Präsidenten-Rede auf dem Parteitag der Demokraten:Obama redet sein Amerika stark

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"Ihr seid der Wandel": Mit einer leidenschaftlichen Rede kämpft der US-Präsident auf dem Parteitag der Demokraten um seine Wiederwahl. Barack Obama bemäntelt seine bescheidene Bilanz - für "Hope" und "Change" brauche es Zeit. Überraschend heftig greift er Mitt Romney an. Doch der Funke springt erst spät über.

Matthias Kolb, Charlotte, und Sebastian Gierke

Als er die Bühne betritt, im Hintergrund feierliche, pathetische Musik, erfüllt die Begeisterung die Halle bis in den letzten Winkel, wird zu vibrierender Energie, umhüllt den Mann auf der Bühne. Der Jubel: grenzenlos. Der Applaus der 80.000: ohrenbetäubend. Barack Obama bedankt sich. "Thank you. Thank you so much." Immer wieder. "Thank you." Einmal, zweimal. Der Applaus wird lauter. "Thank You." Zehnmal, elfmal. Der Applaus kann nicht mehr lauter werden. Obama versucht die Menge zu beruhigen. "Yes, we can." Schallt es ihm entgegen. "Thank you." Zwanzigmal. Fast drei Minuten sind vergangen. Erst nach dem 32. "Thank you" kann er mit seiner Rede beginnen.

"Ich bin nicht nur ein Kandidat. Ich bin jetzt der Präsident": Barack Obama während seiner Rede auf dem Parteitag der Demokraten in Charlotte. (Foto: AFP)

Das war vor vier Jahren, als Barack Obama in Denver die Nominierung seiner Partei zum Präsidentschaftskandidaten annahm. Der Prediger. Der Messias. Die Lichtgestalt.

2012 - es läuft die gleiche Musik wie damals im Hintergrund, als er die Bühne des demokratischen Parteitags in Charlotte betritt und seine Frau Michelle in den Arm nimmt, die ihn vorgestellt hat - sind nur noch sieben, vielleicht achteinhalb "Thank You" notwendig, bis die Menschen ruhig werden und Obama mit seiner Rede beginnen kann. Bis der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika seine Nominierung als Präsidentschaftskandidat annehmen kann.

Die vier Jahre haben Spuren bei Obama hinterlassen, das Haar grau, die Falten im Gesicht tiefer. Vor vier Jahren lagen ihm die Menschen zu Füßen, obwohl er als Politiker zuvor nicht allzu viel geleistet hatte. Sie feierten ihn für die Hoffnung, die er ihnen gab, die Hoffnung auf ein neues Amerika. Er hatte genau drei Jahre, zehn Monate und drei Tage Zeit, diese Hoffnung zu erfüllen. Doch vielen ist das, was er getan hat, zu wenig. Der Change, der Wandel zum Guten, das müssen auch Anhänger des Präsidenten zugeben, der ist nicht eingetreten.

Wie spricht also ein Entzauberter von Hope und Change, wie spricht einer, der so hohe Erwartungen geweckt hat, die nicht erfüllt wurden, zu einer schwer gebeutelten Nation?

Barack Obama sagt: "Ich bin nicht nur ein Kandidat. Ich bin jetzt der Präsident." Er hat an diesem Abend nur eine Chance. Er muss den Blick nach vorne richten, in die Zukunft. Er darf sich nicht im Zurückblicken verheddern. Er muss neue Hoffnung wecken. Und er muss deutlich machen: Am 6. November steht Amerika vor einer Richtungsentscheidung. Choice, dieses Wort versuchte er seinen Zuhörern einzuhämmern. "Es wird eine Wahl zwischen zwei verschiedenen Wegen für Amerika sein. Eine Wahl zwischen zwei fundamental verschiedenen Visionen für die Zukunft."

"Unser Weg führt zu einem besseren Ort"

Seine vom Publikum umjubelte Vision: ein gerechtes Amerika, mit gleichen Chancen für alle. Immer wieder nennt er sie beim Namen: Weiße, Schwarze, Latinos, die Mittelklasse, die Immigranten, die Frauen, die Arbeiter, die Schwulen. Ihnen allen wolle er eine bessere Zukunft ermöglichen. Sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney wolle dagegen den Staatshaushalt mit "Billionen-Ausgaben für neue Steuergeschenke für die Reichen" sanieren. "Tja, rechnet das mal aus", sagt er. "Wenn ihr nicht wollt, dass die Verheißungen dieser Nation nur für wenige reserviert sind, muss eure Stimme in dieser Wahl gehört werden."

