US-Präsidentschaftskandidat Rocky Anderson:Obamas unbekannter Herausforderer

Amerika ist auf dem Weg in die Tyrannei und Obama schlimmer als Bush: Aus Frust hat Rocky Anderson, Ex-Bürgermeister von Salt Lake City, die "Justice Party" gegründet und will US-Präsident werden. Ein Besuch in der Wahlkampfzentrale eines hoffnungsvoll Hoffnungslosen.

Matthias Kolb, Salt Lake City

US-Präsidentschaftskandidat Rocky Anderson: Rocky Anderson wird nicht der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Rocky Anderson wird nicht der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

(Foto: Matthias Kolb)

Rocky Anderson ist wütend, aber er bleibt realistisch. "Ich erwarte nicht, die Wahl zu gewinnen", sagt der Ex-Bürgermeister von Salt Lake City, der am 6. November dieses Jahres gegen Barack Obama und Mitt Romney antritt. Als Präsidentschaftskandidat der Justice Party wolle er jenen Wählern eine Alternative bieten, die weiter an Klimaschutz und Rechtsstaatlichkeit glauben - und sich von Obama verraten fühlen. Dieser, so Anderson, führe die USA in die Tyrannei.

Anderson ist ein sympathischer Herr mit weißen Haaren, der Besuchern den Kaffee persönlich bringt. Wie Millionen seiner Landsleute ist er jedoch zutiefst enttäuscht von dem Mann, der seit Januar 2009 im Weißen Haus sitzt. Folter als Verhörmethode, das Gefangenenlager in Guantanamo, der illegale Einmarsch in Irak - keines dieser "Verbrechen" sei von der Regierung Obama aufgeklärt worden, klagt der studierte Jurist.

Die Beugung von Recht und Gesetz durch die Politik lasten Liberale oft allein Ex-Präsident George W. Bush und seinem Vize Dick Cheney an. Doch für Anderson haben sich die Probleme unter Obama sogar noch verschlimmert: "Erstmals in der Geschichte haben wir einen Präsidenten, der amerikanische Bürger ohne Prozess hinrichten lässt."Der 60-Jährige meint damit die Tötung des in den USA geborenen Al-Qaida-Führers Anwar al-Awlaki im Jemen.

Nach und nach kommt Anderson in Fahrt: "Obama nimmt sich das Recht heraus, mit dem Finger auf jeden Menschen auf der Erde zu zeigen und dessen Entführung anzuordnen, ohne dass ein Richter dies genehmigt. Diese Menschen können lebenslang eingesperrt bleiben. Dies ist der Gulag Amerika." (Details zum Anti-Terror-Gesetz in diesem SZ-Artikel.)

Der Einsatz von Drohnen in Pakistan, Afghanistan, Jemen und Somalia habe seit 2009 stark zugenommen und verschlechtere das Image der USA im Rest der Welt noch weiter, meint Anderson. Er kann es noch immer nicht glauben, dass die Abgeordneten und Senatoren den Präsidenten nicht richtig kontrollieren: "Die amerikanische Verfassung besagt eindeutig, dass nur der Kongress das Recht hat, Kriege zu erklären." Doch der War Powers Clause werde schlicht ignoriert. Allerdings, ätzt Anderson, dürfe man nicht viel von einer Außenministerin erwarten, die als Senatorin dafür gestimmt habe, Präsident George W. Bush freie Hand zu gewähren.

Vorbild Freiburg

Früher wären Anderson solch spöttische Worte über Hillary Clinton wohl kaum über die Lippen gekommen. Jahrzehntelang war er ein stolzes Mitglied der Demokraten. An der Wand seines Büros hängen Fotos, die ihn mit Bill Clinton und dem Dalai Lama zeigen. Im Jahr 2000 wurde er zum Bürgermeister von Salt Lake City gewählt. Anderson, der von Reisen nach Freiburg schwärmt ("Vorbild für jeden Kommunalpolitiker"), setzte sich in Utahs größter Stadt für mehr Klimaschutz und Bürgerbeteiligung ein. Immer noch sieht er sich großen Herausforderungen gegenüber.

Nach zwei Amtszeiten als Bürgermeister baute Anderson die Nichtregierungsorganisation Highroad for Human Rights auf, die im In- und Ausland aktiv ist. Doch er kam bald zu dem Schluss, dass eine NGO ungeeignet ist, um seine Mitbürger aufzurütteln. Also stieg er im November 2011 bei den Demokraten aus und gründete die Justice Party.

