Piers Morgan wird in den USA zur Reizfigur:Wie man sich mit europäischer Moral unbeliebt macht

Der Fernsehtalker Piers Morgan ist einer jener Engländer, die in Amerikas Medien die große Karriere machen. Nach dem Amoklauf von Newtown hat er sich in dünkelhafter Weise mit der US-Waffenlobby angelegt - seither kochen dort alte Emotionen gegen Briten hoch.

Von Willi Winkler

Im Herbst 1952 schiffte sich der berühmteste Mann der Welt in New York nach Europa ein. Charlie Chaplin musste nach London, wo er der Premiere seines neuen Films Rampenlicht beiwohnen wollte. Der FBI-Chef J. Edgar Hoover hasste diesen "Salonbolschewisten" mit solcher Inbrunst, dass er den britischen Geheimdienst bereits um Belege dafür ersucht hatte, dass der in London geborene Schauspieler gar kein Engländer, sondern ein französischer Jude sei und in Wirklichkeit Israel Thornstein heiße.

Der MI6 konnte damit, wie man den Kollegen sachlich mitteilte, nicht dienen. Ein Fremdling blieb Chaplin dennoch, denn trotz seines märchenhaften Erfolgs in Hollywood hatte er nie einen amerikanischen Pass beantragt und war britischer Staatsbürger geblieben.

Das gab seinem Feind Hoover die Gelegenheit, Chaplin nach dessen Abreise sogleich die Aufenthaltsgenehmigung zu entziehen. Chaplin drehte noch einen Film über diese Kränkung (Ein König in New York) und ließ sich dann lieber in der Schweiz nieder. Das war vor sechzig Jahren, als der Senator Joseph McCarthy mitsamt seinen Kommunistenjägern nicht wenige ins Gefängnis brachte oder andere, wie Bert Brecht und Thomas Mann, außer Landes trieb.

Die McCarthy-Jahre mitsamt dem Ausschuss für unamerikanische Umtriebe gelten als wenig rühmliches Kapitel der Nachkriegsgeschichte, eine einmalige Verwirrung, und sind längst Gegenstand von Theaterstücken und Filmen geworden.

In seltsamster Form ist das Hetzklima in den Tagen nach dem Schul-Massaker von Sandy Hook wieder neu entstanden. Es bekämpfen sich nämlich nicht nur Waffengegner und Waffenfreunde, sondern es geht um Grundrechte und natürlich um Einschaltquoten und Klickzahlen.

Barack Obama hat ein weiteres drängendes Problem

Mit einem überraschenden Sinn für Tradition haben sich vor Weihnachten Tausende in einer Internetpetition zusammengerottet und fordern, den TV-Interviewer Piers Morgan abzuschieben.Die Petition ist ans Weiße Haus gerichtet, wo man sich mit damit befassen muss, sobald mehr als 25.000 unterschrieben haben. Diese Zahl ist längst erreicht, und Barack Obama hat neben der Finanzierungsklippe ein weiteres drängendes Problem zu lösen.

In seiner Sendung vom 18. Dezember hatte Piers Morgan Larry Pratt zu Gast, den Geschäftsführer des Vereins der amerikanischen Gewehrbesitzer. Morgan ließ sein Gegenüber erkennbar unwillig reden, fiel ihm immer wieder ins Wort und nannte ihn schließlich einen "Idioten". Das mag als Synonym für einen tapferen Lobbyisten nicht ganz falsch sein, es gilt aber unter gesitteten Menschen, zumal im Fernsehen, als grob unhöflich, dem anderen die Wahrheit ins geschminkte Gesicht zu sagen.

Morgan glaubte die Moral auf seiner Seite und vergaß dabei zweierlei: dass es nämlich erstens eine europäische Moral war, die er vertrat, und dass ihn zweitens seine Vorgeschichte als rücksichtsloser Journalist bei den Revolverblättern Rupert Murdochs etwas vorsichtiger hätte auftreten lassen sollen.

Morgan war Chefredakteur während der Abhöraffäre, die Murdochs Zeitungen und ihre Verantwortlichen vor den Leveson-Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments gebracht hat. Allerdings konnte sich Morgan rechtzeitig davonmachen und in Amerika eine neue Karriere beginnen.