Obama versucht mit allen rhetorischen Mitteln seine Botschaft von "Hope and Change" wiederzubeleben, die ihn 2008 als ersten Afroamerikaner ins Weiße Haus getragen hatte. Die Hoffnung sei in den vergangenen Jahren "auf die Probe gestellt" worden, das räumt der Präsident ein. "Ich habe nie gesagt, dass dieser Weg einfach sein würde, und ich werde das auch jetzt nicht versprechen." Aber Change sei weiter möglich, sagt Obama. "Unser Weg ist hart, aber er führt zu einem besseren Ort."

Und Obama, der seine Brillanz als Redner, seine Überzeugungskraft in dieser Nacht wieder unter Beweis stellt, findet einen Trick, um seine Botschaft vom Wandel nicht abgestanden und phrasenhaft klingen zu lassen. Nicht wie einen Nachhall längst vergangener, besserer Zeiten seiner Präsidentschaft. Obama sagt, nicht er, der Präsident, verkörpere den Wandel. Sondern: "Ihr seid der Wandel". Schon vor vier Jahren sei es gar nicht um ihn gegangen, sondern um die Menschen, die Amerikaner.

Was er nicht gesagt hat, was aber in diesen Worten mitschwingt: Wenn Ihr euch jetzt von mir abwendet, dann wendet Ihr Euch auch von Euch selbst ab. Dann glaubt ihr nicht an Euch. Dann müsst Ihr Euch Euer eigenes Versagen eingestehen. Ist es da nicht besser, es noch einmal zu versuchen? "Wir kehren nicht um. Wir lassen niemanden zurück. Wie ziehen uns gegenseitig hoch. Gewinnen Stärke aus unseren Siegen, und lernen aus unseren Fehlern", sagt Obama. "Und wir wissen, dass wir gesegnet sind, Bürger der größten Nation auf der Erde zu sein. "

Inhaltliche Überraschungen hat der Präsident dagegen keine zu bieten. Keine neuen Pläne, keine neue Ziele, keine neuen Ideen. Viel von dem, was Obama in dieser Nacht verspricht, hatte er schon vor vier Jahren versprochen. Dennoch: Obama ist konkreter, als Romney es vor einer Woche auf dem Parteitag der Republikaner war.

"Unsere Freunde auf dem republikanischen Parteitag waren glücklich, darüber zu sprechen, was nach ihrer Ansicht falsch läuft mit Amerika", ruft Obama den Delegierten zu. "Aber sie haben nicht viel darüber zu sagen gehabt, wie sie es richtig machen würden", schimpft Obama. Und geht dann ins Detail.

Obama-Rede auf dem Parteitag der Demokraten
:Stunde des Präsidenten

Man nehme viel Pathos, spare nicht an Attacken auf Romney und würze mit einer Prise Hoffnung: Das Rezept für Barack Obamas wichtigste Rede im Wahlkampf ist einfach, die Wirkung begrenzt. Zwar erreicht der Präsident einen neuen Twitter-Weltrekord. Aber die Stimmung auf dem Parteitag der Demokraten kann nicht mit 2008 mithalten. Die Höhepunkte des Obama-Auftritts.

Eine Million neue Industriejobs bis Ende 2016 will er schaffen, bis 2014 sollen die Exporte verdoppelt werden. Die Ölimporte will der Präsident bis 2020 halbieren, außerdem verspricht er den Kampf gegen den Klimawandel. Das Haushaltsdefizit soll im Umfang von vier Billionen Dollar reduziert werden.

Prominenz auf dem Parteitag der Demokraten
:Die weibliche Antwort auf Clint Eastwood

Scarlett Johansson, Eva Longoria, die Foo Fighters: Mit zahlreichen Größen der US-Prominenz positioniert sich Präsident Obama auch in Sachen Glamour gegen seinen Herausforderer Romney. Die Promis sorgen zwar für weniger Aufsehen als Clint Eastwood auf dem Republikaner-Parteitag, aber für mehr Imagegewinn.

Obama zieht mit dieser Botschaft seit vielen Monaten durch ein schwer gebeuteltes Land. Sie hat bislang nicht verfangen. Es hat viele nicht überzeugt, wenn Obama sagte, es hätte alles angesichts der Folgen der Finanzkrise noch schlimmer kommen können. Zu tief sitzt die Enttäuschung, zu groß ist die Angst vieler Wähler.

Und so begann Obama, Stimmen nicht mehr für sich zu verlangen, sondern gegen Romney. Er wollte von sich ablenken und den Gegner diskreditieren. Auch während seiner Rede auf dem Parteitag attackiert er die Republikaner und deren Blockadepolitik schärfer, als das viele erwartet hatten.

Immer wieder brandmarkt er Romney als einen, der keine Lösungen für die wirtschaftlichen Probleme der Mittelklasse hat, der die Steuern nur für die Reichen, die Millionäre senken will, der alles für freien Markt tut, dabei aber vergisst, Jobs "zu Hause, in Amerika" zu schaffen.

