Obama im Endspurt durch die "swing states":"Wir stehen alle füreinander ein"

Im Outfit des Katastrophenhelfers tourt Obama durch Ohio, den für den Wahlsieg wichtigsten Bundesstaat. Er präsentiert sich als Präsident, der alles für die Opfer des Sturms "Sandy" tut und dem die Bürger vertrauen können. Mitt Romney hingegen "massiere Fakten" und habe keine Skrupel gehabt, Chrysler und General Motors bankrott gehen zu lassen - ein wichtiges Argument im Autostaat Ohio.

Matthias Kolb, Hilliard/Ohio

Es war ein kurzer, aber wichtiger Hinweis. Direkt vor seinem Auftritt in Hilliard habe er die neusten Informationen aus dem Lagezentrum zur "Sandy"-Nothilfe erhalten, ruft Barack Obama. Die Botschaft an die Amerikaner ist klar: Ich bin zwar im Wahlkampf-Modus, aber als US-Präsident kümmere ich mich ständig um die Sicherheit der Bürger. Im Endspurt wirbt Obama um das Vertrauen der Wähler und attackiert Mitt Romney. Dieser sei unehrlich.

Beim ersten von drei Auftritten im womöglich wahlentscheidenden "swing state" Ohio trägt Obama eine hellblaues Hemd unter der schwarzen Jacke - in einem ähnlichen Outfit war er an der Seite von New Jerseys Gouverneur Chris Christie im Katastrophengebiet unterwegs. Der Sturm habe Millionen Bürger schwer getroffen, doch die Reaktion zeige, welch großartige und hilfsbereite Menschen die Amerikaner seien, schwärmt Obama. Es sei ermutigend, dass Spitzenpolitiker der verschiedenen Parteien in Krisenzeiten zusammenarbeiten würden, ruft der 51-Jährige und ergänzt: "Wir stehen alle füreinander ein".

Mit dem Satz "We are all in this together" meint der Demokrat jedoch nicht nur die Aufräumarbeiten nach "Sandy": Es ist ein Plädoyer für eine weitere Amtszeit. Vor 2800 Zuhörern rattert Obama in der staubigen Halle des Fairfield County Fairgrounds, wo sonst Landwirtschaftsmessen stattfinden, seine Erfolge herunter: Bin Laden ist tot, General Motors lebt, der Irak-Krieg ist vorbei und die Jobzahlen vom Oktober beweisen, dass die Wirtschaft in Schwung komme. "Aber ich werde weiter kämpfen, solange es noch einen Amerikaner gibt, der einen Job sucht oder in Armut lebt," ruft Obama voller Pathos.

Dies sind Worte, die Sharron Harris' Herz wärmen. Es ist das siebte Mal, dass sie Obama seit 2008 sieht und die Lehrerin ist nicht enttäuscht. "Er hat das umgesetzt, was er bei der Blockade der Republikaner im Kongresse tun konnte", sagt Harris, an deren Jacke ein Sticker "I voted early" klebt. Sie habe vorzeitig abgestimmt, um lange Stunden in der Warteschlange zu vermeiden. Dass der Präsident mit Obamacare Millionen Bürgern zu einer Krankenversicherung hilft und in Bildung investiert, findet sie toll. "Meine Tochter ist Krankenschwester, ein Sohn ist Student, der zweite bei der Armee. Obamas Politik hilft uns allen - wie Millionen Amerikanern."

"Ihr wisst, dass ihr mir vertrauen könnt"

Vom Podium aus redet Obama den Zuhörern ins Gewissen: "Es geht bei dieser Wahl nicht nur um zwei Kandidaten, sondern um zwei Visionen für Amerika." Wer für ihn stimme, so Obama, der sei dafür, dass wohlhabende Leute "wie ich und Gouverneur Romney" etwas mehr zahlen müssen, damit alle Bürger eine faire Chance erhielten. "Ich werde nicht bei Forschung und Bildung sparen, damit die Reichen eine Steuersenkung kriegen, die sie nicht brauchen", so der Präsident.

