Angriffe auf US-Vertretungen:Romney blamiert sich mit Attacke auf Obama

Der Präsident hege Sympathie für Terroristen und zeige Führungsschwäche: Mit heftiger Kritik an Obama will Romney im Wahlkampf punkten. Auf Fakten nimmt der Außenpolitik-Novize keine Rücksicht. Obama lästert und manch ein Konservativer fühlt sich an Sarah Palin erinnert.

Matthias Kolb, Washington

In der Zentrale der Republikaner in Boston war man sich einig: Die Chance zur Profilierung ist günstig. In allen Umfragen liegt ihr Kandidat Mitt Romney hinter US-Präsident Barack Obama zurück, wenn es um außenpolitische Kompetenz geht. Und seit Tagen wird der Republikaner auch aus den eigenen Reihen kritisiert, weil er bei seiner Parteitagsrede die US-Soldaten in Afghanistan nicht erwähnt hatte.

Als nun die Bilder der gewaltsamen Proteste vor US-Vertretungen in Bengasi und Kairo über die Bildschirme flimmern, wird schnell eine scharfe Reaktion formuliert. "Es ist eine Schande, dass die erste Reaktion der Obama-Regierung nicht darin bestand, die Attacken auf unsere diplomatischen Vertretungen zu verurteilen, sondern Sympathie für die Angreifer zu zeigen", steht in der von Mitt Romney persönlich gebilligten Erklärung, die am 11. September gegen 22:09 Uhr verschickt wird. Der Satz bezieht sich auf ein Statement (hier im Original), in dem sich die US-Botschaft in Kairo von dem Anti-Mohammed-Film (Hintergründe hier) distanziert, der die Proteste in Ägypten ausgelöst hatte.

Als das Romney-Team etwa eine Viertelstunde später erklärt, das Statement sei sofort gültig und die aus Respekt vor den Opfern der Anschläge von 9/11 erlassene Sperrfrist aufgehoben, ist im politischen Washington klar: Der Republikaner sucht die Auseinandersetzung auf dem für ihn unbekannten und heiklen Gebiet der Außenpolitik - und wiederholt die im konservativen Amerika so beliebte Behauptung, Obama entschuldige sich zu oft und schwäche so die USA.

"Geschmacklose politische Attacken"

Mehr als 24 Stunden später steht fest: Romney hat weder an Profil gewonnen noch Kompetenz ausgestrahlt. Beim Fernsehsender Fox News urteilt Peggy Noonan, einflussreiche Kolumnistin des konservativen Wall Street Journal: "Mitt Romney hat sich in den vergangenen Stunden keinen Gefallen getan." Im Schutz der Anonymität äußern sich republikanische Strategen bei Buzzfeed entsetzt über dieses "nicht präsidiale Verhalten" und sprechen von einem "Desaster". Und der Politberater Matthew Dowd, einst in Diensten von George W. Bush, ätzt: "Es fühlt sich fast an, als würde er von Sarah Palin beraten."

Angesichts des Todes von vier US-Diplomaten und -Botschaftsmitarbeitern hat sich der Republikaner für die Washington Post mit seinen "geschmacklosen politischen Attacken" als Präsidentschaftsbewerber diskreditiert und in der New York Times gibt Romneys Parteifreund Peter King, Chef des Ausschusses für innere Sicherheit im Repräsentantenhaus, zu Protokoll: "Ich hätte zwölf oder 24 Stunden gewartet und ein umfassenderes Statement abgegeben".

Am Morgen des 12. September ist klar, dass Romney eine Grundregel der Diplomatie ignoriert hat: Er hat über etwas gesprochen, ohne alle Fakten zu kennen. Denn bereits in den morgendlichen TV-Sendungen besteht kein Zweifel mehr: Das so harsch kritisierte Statement der Botschaft in Kairo war nicht vom Außenministerium in Washington abgesegnet und zudem Stunden vor den ersten Protesten veröffentlicht worden (Chronik der Ereignisse und Statements inklusive Videos bei The Atlantic).

Rhetorisch dürftiger Auftritt

Umso erstaunlicher ist dann die Rede von Mitt Romney in Jacksonville, wo er eigentlich Wahlkampf machen wollte: Anstatt den Fehler zu korrigieren und angesichts der Tatsache, dass erstmals seit 1988 ein US-Botschafter während der Ausübung seiner Pflichten ums Leben kam, vor allem zu nationaler Einheit und Trauer aufzurufen, verwendet er das Kairoer Statement nach der simplen Logik "Botschaft = Regierung = Obama" wieder gegen den Demokraten.

Wieder erweckt er den Eindruck, die Diplomaten hätten Verständnis gezeigt, als Protestierende bereits auf das Botschaftsgelände stürmten - dabei wurde der Angriff in einer neuen Erklärung verurteilt. Es sei stets ein Fehler, sich "für Amerikas Werte zu entschuldigen", sagte der 65-Jährige, der in dem neunminütigen, rhetorisch dürftigen Auftritt (hier im Video) nicht erklärt, wie er als Präsident in der gleichen Situation gehandelt hätte.