"Erbärmliche Diskussionskultur"

Wer die Wahlkampfzentrale besuchen will, muss durch den Seiteneingang eines Biomarkts hinauf in den ersten Stock. In Utah kennen die Menschen Rocky Anderson, doch im Rest Amerikas ist der 60-Jährige bislang weitgehend unbekannt.

Der 24 Jahre alte Walter Mason will das ändern. Er ist einer von vier Angestellten, die für einige hundert Dollar im Monat für voterocky.org arbeiten. Die meiste Zeit verbringt der Psychologe Mason damit, Freiwillige zu koordinieren, die die Anerkennung der Justice Party in den einzelnen Staaten vorantreiben. Das sei frustrierend, sagt er, denn jeder Staat habe eigene Gesetze: "In Vermont muss man mindestens 1000 Unterschriften sammeln und diese dann von Verwaltungsbeamten bestätigen lassen." Der ganze Vorgang habe sich so lang verzögert, dass die "Justice Party" dort am Ende scheiterte, berichtet der junge Mann. Dies seien die typischen Probleme, vor denen kleine Parteien und unabhängige Kandidaten in Amerika stehen - Demokraten und Republikaner hätten dafür gesorgt, dass es Konkurrenten sehr schwer haben. Zudem benachteilige das Mehrheitswahlrecht kleine Parteien.

Dennoch hofft Mason, dass Andersons Name am 6. November in mindestens zwei Dutzend US-Staaten auf dem Wahlzettel steht - in Utah, Oregon und Mississippi hat es bereits geklappt und Kalifornien sei nur eine Formsache. Auch ihn treibt die Enttäuschung über Barack Obama an, dem er 2008 seine Stimme gegeben hatte: "Viele Leute in meinem Alter dachten damals, dass es endlich einen Politiker gibt, der versteht, dass wir mit dem Internet aufgewachsen sind und daher die Welt anders wahrnehmen." Sie hätten damals auf mehr Frieden und Wandel gehofft, doch nun konstatiert Mason: "In diesem korrupten System zählen weiter nur die Interessen der Firmen."

Die Reform der Wahlkampffinanzierung und der Kampf gegen Korruption (mehr über den Einfluss des Geldes auf die US-Politik in diesem Süddeutsche.de-Artikel) stehen oben auf Andersons Agenda. Er sorgt sich um sein Land. Seit dem Gilded Age, der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, habe es keine größere Ungleichheit mehr gegeben, findet Anderson: "Wir haben eine extrem reiche Elite und zugleich verlieren Millionen Bürger ohne Schuld ihre Häuser. An der Wall Street wurde und wird betrogen, doch die Regierung weigert sich, die Mächtigen zur Verantwortung zu ziehen."

Wenn in Amerika das Recht weiterhin unterschiedlich angewandt werde, sei das Land auf dem Weg in die "Tyrannei". Nahezu täglich bekommt Anderson die Möglichkeit, seine harsche Kritik an der Obama-Regierung und dem Politbetrieb in Radio-Interviews zu äußern. Doch ähnlich wie Jill Stein, die Bewerberin der Grünen, wird er von den kommerziellen Fernsehsendern völlig ignoriert, obwohl die Mehrheit der Amerikaner der Meinung ist, ihr Land bewege sich in die falsche Richtung und die Zustimmungsrate des US-Kongresses bei mickrigen zehn Prozent liegt.

"Unser Land hat viel mehr drauf"

Den Sendern gefalle seine Botschaft nicht, vermutet der 60-Jährige, der jedoch nicht allein die Medien für die "erbärmliche Diskussionskultur" verantwortlich macht: "In unserer Gesellschaft geht etwas Seltsames vor sich: Die Menschen entfernen sich immer mehr vom Rest der Welt. Ich weiß, wie aufmerksam die Leute in Europa oder Indien die Politik verfolgen und darüber diskutieren." In Amerika kenne er nur wenige, die noch regelmäßig eine Tageszeitung lesen.

Anderson hofft, dass er dennoch in den kommenden Monaten den Diskurs beeinflussen kann. Als typischer Amerikaner ist Rocky Anderson optimistisch: "Wenn die Bürger Änderungen einfordern, dann verbessert sich irgendwann die Politik. Unser Land hat viel mehr drauf."

Linktipp: Weitere Informationen über Rocky Anderson und seinem Wahlprogramm sind auf voterocky.org zu finden.

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