Urbane Mobililtät:Kampf um jeden Millimeter

Autos brauchen Platz. Und sie nehmen ihn sich. Der Radverkehr hingegen wird in Deutschland oft vernachlässigt, vor allem in Städten. Immer mehr Metropolen wollen nun den Fahrradverkehr fördern. Doch die Autofahrer räumen nur widerwillig das Feld.

Michael Tibudd

Der Altstadtring mag qua Gewohnheitsrecht für die Autos da sein, aber in diesem Moment zählt Gewohnheit nichts. Vom rechten Fahrstreifen des dreispurigen Rundkurses um die Münchner Innenstadt ertönen nicht Motorengeräusche und lautes Hupen, sondern ein Konzert von Klingeln, dazu Gelächter. Beats scheppern aus einer kleinen Musikanlage, die einer auf seinem Gepäckträger montiert hat. Etwa 50 Radfahrer sind unterwegs in der Dämmerung eines Sommerabends kurz nach Ende des Berufsverkehrs, sie feiern so etwas wie eine kleine Party im Straßenverkehr, und sie benutzen dafür die Fahrbahn.

Wer sich ein bisschen mit den gängigen Verkehrsregeln in Deutschlands Innenstädten auskennt, der weiß: Die Szene ist eine kleine Sensation. Denn eine innerstädtische Fahrbahn ist hierzulande meist den Autofahrern vorbehalten. Radfahrer gehören auf den Radweg, und der Radweg soll möglichst getrennt von der eigentlichen Straße verlaufen - nach diesem Credo wurde in vielen deutschen Städten jahrzehntelang Verkehrspolitik gemacht und in Asphalt und Beton gegossen. Dagegen wollen Leute wie die Münchner Radaktivisten ein Zeichen setzen: "Wir behindern nicht den Verkehr", heißt das Motto der Veranstaltung. "Wir sind der Verkehr." Die Botschaft: Man nimmt sich demonstrativ ein Stück von dem, was einem im Alltag vorenthalten wird. Sollen die Autofahrer halt ein wenig verärgert hupen.

In vielen Städten Deutschlands steigen allmonatlich diese "Critical Mass" genannten Veranstaltungen - kommt dabei eine Gruppe von mindestens 16 Radlern zusammen, der kritischen Masse also, können sie ganz legal auf allen Straßen fahren. Weil das kaum jemand weiß, gelten die meist über soziale Netzwerke im Internet organisierten Aktionen dennoch als Protest. Sie werfen dabei ein Schlaglicht auf den Verteilungskampf, der sich in den Städten mehr und mehr zuspitzt: den Kampf um Platz auf den Straßen.

In diesen Kampf will nun auch die große Politik wieder eingreifen. Noch im September soll eine Neuauflage des "Nationalen Radverkehrsplans" durchs Bundeskabinett gehen. Bis 2020 soll dieser Ziele zur Förderung des Radverkehrs vorgeben - wobei die Umsetzung freilich in der Hauptsache bei den Kommunen selbst liegt, und da sind die Unterschiede ganz offensichtlich groß: "Die Förderung des Radverkehrs ist in vielen Städten vernachlässigt worden", sagt denn auch Roland Huhn vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub ADFC. Aus Sicht der Radlerlobby gilt allerdings Münster seit Langem als Musterbeispiel: Nirgendwo in Deutschland ist der Radverkehrsanteil so hoch wie dort, 38 Prozent der Wege werden mit dem Rad zurückgelegt. Kurioserweise klappt das dort ohne aufwendige Förderprogramme und Kampagnen. Insbesondere die vielen Studenten in der Stadt fuhren und fahren einfach Rad, weil es ihnen als die beste Alternative erscheint.

Stadtverwaltungen wollen den Radverkehr fördern

Anderswo steigen die Leute nicht von selbst aufs Rad: In Frankfurt am Main und Hannover etwa stellten die Stadtverwaltungen gezielt Mitarbeiter ein, die sich mit der Förderung des Radverkehrs befassen. "Die Kommunen haben erkannt, dass der Radverkehr tatsächlich steigt, wenn man etwas dafür tut", heißt es vom ADFC. Am augenscheinlichsten ist das in München, wo eine groß angelegte Kampagne vom Plan kündet, man wolle "Radlhauptstadt" werden. Ziel ist hier eine Steigerung des Radverkehrsanteils von 14 auf 17 Prozent. In Frankfurt am Main liegt die Quote bei 13, in Berlin bei stattlichen 20 Prozent. Als besonders fahrradunfreundliche Großstadt gilt dem ADFC Hamburg mit einem Anteil von allerdings immerhin zwölf Prozent. Die Verwaltung räumt "Nachholbedarf" ein; dass der wirklich groß ist, belegt womöglich auch der außergewöhnlich hohe Zuspruch für die dortigen Critical-Mass-Abende: Ende Juli fuhren zuletzt nach Angaben der Polizei 2000 Radler gemeinsam durch die Innenstadt, der Tross zog sich über einen Kilometer Länge dahin.

Was macht nun eine Stadt besonders fahrradfreundlich? Zustände wie in Kopenhagen gelten als das Ideal schlechthin. Durch die dänische Hauptstadt führen eigene Radler-Schnellstraßen, Service-Stationen bieten Möglichkeiten zum Luft-Aufpumpen und zur Fahrradwäsche zwischendurch. Viele Teile der Stadt sind zudem nach dem Prinzip des Shared Space gestaltet: Alle Verkehrsteilnehmer teilen sich gleichberechtigt den Raum. Radverkehrsaktivisten in Deutschland wären indes schon zufrieden, wenn geltende Regeln umgesetzt würden: Schon seit 1997 legt die Straßenverkehrsordnung fest, dass ein Radweg mindestens 1,50 breit sein muss, andernfalls braucht ein Radfahrer ihn nicht zu benutzen. "Das wurde jahrelang ignoriert", heißt es vom ADFC, der deswegen einen steten Kampf darum führt, dass an den schmalen Wegen die blauen Radwegschilder abmontiert werden - dann dürfen Radler offiziell auf die Straße. Dass das für Radfahrer auch tatsächlich sicherer ist, hat sich mittlerweile auch in vielen Stadtverwaltungen herumgesprochen, weswegen auf der Fahrbahn markierte Radstreifen immer häufiger zu sehen sind. Die Radler sind dann stets im Blickfeld der Autofahrer, weswegen es deutlich seltener zu Unfällen insbesondere mit rechtsabbiegenden Autofahrern kommt.

Letztere fühlen sich durch solche Entwicklungen freilich benachteiligt, schließlich wird ihnen Platz weggenommen. Allerdings sieht sogar der ADAC die Vorteile für den Radverkehr - und verzichtet auf Fundamentalopposition. "Grundsätzlich stellen Radfahrstreifen eine gleichwertige Alternative zu Bordsteinradwegen dar", teilt der Autoclub mit.

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