug, in Städten wie Tripoli werden Verletzte behandelt, weil sie in syrischen Kliniken in die Hände der Polizei fallen würden. Tausende Syrer sind ins Nachbarland geflohen. Zugleich gewinnen in Libanon sunnitische Extremisten seit Jahren an Zulauf - willkommene Unterstützung für die Aufständischen in Syrien, in deren Reihen sich immer mehr Fundamentalisten finden.

Rückzugsraum für die Rebellion

Der mit Syriens Regime verbündete schiitische Hisbollah-Scheich Nabil Kaouk beschuldigte jüngst Libanons Sunniten, das Land "mit Absicht in die syrische Krise zu verwickeln, indem sie den Norden zum Nachschubkorridor und zur Basis für militante Syrer machen". Das stimmt. Die syrische Rebellion hat einen Rückzugsraum im Nachbarland.

Es ist aber keinesfalls so einfach, wie der Hisbollah-Mann glauben machen will. Denn das Sagen im Libanon hat die Schiitenmiliz Hisbollah selbst. Diese ist mit dem syrischen Herrscher Baschar al-Assad eng verbündet. Damaskus liefert die Waffen, mit denen die Hisbollah gegen Israel kämpft und gleichzeitig ihre Herrschaft über Libanon absichert. Sollte Assad fallen, säße die Schiitenmiliz in der Klemme: Syrien ist Partner, aber auch Brücke zu Iran, dem eigentlichen Patron und Finanzier der libanesischen Schiiten. Das Überleben des Assad-Regimes ist für die Hisbollah existenziell.

Die Verbindungslinien nach Syrien überschneiden sich in Libanon auch innenpolitisch: Die Sunniten um Ex-Premier Saad al-Hariri haben nicht verziehen, dass sie von der Hisbollah in die Opposition gezwungen worden sind. Sie sind schwächer, aber nicht weniger kämpferisch. Sowohl der Hisbollah als auch den Sunniten dient der Konflikt im Nachbarland dazu, unbezahlte Rechnungen geltend zu machen. Die Hisbollah gibt sich aufgrund ihrer strategischen Zwangslage dabei als Assads Handlanger.

Syriens Aufständische warnen bereits, Assad wolle auch in Libanon Chaos schaffen, um so seinem Regime Entlastung zu verschaffen. Das ist ebenso schlüssig wie die Vorwürfe der Hisbollah an die Sunniten. Denn in Libanon sind beide Seiten bereit, sich in den syrischen Konflikt hineinziehen zu lassen. Assad wäre das recht: Ein Teil seines Problems würde ausgelagert in ein Land, das wegen seiner innenpolitischen Probleme und seiner Geschichte beste Voraussetzungen für einen Bürgerkrieg bietet.

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