Insofern wundert es nicht, dass der Republikaner auch nach den deutlichen Erklärungen von Außenministerin Hillary Clinton ("sinnloser Akt der Gewalt") und Präsident Obama ("der Gerechtigkeit wird Genüge getan werden") nicht von dieser Position abweicht. Obamas Aussage wird von vielen Beobachtern so interpretiert, dass so schnell wie möglich US-Drohnen über Libyen nach den Tätern und Hintermännern des Angriffs auf das US-Konsulat suchen werden.

Wie Romney souverän und zugleich politisch klug hätte reagieren können, schildert Fred Kaplan im Online-Magazin Slate: Er hätte Obama anrufen und seine Hilfe in dieser für Amerika schweren Stunde anbieten können. Beide hätten eine gemeinsame Pressekonferenz geben können, um zu zeigen, dass der politische Kleinkrieg pausiert, wenn das Leben von Amerikanern in Gefahr ist. "All dies hätte Romney vornehm erscheinen lassen - und Obama wäre kleinlich rübergekommen, wenn er das Angebot ausgeschlagen hätte", schreibt Kaplan.

"Er agiert wie ein verschuldeter Pokerspieler"

Der Tod von US-Botschafter Christopher Stevens sowie drei seiner Kollegen ist dann auch ein wichtiges Thema in den Abendsendungen der Kabelsender, doch noch länger wird über die Auswirkungen auf den laufenden Wahlkampf debattiert. Während Ezra Klein Romneys Aktion im liberalen Sender MSNBC als Verzweiflungstat bezeichnet ("Er agiert wie ein hochverschuldeter Pokerspieler, der ständig den Einsatz erhöht"), muss auch Bill O'Reilly, Aushängeschild des konservativen Kanals Fox News, zugeben, dass das erste Statement aus Boston "nicht ganz akkurat" war.

Senator John McCain, einer der erfahrensten republikanischen Außenpolitiker, vermeidet bei CNN jede Aussage zu Romneys erster Erklärung und konzentriert sich wie viele andere Konservative auf den Vorwurf, Obamas Führungsschwäche gefährde Amerikas Sicherheit. Ungeteiltes Lob erhält Mitt Romney, dessen außenpolitische Überzeugungen acht Wochen vor der Wahl ebenso vage sind wie seine Pläne in der Steuerpolitik, allerdings von seinen einstigen Widersachern Rick Santorum und Newt Gingrich sowie von Sarah Palin. Sie schreibt auf ihrer Facebook-Seite: "Es ist Zeit, dass unser Präsident sich hinter Amerika stellt und die Taten der islamistischen Extremisten verurteilt."

Zerstörer und Marines

Und wie reagiert der als Schwächling und Dauer-Entschuldiger gescholtene Barack Obama? Der US-Präsident schickt zwei Kriegsschiffe an die libysche Küste. Die beiden Zerstörer sowie 50 US-Marines würden als "Präventivmaßnahme" entsendet, teilte ein anonymer US-Regierungsvertreter mit. Bereits zuvor war aus dem Pentagon verlautet, dass die US-Armee eine Anti-Terror-Einheit nach Libyen schickt.

In einem CBS-Interview, das in voller Länge am Sonntag ausgestrahlt wird, gibt Obama den erfahrenen Staatsmann und erteilt dem Neuling Mitt Romney eine Lektion: Er habe als Präsident gelernt, dass alle öffentlichen Äußerungen "von Fakten gestützt" sein müssten. Sein Herausforderer agiere hingegen nach dem Motto "Erst schießen, dann zielen" (Video-Ausschnitt hier).

Allerdings sind die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten und in Nordafrika auch für den Amtsinhaber nicht ohne Risiko: Sollte sich in den kommenden Tagen herausstellen, dass wirklich Al-Qaida-Sympathisanten für den Tod der vier Amerikaner in Bengasi verantwortlich waren und eine solche Aktion am Jahrestag von 9/11 durchführen konnten, dann würden - zu Recht - Fragen nach der Arbeit von CIA und Regierungsbehörden gestellt werden. Eins steht fest: Die letzte der drei TV-Debatten zwischen Obama und Romney, bei der sich am 22. Oktober alles um Außenpolitik dreht, wird spannend werden.

Linktipp: In der Sendung Morning Joe bei MSNBC analysiert Joe Klein, Kolumnist des TIME-Magazins, welche Rolle der Streit über die angemessene Reaktion auf Irans Nuklearprogramm in der aktuellen Debatte spielt - und wieso sich Israels Premier Benjamin Netanjahu in den US-Wahlkampf einmischt.

Mit Material von AFP.

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