Kanye West und Jay-Z in Frankfurt:Superegos mit Stil

Ihr Material gehört zum Allerbesten, das Rap und Hip-Hop bislang hervorgebracht haben: Kanye West und Jay-Z bieten in der Frankfurter Festhalle eine Show, die vergleichsweise minimale Mittel mit maximal dominantem Egozentrismus verbindet. Das wirkt, auch wenn der Sound suppt. Doch ausgerechnet in den größten Momenten empfindet der Konzertbesucher auch kaltes Grausen.

Jens-Christian Rabe

Wenn Popkonzerte in Stadien oder großen Hallen gelingen, werden sie gerne als Gottesdienste bezeichnet. Das Bild ist abgenutzt, und leuchtet doch immer wieder sofort ein.

Kanye West und Jay-Z in Frankfurt: Der US-Rapper Jay-Z bei der "Watch-the-Throne"-Tour bei einem Auftritt in Paris: Nicht allzu tief sitzende schwarze Hosen, schwarze T-Shirts und schwarze Schuhe. Das modische Understatement bringt den viel zu schweren Goldschmuck um Hals und Handgelenk, die unverzichtbaren Insignien des Hip-Hop-Hochadels, aber natürlich nur umso besser zur Geltung.

Der US-Rapper Jay-Z bei der "Watch-the-Throne"-Tour bei einem Auftritt in Paris: Nicht allzu tief sitzende schwarze Hosen, schwarze T-Shirts und schwarze Schuhe. Das modische Understatement bringt den viel zu schweren Goldschmuck um Hals und Handgelenk, die unverzichtbaren Insignien des Hip-Hop-Hochadels, aber natürlich nur umso besser zur Geltung.

(Foto: AFP)

Die theologischen Analogien gehen einfach zu gut auf: Musikgeschmack ist Glaubenssache. Die Hingabe, die die Fans ihren Stars entgegenbringen, ist so universal wie irrational. Letztbegründungen gegenüber den Ungläubigen sind aussichtslos, die Missions- und Opferbereitschaft der Jünger dafür umso größer (man denke nur an die Preise für Tickets und Merchandising-Produkte). Die Rituale gehorchen strengen Regeln und haben allein ein Ziel: Überwältigung.

Es gibt nur einen großen Unterschied: Der Gott ist während seines Dienstes anwesend. Er leitet ihn sogar. Ist zugleich Wanderprediger, Hohepriester und höchstes Wesen seines eigenen Kults.

Von allen alten Superstars des Pop, das war auf seiner jüngsten Stadiontour durch Deutschland im Mai wieder unübersehbar, gibt Bruce Springsteen die Rolle wahrscheinlich am virtuosesten.

Er leitet die Macht mit gereckter Telecaster um zur großen Kommunion für die Würde des entwürdigten kleinen Mannes. Man kann das etwas albern finden, die Gratis-Pathos-Party auch ein bisschen lächerlich, aber immerhin hat er den Mut, sich nicht so zu zieren wie Bob Dylan, und er nimmt auch nicht gleich die erste Ausfahrt zum Hedonismus-Hochamt wie Madonna.

Man denkt noch mal daran, weil es einem beim gigantomanischen Konzert der beiden neben Lady Gaga derzeit vielleicht größten jüngeren Pop-Superstars Jay-Z und Kanye West gestern in der ausverkauften Frankfurter Festhalle ein paar mal noch kälter als erwartet den Rücken herunterlief.

Der Gottesdienst ist eben erst mal nur der logische formale Rahmen, wenn man sich einmal darüber klar ist, welches Problem jeder Superstar früher oder später hat. Er braucht eine Antwort auf die Frage: Was tun mit der unverhofften, aber unleugbaren Macht?

Wenn der Star dann nicht ganz blind durch die Welt rennt, weiß er schnell, dass er sich einer weiteren, noch älteren und noch größeren Frage stellen muss, nämlich der, wie er es hält mit dem Bösen in der Welt.

Popkultur-Phänomene der Größenordnung Dylan, Madonna, Springsteen oder eben Kanye West/Jay-Z sind genau deshalb und derzeit vielleicht sogar mehr denn je: politische Ereignisse - also gerade nicht reine Unterhaltungsmessen.

Anonym bleibende Ingenieure

Insbesondere demokratischen Massengesellschaften kann es nicht egal sein, welche Antworten ihre beliebtesten Massendompteure geben auf die heikelsten sozialen Fragen. Womit wir wieder beim kalten Grausen wären, das einen ausgerechnet in den größten Momenten in der Frankfurter Festhalle umfing.

Die Show ist eine irre Mischung aus vergleichsweise minimalen Mitteln und maximal dominantem Egozentrismus: Es gibt weder Tänzer, noch die sonst obligatorischen Trupps von unbekannten Hilfsrappern, noch eine echte Band. Für die korrekte Playback-Einspielung sorgen im Hintergrund drei fast ostentativ anonym bleibende Keyboard-Ingenieure.

Die Bühne ist eine große schwarze Metallrampe, über der zwei gigantische Bildschirme hängen. West und Jay-Z tragen enge, nicht allzu tief sitzende schwarze Hosen, schwarze T-Shirts und schwarze Schuhe. Das modische Understatement bringt den viel zu schweren Goldschmuck um Hals und Handgelenk der beiden, die unverzichtbaren Insignien des Hip-Hop-Hochadels, aber natürlich nur umso besser zur Geltung.

Wichtigstes technisches Spielzeuge neben den Displays sind zwei riesige Hebebühnen, eine direkt vor der Bühne, eine mitten im Publikum vor der VIP-Tribüne mit den roten Clubsesseln.

Die Podien schieben sich zum brachialen, gerne auch mal brachial übersteuerten Beatgewitter gleich am Anfang mit je einem der beiden regierenden Superego langsam sechs, sieben Meter nach oben, wobei sich die Seiten ebenfalls als Bildschirme zeigen, auf denen weiße Haie und später manch anderes Großwildraubtier umhermarodiert.

Damit ist die Botschaft klar: Hier sind zwei gereifte Multimillionäre mit Stil am Werk, die über die Ghetto-Uniform aus grotesk übergroßen Sportklamotten längst hinaus sind. Aber aufgepasst: Im Zweifel könnten sie einem immer noch den Hals umdrehen, wenn man dummdreist genug sein sollte, ihnen krumm zu kommen. Watch the throne!

Von dem, was hier gerappt wird, versteht man im Grunde kein Wort. Die Hits des gemeinsamen Albums "Watch The Throne" aus dem vergangenen Jahr wie "Who Gon Stop Me", "Gotta Have It" , "Otis" oder "Niggas In Paris" (das zum Schluss viermal hintereinander gespielt wird) und die diversen Solo-Hits wie Kanye Wests "Heartless", "Jesus Walks", und "Golddigger" oder Jay Zs "99 Problems", "Empire State Of Mind" und "Heart Knock Life" überrollen die Halle eher, als dass sie besonders sorgfältig aufgeführt werden.

Im Falle von West ist das nicht allzu schlimm, er ist ein überzeugenderer Produzent und Profi-Angeber als Rapper. Aber sogar Jay-Zs wirklich eindrucksvolle Wortakrobatik und die Feinheiten seiner, doch, doch, Dichtkunst, bleibt nur eine Ahnung, wird von der Halle aber natürlich trotzdem bei jeder Gelegenheit fanatisch gefeiert. Wie überhaupt der Wille zur Unterwerfung an diesem Abend mal wieder grenzenlos scheint.

Das ist einerseits kein Wunder, das Material gehört zum Allerbesten, das Rap und Hip-Hop bislang hervorgebracht haben. Das wirkt auch, wenn der Sound suppt. Und zwar schon allein, weil die Geste der aggressiven Selbstbehauptung gegen alle Widerstände, die im Kern dieser Kunst steht, immer unmissverständlich bleibt. Einerseits. Andererseits kann es aber eben auch gut passieren, dass man plötzlich, am Ende von "Welcome To The Jungle" gemeinsam andächtig mit den Königen auf die beiden Großbildschirme sieht, auf dem ein Rudel Geparde eine Antilope jagt und schließlich zerfleischt.

Und da ist sie dann, die Antwort von Kanye West und Jay-Z auf die Frage, wie sie es halten mit dem Bösen in der Welt. Die Andacht ist in dem Moment keine mitleidende, sondern eine Lektion. Wer nicht frisst, der wird gefressen. Wir fressen.

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