Funde vom Marienhof:Die Grube zu - und alle Fragen offen

Archäologische Funde in München

Bei der Stadt ist man sich nicht ganz sicher, wie bedeutend die in fast 200 Kisten verpackten Funde vom Marienhof sind. Archäologen jedoch sagen, noch nie sei man dem mittelalterlichen München und seinen Bewohnern so nahe gewesen.

Von Martin Bernstein

Archäologische Funde - das klingt nach Kulturgut. Doch die Anfrage beim Kulturreferat wird vom städtischen Kommunalreferat beantwortet: Man möge sich doch bitte an das Landesamt für Denkmalpflege wenden. Das könne Auskunft zu den Funden vom Marienhof geben.

Kann es aber nicht - oder zumindest nur sehr bedingt. Denn das Bayerische Denkmalschutzgesetz kennt kein "Schatzregal": Das wäre eine Bestimmung, die den Freistaat automatisch zum Besitzer der Funde machen würde. Diese gehören in Bayern stattdessen je zur Hälfte dem Ausgräber und dem Grundeigentümer. Eigentümer des Marienhofs ist die Stadt - und die Ausgräber wurden, auch das schreibt das Gesetz vor, vom Bauherrn engagiert, also von der Bahn.

Tatsächlich weiß man dort in der Abteilung Kommunikation Infrastruktur in Berlin ziemlich viel über die Funde - und zumindest über deren nahe Zukunft. In einem Bürgerbüro am Marienhof sollen spektakuläre Gegenstände und die Arbeit der Restauratoren gezeigt werden. Immerhin.

Die Fülle der Funde habe Ausgräber und Auftraggeber überrascht, sagt Pressesprecher Michael Baufeld. Bis zur Präsentation im Frühjahr will man sich mit der Stadt über den Verbleib der Tongefäße, Gläser, Holzstämme, Schuhe, Eisen- und Architekturteile aus dem Untergrund geeinigt haben. Verhandlungspartner sei das Planungsreferat.

Man würde die Funde gerne präsentieren

Das klingt nachvollziehbar - immerhin ist beim städtischen Planungsreferat auch die Untere Denkmalschutzbehörde angesiedelt. Planungsreferentin Elisabeth Merk ist deshalb auch schon in archäologisch bemerkenswerten Baugruben herumgeturnt. Doch ihre Pressesprecherin Katja Strohhäker muss im Fall Marienhof die Anfrage ebenfalls weiterreichen. Zuständig für die Verhandlungen mit der Bahn sei nämlich das Baureferat.

Der letzte Sachstand aus Sicht des Planungsreferats ist jedenfalls schon ein Jahr alt. Demnach wolle die Bahn ihren Anteil an die Stadt verschenken. Diese werde die Funde an die Archäologische Staatssammlung weitergeben, da die mehr Platz habe, und wohl nur einige Exponate dann wieder leihen. In der Archäologischen Staatssammlung wiederum ist man schon daran gewöhnt, dass die Stadt archäologisches Fundgut dort abliefert. Man würde die Funde auch gerne präsentieren, sagt Sprecherin Andrea Lorentzen.

Tatsächlich gab es in dem Haus an der Lerchenfeldstraße früher eine kleine Abteilung zur Münchner Stadtgeschichte. Aber solange die Millionen für die längst überfällige Sanierung des Baus ausstünden, sei an eine Wiedereröffnung dieser Abteilung gar nicht zu denken. Und im Übrigen wolle man dem Stadtmuseum nicht vorgreifen.

Wenig bedeutend?

Dort ist der zuständige Kurator in den verdienten Weihnachtsferien. Doch ein Blick in die Dauerausstellung verheißt nichts Gutes: Archäologische Funde? Nahezu Fehlanzeige. Und zwar - wie eine Tafel gleich zu Beginn der Dauerausstellung verkündet - weil es solche Funde in nennenswertem Umfang gar nicht gebe. Das passt freilich wiederum nur bedingt zur Nachricht, die dann aus dem Baureferat kommt: Man könne zwar in Sachen Marienhof "leider nicht weiter helfen".

Doch die Fundstücke seien, schreibt Pressesprecherin Dagmar Rümenapf, vom Grabungsleiter ans Landesamt für Denkmalpflege übergeben worden, "nachdem das Stadtmuseum an einer Aufnahme in sein Magazin aus Kapazitätsgründen nicht in der Lage war". Das Fazit aus dem städtischen Baureferat: "Nach unserer Kenntnis wurden die Fundstücke von den archäologischen Fachleuten als weniger bedeutend eingestuft."

Wenig bedeutend? Überreste des ersten Klosters der Englischen Fräulein, ein genau datierbarer Brunnenschacht von 1261, Münchens ältestes Holzbauwerk, Keramik, die belegt, das sich schon vor der offiziellen Gründung Münchens im Jahr 1158 an dieser Stelle eine größere, dauerhafte Siedlung befunden hatte, Werkstücke eines namentlich identifizierbaren mittelalterlichen Schuhmachers, Jörg Roth, aus dem Jahr 1486: "Wir sind dem mittelalterlichen Münchner so nah wie nie zuvor", sagt Stadtarchäologe Christian Behrer.

Spuren der Zeitgeschichte

Und nicht nur dem mittelalterlichen Münchner. Denn in den obersten Schichten fanden die Archäologen auch Spuren der Zeitgeschichte - jenes Bombenangriffs vom 7. Januar 1945, der ein ganzes Stadtviertel ausradierte: Geschirr und gefüllte Weinflaschen aus dem ehemaligen Café Bentenrieder, ein Holzschaf aus einer Weihnachtskrippe, in einem Luftschutzkeller ein Buch aus der ehemaligen Dependance der Stadtbibliothek mit der Aufschrift "Deutsche Siege".

Mehr als 45.000 Einzelfunde in 194 Fundkisten förderten die Archäologen am Marienhof ans Tageslicht. Die Grabungsdokumentation umfasst 136 Aktenordner. Das bringe die stadtgeschichtliche Forschung erheblich voran, heißt es auf der gemeinsamen Internetseite der Beteiligten (unter ihnen auch das Stadtarchiv).

Noch wichtiger aber sei es, "die Geschichte Münchens den interessierten Bürgern zurückzugeben. Letztendlich sind die Ausgrabungsergebnisse Eigentum der Stadt und aller Münchner und Münchnerinnen".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: