Mitarbeiterzufriedenheit bei der Deutschen Bahn:"Niemand soll mit Bauchschmerzen reinkommen"

Deutsche Bahn Mitarbeiter Arbeitgeber

Es gibt noch immer Mitarbeiter, die niemandem aus den oberen Etagen trauen

(Foto: dapd)

300.000 Mitarbeiter hat Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber weltweit nach ihrer Zufriedenheit befragt. In 45 Ländern und auf 33 Sprachen. Nicht jeder findet das gut. Doch Weber will auch gegen Widerstände die Unternehmenskultur in dem riesigen Konzern ändern.

Von Daniela Kuhr

Zwei Führungsstile hat Ulrich Weber ausgemacht "Ich nenne sie mal den Typ Magath und den Typ Klopp", sagt der Personalvorstand der Deutschen Bahn. Fußballtrainer Magath stehe für den Stil: "Du kriegst hier ausreichend Kohle, jetzt liefere mal." Während Klopp eher darauf setze, seine Leute zu inspirieren, zu unterstützen, "damit die Stärken nutzbar werden für die gesamte Organisation".

Weber macht keinen Hehl daraus, dass er den Klopp'schen Stil für den besseren hält. "Kern der Zufriedenheit ist doch die Sehnsucht eines jeden, dazuzugehören", sagt er. "Ich werde in meiner Persönlichkeit wahrgenommen. Mein Chef weiß um meinen Beitrag." Sein Ziel formuliert Weber daher so: "Ich möchte die Rahmenbedingungen in diesem Konzern so setzen, dass jeder sich mit seiner Aufgabe identifizieren kann. Niemand soll hier morgens mit Bauchschmerzen reinkommen, und niemand soll abends mit Bauchschmerzen nach Hause gehen."

Niemand nimmt Lobgesänge auf die Deutsche Bahn ernst

Bauchschmerzen, das ist ein gutes Stichwort. Wer Ulrich Weber das erste Mal sieht, könnte meinen, der 62-Jährige habe permanent Bauchschmerzen. Oder sei doch zumindest schmermütig. Meist läuft er mit zusammengezogenen Augenbrauen und zwei steilen Sorgenfalten auf der Stirn durch die Welt. Auch an diesem Morgen, als er aus Anlass eines Presseworkshops vor gut 30 Journalisten tritt, hat er diesen leicht verknitterten Blick. Doch dann beginnt Weber zu reden. Und es zeigt sich: Er mag alles Mögliche sein, aber sicher nicht schwermütig.

"Jaaaa", fängt er in der für ihn typischen leisen Sprechweise an, "was kann ich Ihnen erzählen über die Deutsche Bahn? Diesen wunderbaren Konzern, in dem wir jeden Tag arbeiten dürfen und in dem wir zu Hause sind." Spätestens jetzt weiß man: Das sind keine Sorgenfalten auf seiner Stirn, das ist pure Selbstironie. Natürlich weiß Weber, dass niemand ihm solche Lobgesänge auf die Bahn abnimmt. Und deshalb versucht er es auch gar nicht länger, sondern grinst - und kommt zu den Fakten.

Bis 2020 einer der zehn beliebtesten Arbeitgeber Deutschlands

Es geht um ein ehrgeiziges Ziel, das sich die Deutsche Bahn gesetzt hat: Bis 2020 will sie zu den zehn beliebtesten Arbeitgebern Deutschlands gehören. Zum einen, weil sie dem drohenden Fachkräftemangel begegnen will, ja begegnen muss. Zum anderen, weil man im Konzern überzeugt ist, dass auf Dauer nur zufriedene Mitarbeiter gute Arbeit leisten. Und deshalb startete unter Webers Verantwortung am 15. Oktober die erste konzernweite Befragung der Beschäftigten.

300.000 Kollegen waren aufgefordert sich zu beteiligen, in 45 Ländern und 33 Sprachen. "Uns geht es darum, zu erfahren, was gut läuft und was nicht", sagt Weber. So wurde etwa nach den Arbeitsbedingungen gefragt, dem Umgang, der Kommunikation.

Ein Teil der Fragen war konzernweit einheitlich, ein anderer bezog sich auf das jeweilige Geschäftsfeld, in dem der Mitarbeiter beschäftigt ist. Die Anonymität wird laut Bahn dadurch gewahrt, dass ein externer Dienstleister, die GfK Trustmark, die gesamte Befragung betreut und seit ihrem Abschluss am 9. November auch auswertet. Die Ergebnisse werden Mitte Januar vorgestellt.