Romney stehe für die gescheiterte Wirtschaftspolitik von George W. Bush, die zur Finanzkrise geführt habe. "Er ist ein großartiger Verkäufer, der alte Ideen neu verpackt. Heute sagt Romney, er sei der Kandidat des Wandels. Doch wir wissen, wie Wandel aussieht", ruft Obama angriffslustig. Der Kandidat, der vor vier Jahren mit dem Slogan hope und change ins Weiße Haus einzog, kämpft vor seinen Fans beherzt um seinen Ruf - und zweifelt die Redlichkeit seines Herausforderers an.

"Ihr wisst, dass ihr mir vertrauen könnt. Ihr beobachtet mich seit vier Jahren und wisst, dass ich die Wahrheit sage", ruft Obama. Romney versuche, die Realität seiner Wahlkampfstrategie anzupassen. Das Wort "Lüge" spricht Obama nicht aus, sondern formuliert es so: "Er massiert Fakten." Doch er macht genug Kunstpausen, damit die Zuschauer "Lügner" und "Schande" rufen können.

Obama spielt auf einen Werbeclip an, den das Romney-Team seit Tagen ununterbrochen via TV und Radio ausstrahlt: Darin wird behauptet, dass Jeep Arbeitsplätze in Ohio abbauen und nach China verlagern wolle (mehr im Fact-Checker-Blog der Washington Post). Was die Republikaner vermitteln wollen: Obama habe Milliarden Steuergelder verschwendet und Jobs gingen trotzdem verloren. In Wahrheit expandiert Jeep in Ohio und plant ein separates Investment in China für den asiatischen Markt. "Jeder weiß, dass dies falsch ist. Die Autohersteller haben Romney aufgefordert, den Spot zu stoppen", ruft Obama.

Jeder achte Arbeitsplatz in Ohio hängt von der Autoindustrie ab

Dann feuert er seine schärfste Attacke ab: "Das ist kein Spiel. Hier geht es um die Jobs der Menschen, davon hängt ihr Leben ab. Man verängstigt keine Arbeiter, um ein paar Stimmen zu bekommen. Das sollte ein Präsidentschaftskandidat nicht tun, das ist keine Führungsstärke." Obama weiß, dass jeder achte Arbeitsplatz in Ohio von der Autoindustrie abhängt und dass viele im Publikum und vor den Bildschirmen von den Gerüchten verunsichert wurden. Er sei stolz darauf, die US-Autoindustrie mit Staatsgeldern gerettet zu haben, anstatt "Detroit pleite gehen zu lassen", wie es Romney 2008 gefordert habe. Er wisse, dass es sich lohne, auf den Fleiß und den Einfallsreichtum der Amerikaner zu setzen, ruft er dem jubelnden Publikum zu.

Der 25-minütige Auftritt endet mit den Themen, die die Redner schon im Aufwärmprogramm betont haben: Der US-Präsident brauche Ohio, um in einer zweiten Amtszeit für die Schwachen und die Mittelklasse kämpfen zu können. Der Buckeye State - so der Spitznahme von Ohio - sei eine Art Schutzwall: Wenn Obama hier siegt, hat Romney nahezu keine Chance, ins Weiße Haus einzuziehen. Deswegen sollten die Zuhörer schon vorab ihre Stimmen abgeben, damit sie am Dienstag als Freiwillige mithelfen könnten, andere Wähler zu mobilisieren und diese zur Abstimmung zu fahren.

Das abschließende Bad in der Menge, im Polit-Jargon "work the crowd" genannt, absolviert Obama zügig und routiniert. An diesem Tag stehen noch zwei weitere Auftritte in Ohio auf dem Programm, bevor es in andere swing states geht (mehr zum Wahlkampf-Endspurt in diesem Süddeutsche.de-Text). Der so heftig kritisierte Mitt Romney ist ebenfalls in Ohio - und muss nun überlegen, ob er zurück keilt oder sich weiter als moderater Pragmatiker präsentiert.

Der Autor twittert unter @matikolb.

Linktipp: Ein Video mit Obamas Attacke auf Romney wegen des Jeep-Werbeclips ist bei Politico zu sehen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: