Motivation und Belohnung:Geld macht faul

Wenn Kinder lernen, verdirbt eine Belohnung ihnen den Spaß. Arbeiten Erwachsene engagiert, kann eine Gehaltserhöhung kontraproduktiv sein. Denn Geld macht aus Spiel Arbeit, aus Leidenschaft Pflicht.

N. Westerhoff

Die Versuchsleiterin räumt ihren Schreibtisch auf und lässt wie zufällig einen Bleistift fallen. Wie reagieren 20 Monate alte Babys darauf? Heben sie den Stift auf oder lassen sie ihn liegen?

Motivation und Belohnung: Geld macht aus Spiel Arbeit - die Belohnung sollte daher in der Sache selbst liegen.

Geld macht aus Spiel Arbeit - die Belohnung sollte daher in der Sache selbst liegen.

(Foto: Foto: Reuters)

Mit diesem Experiment wollte im vergangenen Jahr ein Forschungsteam um den Harvard-Psychologen Felix Warneken überprüfen, wie sich die Hilfsbereitschaft von Kindern beeinflussen lässt. Sie bildeten zwei Gruppen. Die erste bekam fürs Aufheben des Bleistiftes stets einen kleinen Spielklotz geschenkt, die zweite ging jedes Mal leer aus.

Das Ergebnis verwunderte. Die Belohnung senkte die Hilfsbereitschaft der Kinder. Sie zerstörte ihren - so glaubt Warneken - natürlichen Altruismus. "Kinder sind per se motiviert zu helfen", kommentiert der Forscher. "Wer sie für ihre Hilfeleistungen belohnt, der schwächt dadurch ihren inneren Drang, helfen zu wollen."

Ähnliches sagt der Psychologe Edward Deci von der University of Rochester. In einem seiner Experimente belohnte er Kinder etwa fürs Puzzlespielen - also für eine Tätigkeit, die sie von sich aus gerne ausführen. Wiederum wirkte die Belohnung destruktiv.

Geld schafft Erbsenzähler

Jene Kinder, die Süßigkeiten fürs Puzzeln bekamen, verloren schneller die Freude daran als Kinder, die gar nicht entlohnt wurden. Mark Lepper schließlich, Psychologe an der Universität Stanford, wies bereits vor Jahren nach, dass sich die Fähigkeit von Kindern, Denksportaufgaben zu lösen, auf eine ganz einfache Weise zerstören lässt: indem man ihnen eine Belohnung verspricht.

Forscher wie Warneken, Deci oder Lepper verfechten keine Außenseiterposition. Nach Angaben der Psychologin Nicola Baumann von der Universität Trier belegen mittlerweile mehr als 100 Studien, dass Belohnung die Eigenmotivation schwächt.

Und diese Aussage gelte nicht nur fürs Kinderzimmer, sondern auch in den Bürogebäuden und Produktionsstätten erwachsener Menschen, wo man glaubt, dass am ehesten Geld, Urlaub oder Sonderzahlungen die Leistungsbereitschaft steigerten.

Das Gegenteil sei der Fall, sagt Lepper. Wer für seine Arbeit bezahlt wird, der folgert unwillkürlich, dass er nicht um der Sache selbst willen arbeitet, sondern nur fürs Geld - und das sei eine fatale Umdeutung. Ein profaner äußerer Anreiz schiebe sich dann über das ursprünglich hehre innere Handlungsmotiv.

Plötzlich beginnt der Mensch, den Wert seiner Arbeit zu messen und mit anderen zu vergleichen. Er verwandelt sich zum Erbsenzähler. Warum, fragt er sich, arbeite ich eine Stunde länger als der Kollege und verdiene trotzdem 100 Euro weniger im Monat?

Nichts sei idiotischer, als einen Menschen für das zu belohnen, was er ohnehin gerne macht. Es sei unsinnig, einem leidenschaftlichen Fußballer wie Cristiano Ronaldo Millionengagen zu zahlen, denn Geld verwandelt Spiel in Arbeit. Gut möglich, dass Ronaldo besser kicken würde, wenn er gar nichts dafür bekäme.

Zweifel an Belohnungsplänen

Die Psychologin Teresa Amabile von der Harvard Business School legte in den letzten Jahrzehnten mehrere Studien vor, die den schädlichen Effekt des Geldes dokumentieren. So konnte sie etwa zeigen, dass die kreative Leistung von professionellen Künstlern abnimmt, wenn man ihnen einen lukrativen Buch- oder Plattenvertrag in Aussicht stellt.

Gleiches gelte für Kinder. Verspricht man ihnen eine materielle Belohnung, leidet darunter ihre sprachliche Kreativität - ihre poetischen Einfälle werden schlichter und ihre Lust am Wortspiel versiegt.

Freikaufen durch Strafzahlung

Aus diesen Studien lassen sich leicht politisch inkorrekte Fragen ableiten: Wie gut könnten Schriftsteller schreiben, wenn es keine Literaturpreise gäbe? Was für tolle Leistungen wären möglich, wenn keine Gehaltserhöhungen winken würden? Wie viel Freude am Lernen würden jene Kinder entwickeln, denen man kein Geld fürs gute Zeugnis zahlt?

Klar ist zumindest, dass auch finanzielle Strafen als Gegenteil der Belohnung nicht wirken. Als klassisch gilt eine Studie, die Wissenschaftler in Israel durchführten. Da viele Eltern ihre Kinder zu spät aus der Kita abholten, wollten die Forscher herauskommen, ob sich die Pünktlichkeit womöglich verbessert, wenn sie für Verspätungen eine Strafe zahlen müssen.

Zur Überraschung aller war das Gegenteil der Fall; noch mehr Elter kamen später. Mit der Zahlung der Strafe fühlten sich die Eltern wahrscheinlich von der Pflicht befreit, der sozialen Norm zu folgen, die besagt: "Sei pünktlich, lass andere nicht warten".

Sie hatten sich sozusagen freigekauft. Psychologen zufolge belegt auch diese Studie, dass dem Geld ein destruktives Potential innewohnt - ganz gleich, ob es nun als Belohnung oder als Strafe zum Einsatz gelangt.

"Bereits in den 70er Jahren stellten einige Forscher den Sinn von Belohnungsplänen in Frage", sagt Warneken. "Sie widersetzten sich damit dem Zeitgeist." 30 Jahre später ist die Mehrheit der Psychologen überzeugt, dass die Grundsätze des sogenannten Behaviorismus fragwürdig sind.

Verhalten lässt sich nicht durch äußere Anreize oder Sanktionen beliebig an- und ausschalten. Und Projekte wie die Online-Enzyklopädie Wikipedia beweisen mittlerweile, dass motivierte Menschen auch für Null-Honorar ihr Bestes geben.

Angst vor den Konseqenzen

Wenn es aber möglich ist, das größte Lexikon der Welt zu verfassen, ohne die Mitarbeiter dafür zu bezahlen, warum sollte es nicht eines Tages gelingen, mithilfe von Null-Euro-Jobbern Qualitätszeitungen zu verlegen oder besonders humane Krankenhäuser zu leiten? Vielleicht gibt es ja innere Belohnungssysteme, die wirkungsmächtiger sind als äußere.

Noch scheuen sich die Wissenschaftler aus ihren Befunden politische Ratschläge abzuleiten. Sie befürchten, dass ihre Erkenntnisse von reinen Kostensparern instrumentalisiert werden könnten.

Belohnungen aufschieben

Mit ihnen ließe sich etwa die Forderung nach einem tief angesetzten Grundeinkommen für alle oder die Praxis der Dauerausbeutung hochmotivierter Arbeitskräfte und Praktikanten rechtfertigen. Diese Zurückhaltung ist vielleicht ein Grund, wieso in den größten Bereichen der Gesellschaft bislang alles beim Alten geblieben ist.

Ob Boni oder Orden, Preise oder Zertifikate - im Berufs- und Wirtschaftleben wimmelt es nur so von Belohnungen aller Art. Und in den Medien wird häufig der Eindruck erzeugt, als erkrankten Menschen an Depressionen, wenn sie nicht unmittelbar für ihr berufliches Tun belohnt würden. Solche Gratifikationskrisen seien schädlich für die Psyche.

Das Gegenteil ist wahr. Menschen lernen von Kindesbeinen an, Belohnungen aufzuschieben. Wenn dem nicht so wäre, gäbe es keine Menschen, die sechs Jahre studieren ehe sie Geld verdienen. Und erst recht gäbe es keine Häuslebauer, die sich 30 Jahre abmühen, um einen Kredit abzuzahlen. Die einfache Regel, wonach ein Mehr an Belohnung automatisch zu einem Mehr an Leistung führt, ist schlicht falsch.

Immerhin beginnen einige Ökonomen zumindest von der Idee einer simplen linearen Beziehung von Geld und Leistung abzurücken, so etwa Uri Gneezy von der University of California in San Diego. In einer seiner Untersuchungen analysierte er den Arbeitseifer von Kindern.

Er teilte 80 junge Probanden, die Geld für Krebskranke sammeln sollten, in drei Gruppen. Der ersten wurde erklärt, wie wichtig es sei, ehrenamtlich für einen guten Zweck zu sammeln. Sie bekam keine Belohnung. Die zweite Gruppe wurde minimal fürs Sammeln bezahlt, die dritte stattlich.

Wie auch klassische Marktheoretiker erwartet hätten, waren jene Kinder am fleißigsten, die man fürstlich entlohnte. Überraschend war hingegen, dass jene, die eine geringe Belohnung bekamen noch weniger motiviert waren als jene, an die gar nichts ausgezahlt wurde. Gneezy kam deshalb zu einer Folgerung, die neue Maßstäbe für Tarifverhandlungen setzen könnte: "Zahle genug oder zahle gar nichts."

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