Sie werden die Grundlage für 7500 Workshops sein, die helfen sollen, Abläufe und Klima im Konzern zu verbessern. Vor allem aber werden sie die Basis für das neue Gehaltsgefüge sein, das die Bahn ihren Führungskräften verordnet hat. Im Konzernvorstand beispielsweise machen die Zufriedenheit der Mitarbeiter und der Kunden mittlerweile 50 Prozent der Boni aus, die wiederum ihrerseits zwei Drittel des Einkommens der Bahn-Vorstände darstellen.

"Mitarbeiterzufriedenheit ist ein strategischer Erfolgsfaktor"

Gerade mal ein Drittel des Gehalts eines Konzernvorstands ist fix. Doch auch in den Ebenen darunter wird ein kleiner Teil der Jahresboni der Führungskräfte von sofort an von der Zufriedenheit der Mitarbeiter abhängen. Dazu soll die Befragung alle zwei Jahre wiederholt werden, sodass man sieht, ob die Zufriedenheit gestiegen oder gesunken ist.

Neuer Bahnvorstand - Weber

Ulrich Weber ist seit 2009 Bahnvorstand

(Foto: dpa)

"Mitarbeiterzufriedenheit ist ein strategischer Erfolgsfaktor", sagt Weber. "Man kann sich wirtschaftlich viel vornehmen, ohne zufriedene Mitarbeiter wird es nicht klappen." Doch kaum ausgesprochen merkt er, dass das viel zu sachlich klingt, zu nüchtern. Denn die Stimmung in der Bahn, das ist Weber völlig klar, ist ein heikles Thema.

Als der neue Bahnchef Rüdiger Grube im Mai 2009 antrat und kurz darauf Weber von Evonik zur Bahn holte, "da befand sich das Unternehmen seit 15 Jahren auf Sanierungskurs", erzählt der Jurist. Eine gewisse Müdigkeit habe sich breitgemacht, "mit allen Folgen für Einsatzbereitschaft und Energie". Nach dem abgesagten Börsengang "gab es viele Führungskräfte, die enttäuscht waren, und viele Mitarbeiter, die eher erleichtert waren". Hinzu kam die Datenaffäre, die eine tiefe Vertrauenskrise im Konzern ausgelöst hatte - und deren Folgen bis heute noch zu spüren sind.

"Die wollen doch nur von mir hören, wie toll sie sind"

Es gibt noch immer Mitarbeiter, die niemandem aus den oberen Etagen trauen. Und die im Traum nicht daran dachten, bei der Befragung mitzumachen. Was soll der Quatsch, sagte beispielsweise einer. "Die wollen doch nur von mir hören, wie toll sie sind." Und ein anderer sagte: Wie naiv müssen die eigentlich sein? Glauben sie ernsthaft, ich würde hier ankreuzen, dass ich mich wohl fühle? Damit würde ich meinen Chef ja geradezu auffordern, mich auszubeuten."

Als Weber das hört, zieht er die Augenbrauen noch ein bisschen stärker zusammen - diesmal aber ohne jede Ironie. "Wissen Sie, was ich solchen Leuten sage?" Er klingt direkt ein bisschen verärgert. "Ihr könnt uns mal! Wir bewegen uns, bewegt ihr euch gefälligst auch, sonst bewegt sich am Ende gar nichts." Ja, Herr Weber kann auch Klartext reden.

Es war eine der größten Sorgen, die ihn und seine Mitvorstände während der vier Wochen Befragung plagten: dass sich zu wenige Mitarbeiter beteiligen würden. Dann besäßen die Ergebnisse keine Aussagekraft und alles wäre umsonst gewesen. Und deshalb hingen in vielen Räumen der Bahn Plakate mit der Aufforderung mitzumachen.

"Geben Sie Ihren Senf dazu"

"Jede Stimme zählt", stand beispielsweise am Spiegel in der Toilette. Und in der Kantine hieß es: "Geben Sie Ihren Senf dazu." Es scheint gewirkt zu haben. Im konzernweiten Schnitt haben sich 61,4 Prozent der Kollegen beteiligt, was laut Bahn ein "großer Erfolg" ist. Die Ergebnisse wird das Unternehmen in der übernächste Woche mitteilen. Illusionen macht Weber sich nicht. Wichtig sei, dass sich daraus "ein stimmiges Bild" ergebe, sagt er. "Denn nur dann können wir über Verbesserungen reden und Prozesse sowie individuelles Verhalten auf den Prüfstand stellen."

Es stimmt, räumt Weber ein. Vermutlich sei er tatsächlich ein wenig naiv. Aber eine gewisse Naivität wolle er sich bewahren. Mit Zynikern, die jeden großen Gedanken, jeden guten Willen schlecht reden - mit solchen Menschen kann Weber nicht. Und mit solchen Menschen will Weber auch gar nicht. "Leute, die so rumlaufen, so skeptisch, die wollen doch nur bremsen", sagt er. Und wenn er auf eines keine Lust hat, dann ist es, sich bei diesem Projekt bremsen zu lassen.

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