US-Wahl:Romney versucht die Flucht nach vorn

Angriff ist die beste Verteidigung: Bei Fox News rechtfertigt Mitt Romney seine Behauptung, fast jeder zweite Amerikaner sei ein Sozialschmarotzer. Barack Obama wirft er vor, Reichtum umverteilen zu wollen - als Beweis dient eine 14 Jahre alte Aufnahme. Der US-Präsident gibt sich in einer Late-Night-Show locker und stichelt gegen seinen Herausforderer.

Matthias Kolb, Washington

Mitt Romney geht auf Nummer sicher. Einen Tag, nachdem ein Video ins Internet gestellt wurde, in dem der Republikaner die Anhänger von Präsident Obama als "abhängig vom Staat" und sinngemäß als Nichtsnutze bezeichnet hatte, steht er dem Kabelsender Fox News Rede und Antwort. Dass die für seinen Wahlsieg so wichtigen und von seiner elitären Rhetorik verstörten Wechselwähler eher über CNN zu erreichen wären, ist nebensächlich: Der Republikaner kann keine kritischen Fragen gebrauchen bei dem Versuch, seine schwindenden Chancen zu wahren.

Mitt Romney

Wird auch von konservativen Kommentatoren in den USA kritisiert: der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney

(Foto: AP)

Und Moderator Neil Cavuto liefert Romney die passenden Stichworte. Er habe so klar über die 47 Prozent der Amerikaner, die keine Einkommensteuer zahlen, gesprochen, weil er diesen helfen wolle, säuselt Romney. Sie sollen bessere Jobs finden, damit sie ihre Pflicht erfüllen könnten. Auf Cavutos schüchterne Bemerkung, dass die Zahl der 47 Prozent falsch sei (Details hier) geht der 65-Jährige nicht ein, sondern wagt sich in die Offensive: In Wahrheit gehe es doch nur darum, dass er und US-Präsident Obama verschiedene Ansichten von Amerika haben. "Der Präsident möchte ein Land mit einer wachsenden Regierung, die Wohlstand umverteilt. Ich will eine Gesellschaft, die Wohlstand schafft."

Umverteilung, das klingt nach Sozialismus, nach Europa, nach Verrat an den Gründervätern, so Romneys Argumentation. Um Obamas geheime Ideologie zu entlarven, verweist der Republikaner auf eine 14 Jahre alte Tonband-Aufnahme, welche die Website Drudge Report an diesem Dienstag ins Netz gestellt hat und die von konservativen Bloggern via Twitter und Facebook weitergetragen wurde. Darin spricht Barack Obama davon, dass er in manchen Fällen Umverteilung für angebracht hält (hier nachzuhören) und staatliches Eingreifen nicht von vornherein zu verdammen sei. Dies sei etwa der Fall, um Schulen besser auszustatten, damit jeder Bürger seine faire Chance bekomme, so der damalige Abgeordnete des Senats von Illinois.

Romneys Krisenkommunikation beruht offenbar auf folgendem Kalkül: Der Fauxpas lässt sich nicht rückgängig machen, Reue würde mir niemand abnehmen, also trete ich die Flucht nach vorn an. Der durch das PR-Desaster entstandene Trubel sei doch positiv, damit die Bürger die Bedeutung der Wahl am 6. November erkennen, so Romney. Wer ein freies Amerika mit so wenig Staat wie möglich wünscht, der solle für ihn stimmen. Wer mit Obama zufrieden sei, der für mehr Armut und weniger Wachstum stehe, solle ihm wieder seine Stimme geben.

Dass es James Carter war, der Enkel des demokratischen Präsidenten Jimmy Carter, der den geheimen Filmer an das linksliberale Magazin Mother Jones vermittelte, lässt Romney kalt: "Das höre ich zum ersten Mal. Die Botschaft ist in der Welt, und diese Botschaft werden wir in den kommenden Tagen wiederholen." Wie diese Botschaft und vor allem die Mitschnitte bei den Wählern ankommen, werden die nächsten Umfragen zeigen.

An Frieden in Nahost glaubt Romney nicht

Am Tag eins nach der Enthüllung gingen nicht nur liberale Kommentatoren mit Romney hart ins Gericht (Süddeutsche.de-Presseschau): Bill Kristol, einflussreicher Chefredakteur des Weekly Standard, nannte die Äußerungen "dumm und arrogant" und klagte, noch nie hätten sich zwei Männer ums Präsidentenamt beworben, die so wenig für ihr Land geleistet hätten und so wenig substanzielle Ideen über Amerikas Zukunft hätten.

David Brooks, konservativer Star-Kolumnist der New York Times, stellte am Ende seines Texts über die Aussagen des Republikaners die Frage: "Wann wird die Inkompetenz enden?" Und Joe Scarborough, ehemaliger Abgeordneter für die Republikaner und nun Moderator der Sendung "Morning Joe" bei MSNBC, sprach von einer "kollektiven Depression" in der Grand Old Party. Er zeigte sich entsetzt darüber, wie wohl sich Romney bei seinen Aussagen gefühlt habe und dass er schlicht wie ein Plutokrat wirkte.

Dies ist vielleicht die größte Erkenntnis für alle jene, die sich die kompletten, insgesamt 68 Minuten langen Mitschnitte ansehen, die seit kurzem auf der Website von Mother Jones verfügbar sind: Im Gegensatz zu öffentlichen Auftritten (etwa beim Parteitag in Tampa) wirkt Romney vor den Millionären in Florida locker und entspannt. Und es wird deutlich, dass die Ausschnitte nicht aus dem Kontext gerissen wurden.

