Bestseller-Autor Thomas Frank im Interview:"Amerikas Rechte hat die Krise umgedeutet"

Wie kann das sein? Trotz der Krise des Kapitalismus und des bleiernen Erbes der Bush-Jahre dominieren die Konservativen die politische Debatte in den USA. Bestseller-Autor Thomas Frank erklärt die Stärke der US-Republikaner und zeigt auf, warum die Obama-Regierung wichtige Entwicklungen ignorierte.

Matthias Kolb

In seinem Bestseller "What's the matter with Kansas" von 2004 untersuchte Thomas Frank, 47, weshalb die Republikaner mit ihrer Politik der sozialen Härten gerade im armen Mittleren Westen so erfolgreich sind. Nun stapeln sich in seinem Büro Bücher, Flugzettel und Plakate ("Don't believe the liberal media"), die er bei seiner Recherche über die Tea Party und den Erfolg von Amerikas neuer politischer Rechte sammelte. An diesem Montag stellt Frank in München sein neues Buch vor: "Arme Milliardäre: Der große Bluff, oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt" (Kunstmann, München, 2012. 240 Seiten 18,95 Euro).

Tax Activists Hold Tea Party Rally In Pleasanton, California

Aktivisten der Tea Party: Abstrakte Angst vor dem totalitären Staat.

(Foto: AFP)

SZ: Wie konnte Amerikas Rechte aus der Finanzkrise politisches Kapital schlagen, obwohl sie doch in der Amtszeit des Republikaners George W. Bush begann?

Thomas Frank: Das ist das große Rätsel unserer Zeit. Die Strategie war einfach: Sie haben die bestehende Krise in eine andere umgedeutet. Sie haben gegen die Regulierung der Banken gestimmt und argumentiert, Schuld für die Finanzkrise seien nicht zu wenige Regeln, sondern zu viele. Obama hat das zugelassen und zahlt bis heute den Preis dafür.

Wie hätte er reagieren sollen?

Er hätte die Schuldigen benennen und erklären müssen, dass der Konsens der Vergangenheit - die Dreifaltigkeit aus Deregulierung, Privatisierung und Freihandel - gescheitert ist. Doch das wollte er nicht. Wie Bill Clinton holte Obama Wall-Street-Leute wie Timothy Geithner und Larry Summers ins Weiße Haus, um der Finanzwelt zu signalisieren: "Habt keine Angst!" Das war nach der Machtlogik Washingtons vernünftig, aber es passte nicht zur größten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren.

Obama und seine Berater haben die Lage eher mit 1992 als mit 1932 verglichen.

Sie kannten den Ernst der Lage, aber es war ihnen egal. Sie interessiert nur die Wiederwahl, und die kann man vergessen, wenn man strenge Auflagen für die Banken erlässt. Obama hätte wie Franklin Roosevelt einen New Deal vorschlagen und die Arbeitslosigkeit durch Staatsprogramme mindern können, doch solche Vorschläge landeten nicht auf seinem Tisch. Sein großer Fehler war, dass er den Zorn der Menschen nicht aufgegriffen, sondern diesen Raum der Tea Party überlassen hat.

Wie ist diese Bewegung entstanden?

Am 19. Februar 2009 wurde beim Börsensender CNBC über das Hilfsprogramm für verschuldete Hausbesitzer diskutiert. Vom Parkett der Chicagoer Börse wurde der Wirtschaftsjournalist Rick Santelli zugeschaltet. Er war stinksauer und tobte gegen die "Versager, die das Wasser trinken, das andere mühsam herschafften". Unter dem Jubel der Makler lud Santelli "alle Kapitalisten" zu einer Chicago Tea Party ein, um gegen die Regierung zu protestieren.

Eine Anspielung auf die Boston Tea Party, bei der 1773 gegen die Briten protestiert wurde.