"Ich glaube nicht, dass Steuersenkungen für Millionäre oder das Zurückfahren von Regulierungen für die Wall Street unser Land weiter bringen", sagt der 44. Präsident der USA. "Das hatten wir schon einmal, das haben wir schon probiert und wir gehen dorthin nicht zurück. Wir gehen nach vorne."

Und auch wenn Obama Fehler eingesteht, auch wenn er sagt: "Ich bin kein perfekter Präsident". Der 51-Jährige hält eine sehr maskuline, fast kraftmeierische Rede. Offensiv und selbstbewusst. Führungsstark sei er und erfahren. Der Krieg im Irak sei beendet, die Soldaten werde er auch aus Afghanistan zurückholen. "Und Osama bin Laden ist tot." Obama hat seine Anhänger jetzt endlich im Griff. Fast 30 Minuten hat es gedauert. "Mein Kontrahent und sein Vizekandidat sind Neulinge in der Außenpolitik. Und sie sind verhaftet im Geist des Kalten Kriegs." Der Jubel ist gewaltig.

Zuvor hatte John Kerry, der 2004 gegen George W. Bush verlor, Obamas außenpolitische Bilanz gelobt, die von den Wählern in Umfragen besser bewertet wird als seine Wirtschaftspolitik. "Fragt Osama bin Laden, ob es ihm heute besser gehe als vor vier Jahren", rief der Senator der Menge zu. Seit langem sei kein Kandidatenpaar in Außenpolitik unerfahrener gewesen als Mitt Romney und Paul Ryan.

Romneys umstrittene Aussage, Russland sei Amerikas geopolitischer Feind Nummer eins, konterte Kerry: "Sarah Palin hat gesagt, sie könne Russland von ihrer Haustür sehen. Mitt Romney redet, als kenne er Russland nur aus Rocky IV." Und mit donnernder Stimme rügte Kerry, der als Obamas nächster Außenminister gehandelt wird, dass der Republikaner in Tampa das Wort Afghanistan nicht in den Mund genommen hatte: "Kein Präsidentschaftskandidat sollte jemals daran scheitern, unseren in einem Krieg kämpfenden Soldaten in seiner Parteitagsrede Tribut zu zollen."

Als letzter vor Obamas Auftritt hatte sich Vizepräsident Joe Biden als einer der besten Zeugen präsentiert, der über den Charakter von Obama sprechen könne: "Ich nehme euch mit ins Weiße Haus. Ich sehe ihn in Action." Trotz ihres unterschiedlichen Alters hätten sie viel gemein.

In seiner Rede sprach Biden ausführlich darüber, wie Obama in den beiden entscheidenden Situationen der ersten Amtszeit agiert habe, die der 69-Jährige kongenial in den Slogan "General Motors lebt, Bin Laden ist tot" gepackt hatte. In der existenzbedrohenden Krise der US-Autofirmen habe der Präsident weniger an die Firmen, sondern habe vor allem die Menschen gesehen, die diese Fahrzeuge bauen und verkaufen. Mitt Romney sei kein schlechter Mann, versichert Biden, doch der Republikaner habe eins nicht begriffen, als er Detroit bankrott gehen lassen wollte: "Es ging nicht nur um die Autoindustrie, sondern um Amerikas Stolz."

Auf den Gängen wird wenig geredet

Am Ende erfüllte Biden die für Vizepräsidenten typische Rolle des Attack Dog und griff das Team Romney/Ryan an. Biden endete mit einem optimistischen Fazit: "Wir haben uns noch nicht völlig erholt, aber wir sind auf einem guten Weg. Amerikas beste Tage liegen noch vor uns."

Das ruft auch Obama in den Jubel seiner Anhänger hinein. Doch der fällt nicht so euphorisch aus wie bei Bill Clinton am Vortag. Es fehlt die Magie. Obama ist nicht mehr der Messias. Schon als das Konfetti nach Obamas 40-minütiger Rede durch die Luft geblasen wird und die First Family in die Kameras winkt, kommt auf den Rängen der Arena Hektik auf. Die Besucher knipsen Erinnerungsfotos, klemmen sich die roten Schilder mit dem Aufdruck "FIRED UP" und die blauen Schilder mit dem Kampagnenmotto "FORWARD" unter den Arm und eilen zum Ausgang.

Kaum jemand bleibt zurück, weil er sich nicht lösen kann oder den Moment auskosten möchte. Auch auf den Gängen wird wenig geredet. Die Besucher sind zufrieden, aber nicht begeistert, nicht angestachelt. Die legendären Frage-Antwort-Sprechchöre "Fired Up - Ready to go" verstummen schnell. Das Gefühl, etwas Historisches miterlebt zu haben, dürften nach der Rede Obamas nur wenige verspüren.

Linktipp: Die Rede im englischen Wortlaut bei der New York Times.

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