Zunächst hatte das linksliberale Magazin drei weitere Clips aus Romneys Rede vor reichen Spendern am 17. Mai online gestellt, die ebenfalls brisante Stellen enthalten. Darin äußert sich der Republikaner offen über seine Vorstellungen von Außenpolitik, die vor allem auf Stärke beruhen müsse. Laut Romney haben sich die Palästinenser "der Zerstörung und Beseitigung Israels verschrieben" und sind an einem Frieden mit Israel nicht interessiert. Die Mühe, zwischen der gemäßigten Fatah-Bewegung von Präsident Mahmud Abbas und der radikalen Hamas zu differenzieren, macht sich Romney nicht.

Hinter verschlossenen Türen bringt er seine bedingungslose Unterstützung für Israel noch klarer zum Ausdruck: "Die Vorstellung, Druck auf Israel auszuüben, damit diese etwas aufgeben, um die Palästinenser zum Handeln zu bringen, ist die schlechteste Idee der Welt." Der 65-Jährige glaubt nicht an eine Friedenslösung - es lasse sich mittelfristig höchstens eine gewisse Stabilität erzeugen.

Vor seinem Besuch in Israel im Juli hatte Romney noch in einem Interview mit Haaretz erklärt, dass er an einen Erfolg der Verhandlungen glaube und die Zwei-Staaten-Lösung unterstütze.

Obama kontert: "Ich vertrete das ganze Land"

Seated with talk show host David Letterman, U.S. President Barack Obama makes an appearance on the 'Late Show with David Letterman' at the Ed Sullivan Theater in New York City

Gibt sich bestens gelaunt: US-Präsident Barack Obama in der Talkshow von David Letterman.

(Foto: REUTERS)

Romney warnt auch vor einer Nuklearmacht Iran: "Wir haben keine andere Option, als zu verhindern, dass Teheran Atomwaffen bekommt." Er fürchtet, die Iraner könnten der Hisbollah Material für eine "schmutzige Bombe" geben, die in Großstädte wie Chicago geschmuggelt werden könnte und die USA erpressbar machen würde.

Süffisant bemerkt Autor David Corn, dass eine "schmutzige Bombe" nicht nur aus waffenfähigem Material gewonnen werden kann - dafür reiche auch radioaktiver Abfall aus Medizinprodukten. Fazit: Wer den Ausführungen des Multimillionärs lauscht, der wird den Eindruck nicht los, dass Romney die Komplexität der Lage in Nahost nicht durchdringt.

Und wie reagieren die Demokraten auf die Geheimvideos? Auch wenn sofort scharfe Statements verschickt und Videos mit entsetzten Reaktionen von Bürgern online gestellt wurden (Youtube-Video "47 percent"), warnen Insider vor zu viel Siegesgewissheit. Ein Obama-Berater sagte dem Insider-Magazin Politico, er werde sich erst entspannen, wenn die von Karl Rove gegründeten SuperPacs ihre Millionen nicht mehr in den Präsidentschaftswahlkampf investieren. Solange dies geschehe, könnte eine Flut an Werbespots in Kombination mit einer guten Performance Romneys bei den TV-Duellen die Bürger vielleicht noch umstimmen.

Barack Obama, für den diese Woche so gut begonnen hat, kümmert sich unterdessen selbst ums Einsammeln von Spenden. In New York tritt er bei einer Veranstaltung im 40/40 Club auf, die von Sängerin Beyoncé und Hip-Hop-Mogul Jay-Z organisiert wurde - jeder Gast zahlte 40.000 Dollar. Zuvor hatte er in der Late-Night-Show von David Letterman einen äußerst lockeren Eindruck gemacht und gezeigt, dass er im Gegensatz zu seinem republikanischen Herausforderer Vertrauen in seine Schlagfertigkeit hat (Auszug bei Youtube).

Nachdem sich die beiden Herren über ihr Gewicht (90 Kilogramm) ausgetauscht haben, kommentiert Obama die Äußerungen von Mitt Romney. Er drückt sich gewohnt gewählt aus und spricht langsam, doch seine Worte sind klar: "Ich habe als Präsident gelernt, dass man das ganze Land vertritt. Wer Präsident werden will, muss für jeden Bürger arbeiten - und nicht nur für einige. In unserer Demokratie kann man nicht einen Großteil der Bürger einfach abschreiben." Es dürfe nicht sein, dass ein Politiker suggeriere, jemand sei ein "Opfer" oder "unpatriotisch", nur weil er nicht mit dessen Überzeugungen übereinstimme. Die Botschaft: Ich kümmere mich um alle Amerikaner.

Deutlich widersprach der US-Präsident Romneys Beschreibungen: Es gebe in Amerika wenig Menschen, die der Meinung seien, dass sie Anspruch auf soziale Leistungen hätten, oder sich als Opfer sehen. Und Obama sagt einen Satz, der angesichts von acht Prozent Arbeitslosigkeit und stagnierenden Löhnen nur schwer zu glauben ist: "Ich habe auf meinen Reisen nie einen Bürger getroffen, der nicht mehr an den American Dream glaubt."

Linktipp: Der vollständige, 68 Minuten lange Mitschnitt von Mitt Romneys Auftritt bei einer Spendenveranstaltung in Florida ist auf der Website des Magazins Mother Jones zu finden.

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