Das Absurde ist, dass diese populistische Bewegung auf dem Parkett des Chicago Board of Trade begann, wo Spekulanten jahrzehntelang Geschäfte auf Kosten der Arbeiterklasse gemacht haben. Der Kerl behauptet, sich im Namen der "schweigenden Mehrheit" gegen die Eliten aufzulehnen, und viele glauben ihm. Kaum landete der Clip im Internet, entstanden die ersten Tea-Party-Gruppen.

Die Wut auf die Wall Street wurde also auf Washington umgelenkt.

Wir sind das Heimatland des Kapitalismus. Wer Amerika verstehen will, muss unsere Wirtschaftskultur kennen. Wenn etwas schiefläuft, dann beschuldigen die Geschäftsleute instinktiv die Regierung oder die Gewerkschaften. Die Rechte tut so, als wären die Rettungsprogramme der Sündenfall und nicht die korrupten Banker, die Ramschkredite verscherbelt und nur an ihre Boni gedacht haben. Ihre Botschaft lautet: Es drohe das "Ende des Amerika, das wir kennen", weshalb es keine Kompromisse geben dürfe. Natürlich gibt es gute Bücher zur Finanzkrise, doch viele Leute haben keine Zeit, sie zu lesen, sondern verlassen sich auf Blogs und Talkradio.

Konnte der Spin der Rechten nur gelingen, weil die Wähler die Hintergründe der Krise nicht kennen?

Um für mein Buch zu werben, habe ich viele Radiosender besucht. Ich fasse den Inhalt von "Arme Milliardäre" zusammen, dann rufen Hörer an. Und stets haben die Leute gesagt: "Tom, wissen Sie nicht, dass die Finanzkrise entstanden ist, weil Bill Clinton die Banken gezwungen hat, den Armen billige Kredite zu geben?" Täglich habe ich solche Verschwörungstheorien gehört. Ein Wort, das viele mit der Krise verbinden, ist subprime - sie können sich nicht vorstellen, dass jemand Geld erhält, der nicht "hochwertig" ist. Also muss die sozialistische Regierung dahinterstecken.

Welche Rolle spielt der Kabelsender Fox News für den Erfolg der Tea Party?

Die Bedeutung von Fox News ist gar nicht zu überschätzen. Der Gründer Roger Ailes ist aus zwei Gründen ein Genie: Einerseits hat er Politik in Entertainment verwandelt. Andererseits bedient der Sender ein Gefühl des Selbstmitleids, das seit den sechziger Jahren in der oberen Mittelschicht wächst. Fox News hämmert den Leuten ein: "Obwohl ihr gute Patrioten seid, hart arbeitet, brav Steuern zahlt und an Gott glaubt, behandelt euch die Welt mies." Diese Botschaft ist ebenso verführerisch wie erfolgreich und so hat der Sender von Beginn an die Tea-Party-Aktionen verfolgt.

"Zum Glück ist Romney so ein schlechter Wahlkämpfer"

Wie kann man den typischen Tea-Party-Anhänger beschreiben?

Bestseller-Autor Thomas Frank im Interview: Thomas Frank ist Gründer des kulturkritischen Magazins The Baffler. Er findet die aktuelle Stärke der Konservativen absurd.

Thomas Frank ist Gründer des kulturkritischen Magazins The Baffler. Er findet die aktuelle Stärke der Konservativen absurd.

(Foto: Jane Magellanic)

Auch wenn sie den Diskurs veränderten - das waren ja keine Massenveranstaltungen, da kamen maximal 2000 Leute. Fast alle waren weiß, die meisten waren gut situiert, trugen saubere Kleidung und bei vielen hatte ich den Eindruck, dass sie vorher beim Friseur waren. Sie hatten keine Angst vor Arbeitslosigkeit, sondern fürchteten eine abstrakte Gefahr von links - einen totalitären Staat, der ihnen alles wegnimmt.

Ging es dort auch um die Stammthemen der Konservativen, um Religion oder Abtreibung?