Triumph der schwallenden Klasse in England

Sein Aufstieg zum Nachfolger des (reichlich überschätzten) Larry King war ein weiterer Triumph der schwallenden Klasse in England. Auf andere Art war dieser Aufstieg durch Umzug bereits Schauspielern wie Chaplin und Cary Grant oder Journalisten wie Anna Wintour, der Chefredakteurin der Vogue, und Tina Brown gelungen, die den New Yorker leiten durfte.

Das amerikanische Fernsehen ist grundsätzlich von unerträglicher Biederkeit. Erst in den letzten Jahren hat sich erwiesen, dass aggressive Konfrontation ebenfalls Quote bringt. Anders als sein Vorgänger King setzt Piers Morgan seinen Gästen gern zu. Dennoch ist es grob unhöflich, seinen Interview-Partner live als "Idioten" zu bezeichnen.

Piers Morgan wurde allerdings auch provoziert, denn Pratt verstand es zu sticheln und wies Morgan mehrfach auf seine Herkunft aus dem alten Europa hin. Dort folge man womöglich anderen Regeln, weshalb es reichlich unamerikanisch sei, wenn er sich kritisch zu amerikanischen Bräuchen äußere.

Der Brauch, mit einem Sturmgewehr morgens in eine Schule, mittags in ein Einkaufszentrum oder abends in ein Kino zu gehen, ist durch den zweiten Verfassungszusatz gedeckt - selbst wenn der aufrechte Amerikaner dort möglichst schnell möglichst viele Menschen umbringt. Schließlich ist es jedermanns und jederfrau verfassungsmäßiges Recht, zum Selbstschutz eine äußerlich erkennbare Waffe zu tragen.

Auf dieser grundgesetzlichen Basis befinden sich in den USA 330 Millionen Waffen am Mann, an der Frau und manchmal auch zu Hause eingesperrt im Schrank. Nach dem Mantra, das die Waffenlobby nach jedem neuen Massaker herunterbetet, sind es Menschen, die töten und nicht Waffen. Ein Vertreter der National Rifle Association (NRA) hat darum konsequenterweise gefordert, dass die Schulen mit bewaffneten Wachleuten ausgerüstet werden sollten.

Ähnlich militant, aber in wohlgesetzten Worten äußerte sich Pratt in Morgans Talkshow, wobei er kühn jeden Hinweis darauf überging, dass die Mordrate in den europäischen Ländern, in denen der Waffenbesitz weit strenger geregelt ist, bei weitem geringer ist.

Auf seinen Bildungsakzent legt der Brite wert

Es ereignete sich also nicht nur eine kleine Sternstunde des amerikanischen Fernsehens, sondern es stießen zwei Kulturen aufeinander. Für einen Amerikaner wirkt es einfach dünkelhaft, wenn ihnen ein Ausländer (und Piers Morgan ist nach wie vor britischer Staatsbürger) erklärt, was sie von der Todesstrafe bis zum Waffenwahn alles falsch machen.

Morgan hat seine Intonation zwar ein bisschen abgeschliffen, aber er legt doch Wert darauf, seinen Bildungsakzent vernehmen zu lassen, der für amerikanischen Standard prätentiös und damit undemokratisch klingt. Aber als Neubürger weiß er sich zu helfen und beruft sich auf einen weiteren Verfassungszusatz, der die Meinungsfreiheit garantiert.

Aber da ist noch eine andere Petition, und sie darf nicht unerwähnt bleiben. In England werden Unterschriften gesammelt, um Piers Morgans Ausweisung abzuwehren. Das Unternehmen ist ebenfalls von bester Absicht getragen, vielleicht sogar von noch besserer, aber keineswegs mit Morgan solidarisch. Denn die von einem unbekannten User mit dem polnischen (?) Namen JanuszJ initiierte Petition will um jeden Preis verhindern, dass der wandlungsfähige Morgan nach England zurückkommt und seinen Landsleuten erneut auf den Geist fällt.

Das sei ein Gebot der Meinungsfreiheit, und außerdem könne man damit die Amerikaner ärgern. Bis Freitagnachmittag fanden sich dafür bereits 7480 Unterstützer, viele davon amerikanische Staatsbürger.

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