Mahnmal für Sinti und Roma in Berlin:"Der Völkermord hat tiefe Wunden hinterlassen"

Hundertausende Sinti und Roma wurden von den Nazis ermordert: Es gebe keine einzige Familie, die nicht unmittelbare Angehörige verloren habe, sagt der oberste Roma-Vertreter Rose. Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende gibt es jetzt in Berlin einen Ort der Erinnerung.

Knapp 70 Jahre nach Kriegsende ist in Berlin das Mahnmal für die 500.000 von den Nazis ermordeten Sinti und Roma der Öffentlichkeit übergeben worden. Bundeskanzlerin Angela Merkel rief bei der Veranstaltung dazu auf, den Völkermord in der NS-Zeit als Mahnung für die Gegenwart zu verstehen. Jede Generation stehe aufs Neue vor der Frage, wie es dazu kommen konnte, sagte die Kanzlerin.

"Dieser Völkermord hat tiefe Spuren hinterlassen und noch tiefere Wunden", so Merkel. Das Denkmal halte dem Betrachter einen "Spiegel unendlicher Trauer" vor. Es trage das Schicksal des einzelnen Menschen "in unsere Mitte" und mahne an die Verpflichtung, die Würde des Menschen zu achten - "und zwar in jedem einzelnen Falle". Die Kanzlerin sicherte zu, dass Deutschland sich für die Rechte der Sinti und Roma einsetzen werde. Die Minderheit leide auch heute noch unter Ausgrenzung.

Der oberste Roma-Vertreter Romani Rose sagte, es gebe in Deutschland keine einzige Familie unter den Sinti und Roma, die nicht unmittelbare Angehörige verloren habe. "Dies prägt unsere Identität bis heute." Rose warnte auch vor einem neuen Rassismus gegen Sinti und Roma. "Hier genügen keine Verbote - die Ächtung jedweder Gewalt muss in der ganzen Gesellschaft Platz greifen."

Der Völkermord an Sinti und Roma sei der "vergessene Holocaust", sagte der Zeitzeuge Soni Weisz, einer der letzten 100 Überlebenden. Er berichtete vor den Zuhörern, wie er seiner Deportation ins Vernichtungslager Auschwitz entging, aber zuschauen musste, wie seine Eltern und Geschwister abtransportiert wurden. Das Denkmal sei ein "Zeichen der Anerkennung des zugefügten Leids", aber auch der Hoffnung, dass "Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus nicht mehr diese Formen annimmt wie in den dreißiger Jahren."

Das von dem israelischen Bildhauer Dani Karavan gestaltete Mahnmal liegt in unmittelbarer Nähe des Reichstags. Es besteht aus einem zwölf Meter breiten, kreisrunden Wasserbecken mit einer dreieckigen Stele in der Mitte. Bei der Eröffnungszeremonie wurde diese vor den Augen der Festgäste nach unten versenkt und mit einer frischen Blüte darauf wieder in die Höhe gehoben. Diese Prozedur soll sich jeden Tag wiederholen.

Auf den Brunnenrand ist auf Englisch und Deutsch das Gedicht "Auschwitz" des italienischen Dichters Santino Spinelli eingraviert, der selbst Roma ist. In eindringlichen Worten beschreibt das Gedicht das Leid der Holocaust-Opfer. Neben dem Denkmal ist auf Tafeln die Chronologie des Völkermords an Sinti und Roma aufgezeichnet.

Nach den Juden und den Homosexuellen haben damit auch die Sinti und Roma nach über 20-jähriger Planung in Berlin einen Ort der Erinnerung an die Schrecken des Holocaust. Die Kosten von 2,8 Millionen Euro trägt der Bund.

Die Grünen haben der Regierung anlässlich der Mahnmals-Einweihung mangelndes Engagement für die Sinti und Roma vorgeworfen. Deren Lage sei in Deutschland dezeit alles andere als gut, sagte der menschenrechtspolitische Fraktionssprecher Volker Beck. Deutschland sei das einzige EU-Land ohne eigene nationale Roma-Strategie.

Beck forderte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zu einer Entschuldigung auf. Er bezog sich dabei auf Friedrichs Vorstoß, Asylbewerber aus Serbien und Mazedonien abzuschrecken und dazu ihre Zahlungen zu kürzen. Laut der Organisation Pro Asyl sind unter den Asylbewerbern aus Serbien und Mazedonien vor allem Roma. Beck erläuterte: "Das sind wirklich die Ärmsten der Armen, die nicht wissen, wie sie über den Winter kommen sollen."

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