Ich habe kein einziges Anti-Abtreibung-Plakat gesehen. Es gibt ein Buch, in dem die Protestschilder gesammelt sind, das Vorwort stammt von Chuck Norris. Meist geht es um Steuern, oder sie wettern gegen Obamacare. Ein Spruch ist besonders wüst: "Wir kamen unbewaffnet - aber nur dieses Mal." Auf einem Foto sieht man, wie Tea-Party-Anhänger Bilder der Schriftstellerin Ayn Rand hochhalten.

Was gefällt den Konservativen so sehr an diesen Romanen, die doch Jahrzehnte alt sind?

Die Botschaft ist ähnlich wie bei Fox News: In den Büchern von Ayn Rand sind die Reichen und Erfolgreichen immer die Opfer. Mein Titel "Arme Millardäre" ist ein Zitat aus ihrem bekanntesten Roman "Atlas Shrugged" (deutsch: "Der Streik"). Im Wall Street Journal steht fast täglich ein Text, wie die armen Kapitalisten gegängelt werden. Viele Tea-Party-Anhänger sind überzeugt, dass die Auflagen aus Washington Wirtschaftswachstum verhindern.

Das passt zum kleinen Geschäftsmann, den die Republikaner auf Parteitagen so gern feiern.

Viele Abgeordnete, die 2010 gewählt wurden, sind Geschäftsleute. Sie glauben, dass die Regierung nicht mehr ausgeben dürfe als sie einnehme. Doch ein Staat ist kein Eisenwarenladen, gerade in Krisenzeiten muss er Schulden machen. Zugleich lieben alle Politiker das small business, und sogar Zyniker wie ich kaufen lieber beim Bauernmarkt als bei Wal-Mart. Allerdings ist der Begriff Kleinunternehmen nicht definiert, und die Behauptung, dass diese 90 Prozent der Jobs schaffen, nicht belegt. Zugleich zeigen Studien, dass von deren Forderungen vor allem Konzerne profitieren.

Mitt Romney argumentiert, er hätte Lösungen.

Welch Ironie: Vier Jahre nach dem Kollaps der US-Wirtschaft schicken die Republikaner einen früheren Investmentbanker ins Rennen, der für die Politik steht, die uns das Schlamassel eingebrockt hat. Zum Glück ist Mitt Romney so ein schlechter Wahlkämpfer. Viel interessanter finde ich Paul Ryan, seinen Vize.

Was fasziniert Sie an ihm?

Ryan wird die Politik für lange Zeit prägen, der Mann ist erst 42. Was ihn besonders macht: Er bietet eine Antwort auf die Fragen, die Amerika beschäftigen, während die Demokraten schweigen. Ryan träumt von einer Gesellschaft, in der der Staat nur noch fürs Militär zuständig ist und alles andere der Markt regelt. Er kennt keine Selbstzweifel und verpackt seine Radikalität auf eine langweilige Art. Gewinnt Romney, kann er beginnen, seine Pläne umzusetzen - und wenn Obama siegt, dann werden die Republikaner sagen, Ryan wäre der bessere Kandidat gewesen, und er wird 2016 antreten.

Und wenn Obama unterliegt?

Dann geht er als "Roter" unter. Die Rechten waren sehr erfolgreich darin, den politischen Diskurs zu verändern. Obama ist ein Pragmatiker, der wie Clinton sein will. Immer wieder hat er den Republikanern in den ersten drei Jahren seine Dialogbereitschaft signalisiert - und sie haben ihn als "Sozialist" verteufelt. Also hat er sich angenähert, hat seine Rhetorik angepasst und Bushs Steuerkürzungen verlängert. Diese Kompromisspositionen sind nun das Äußerste, was in diesem Land als "links" akzeptiert wird. Scheitert Obama, wird kein Demokrat weiter gehen als er, und das wäre eine Katastrophe für den kläglichen Rest, der von Amerikas Linke übrig ist.

Thomas Frank stellt sein neues Buch an diesem Montag um 19 Uhr im Münchner Amerika Haus vor.

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