Präsidentschaftswahl in Ägypten:Fünf Männer buhlen um die Macht

Zum ersten Mal nach Mubaraks Sturz wählen die Ägypter einen neuen Staatschef - er soll die ungeliebte Militärregierung ablösen und gravierende Probleme des Landes am Nil in den Griff bekommen. Ein Überblick über die fünf aussichtsreichsten Bewerber.

Tomas Avenarius, Kairo

Die Ägypter wählen ihren Staatschef: Diese erste freie Präsidentschaftswahl nach dem Sturz von Hosni Mubarak im Februar 2011 soll die Wendemarke sein für das Land, das seit dem Tahrir-Aufstand nicht zur Ruhe kommt. Die Herrschaft des Militärs ist ungeliebt, aber die aktiv Protestierenden bilden im 85-Millionen-Volk keine Mehrheit.

Die Wirtschaft liegt am Boden. Die öffentliche Ordnung - falls es sie je gab - ist in Teilen verfallen. Die Mehrheit der 50 Millionen Wahlberechtigten wünscht sich vor allem eine Rückkehr zu stabilen Verhältnissen. Womit nicht gesagt sein soll, dass sie den despotischen Polizeistaat der Mubarak-Zeit wiederauferstehen lassen wollen oder eine dauerhafte Einmischung der Generäle in die Staatsgeschäfte gutheißen: Das politische Selbstbewusstsein der Ägypter ist gewaltig gestiegen seit dem Tahrir-Aufstand.

13 Kandidaten, alle Männer, bewerben sich um das Amt, das mit großen Vollmachten verbunden ist. Vier, bestenfalls fünf stehen im Zentrum des Interesses: Der ehemalige Außenminister Amre Mussa, der frühere Luftwaffenchef und später Luftfahrtminister Ahmed Schafiq, der Muslimbruder Mohammed Mursi, der unabhängige und gemäßigte Islamist Abdel Moneim Abul Futuh und - möglicherweise - der nasseristische Publizist und langjährige Oppositionspolitiker Hamdin Sabahi. Da wohl keiner dieser Kandidaten bei der zweitägigen Abstimmung am Mittwoch und Donnerstag mehr als 50 Prozent der Stimmen gewinnen wird, ist eine Stichwahl wahrscheinlich. Sie fände am 16. und 17. Juni statt.

Amr Mussa

Der 75-jährige Diplomat Amr Mussa war zehn Jahre lang Mubaraks Außenminister, bis der ihn zur Arabischen Liga weglobte: Mussa hatte immer wieder Kritik am Regime geäußert, besonders was die gemäßigte Israel-Politik angeht. Das System ganz in Frage gestellt hat Mussa nie. Er hat aber auch als Liga-Chef immer wieder auf die Verfallserscheinungen des Mubarak-Systems hingewiesen und früh die Tragweite des arabischen Frühlings erkannt.

Mussa ist der Kandidat derer, die sich vor den Islamisten fürchten und einen Staat mit einer weitgehend säkularen Verfassung wollen: Demokraten, Liberale, Christen, traditionalistische Muslime und Nationalisten. Hinzu kommen die, die sich nicht gegen Mubarak aufgelehnt haben, nun aber Stabilität mit mehr Demokratie suchen.

Ahmed Schafiq

Der frühere Kampfpilot Ahmed Schafiq hat sich den Slogan "Handeln, nicht reden" auf die Fahnen geschrieben und verkündet, er könne die öffentliche Ordnung in 24 Stunden wiederherstellen. Die Modernisierung der ägyptischen Zivilluftfahrt durch Minister Schafiq ist eine Erfolgsgeschichte der Mubarak-Zeit.

Weniger klar ist, welchen Stellenwert der 70-jährige Ex-General Demokratie und Bürgergesellschaft gibt: Er ist entschiedener Anti-Islamist, verspricht aber auch hartes Vorgehen gegen Korruption. Ob der säkulare Muslim standhaft gegenüber seinen früheren Kameraden wäre, den derzeit regierenden Generalen? Schafiq sagt, zumindest kenne er die Armee besser als alle anderen.

Mohammed Mursi

Mohammed Mursi heißt bei vielen Ägyptern "der Ersatzreifen". Denn die Muslimbrüder als mächtigste politische Organisation Ägyptens haben Mursi aus blanker Not heraus ernannt: Ihr eigentlicher Kandidat war vom Gericht gesperrt worden. Der farblose Ingenieur Mursi macht beim Wähler dennoch Punkte, denn die Muslimbrüder verstehen sich auf das Mobilisieren.

Die Ägypter haben die Islamisten jahrzehntelang als Wohlfahrtsorganisation in den Armenvierteln erlebt. Daher spielt es keine große Rolle, ob der Ex-Parlamentarier selbst ein gemäßigter oder ein hartleibiger Fundamentalist ist: Wer den 60-jährigen Mursi wählt, wählt die Brüder. Ob die Kadertruppe so modern und liberal ist, wie sie sagt, muss sich zeigen.

Abdel Moneim Abul Futuh

Der Mediziner Abdel Moneim Abul Futuh, 60, gehörte lange zu den Muslimbrüdern, hat sich aber Mitte 2000 mit den die islamistische Ideologie bestimmenden Kadern angelegt. 2011 wurde er hochkant herausgeworfen: Abul Futuh hatte eigenmächtig seine Präsidentschaftskandidatur ausgerufen.

Der Menschenfischer hat für den Wahlkampf ein sehr breites Bündnis aus Jugendvertretern, Liberalen, Linken, Christen, moderaten Islamisten und Radikal-Fundamentalisten um sich geschart. Wie er derart gegensätzlichen Interessen als Präsident Rechnung tragen könnte, ist offen.

Hamdin Sabahi

Hamdin Sabahi, 58, steht wie Abul Futuh am ehesten für die Tahrir-Opposition, mit Einschränkungen. Als Mitbegründer der Anti-Mubarak-Gruppe "Kefaya!" (Es reicht!) hat der Parlamentarier seit Anfang 2000 gegen das Regime gekämpft.

Der Journalist, der früh mit einem Arbeitsverbot belegt wurde, kommt als Nasserist mit linken Positionen und Israel-Kritiker auch bei einer breiteren Masse an: Die Zeit von Präsident Gamal Abdel Nasser gilt bei vielen - nostalgisch verbrämt - als die beste Ägyptens.

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