Autoboom in China:Der Staat fährt mit

Fünf Millionen Autos verstopfen schon jetzt die Straßen Pekings - doch der Automarkt in China wächst weiter. Vor allem westliche Firmen wie VW profitieren davon. Chinas Regierung will das ändern: Sie setzt auf die Verflechtung mit westlichen Firmen - und auf deren Kontrolle.

Von Marcel Grzanna, Peking

Der Zweck des Automobils wird in Chinas Hauptstadt Peking seit einer ganzen Weile ad absurdum geführt. Seine Erfinder entwickelten es einst zur schnelleren Fortbewegung. In Peking aber ist ein Fußmarsch häufig die bessere Lösung. Fünf Millionen Autos verstopfen die Straßen der Metropole. Zwei Millionen mehr als vor vier Jahren, als die Stadt die Olympischen Spiele ausrichtete. Schon damals stellte man die bange Frage, ob die Athleten es pünktlich zu ihren Wettkämpfen schaffen würden angesichts der vielen Staus. Darüber lässt sich heute nur noch schmunzeln. Das Verkehrschaos von damals wirkt in der Nachbetrachtung wie ein Tag der offenen Tür auf dem Nürburgring.

Das Leben in der Blechkarawane geht den Menschen an die Nerven. Taxifahrer sind unfreundlich, Busfahrer drängen im Kamikazestil, und die Pekinger Luft ist nicht zuletzt wegen der Auto-Euphorie so verdreckt wie nie zuvor. Am Dienstag wurde wegen des Mega-Smogs sogar ein eingeschränktes Fahrverbot erlassen.

Das Ende des Wahnsinns ist nicht in Sicht. Chinas Automarkt wird 2013 weiter stark wachsen, so lauten die Prognosen, um sieben Prozent angeblich. Das ist wenig im Vergleich zu den Jahren 2009 oder 2010, als die Verkäufe der Branche explodierten mit Steigerungsraten von 30 Prozent. Doch in ganzen Zahlen wären das stolze 1,35 Millionen Fahrzeuge mehr, als im Jahr 2012 verkauft wurden. Der größte Automarkt der Welt würde dann erstmals die 20-Millionen-Marke knacken. Alles geht: Luxus- oder Kleinwagen, Transport- oder Nutzfahrzeuge. Die Automobil-Branche in aller Welt darf ihre Strategien weiterhin auf China stützen.

Volkswagen investiert Milliarden in China

Volkswagen hat gerade neue Verkaufsrekorde aus der Volksrepublik gemeldet (2,81 Millionen, plus 24,5 Prozent). Dabei hatte man sich sogar noch mehr versprochen. Weil die Zahlen den Vorhersagen offenbar etwas hinterherhinkten, mussten VW-Mitarbeiter in China in diesem Jahr diverse Sparanweisungen beispielsweise beim Verbrauch von Druckerpatronen befolgen.

Die Hoffnungen auf den Markt in China sind so gewaltig, dass sowohl Volkswagen als auch Daimler jeweils einem Vorstandsmitglied die Verantwortung für das China-Geschäft übertragen haben. Das Land wird somit in beiden Konzernen auf allerhöchster Ebene personell vertreten, eine historische Entscheidung und auch Ausdruck für die wachsende Komplexität des Chinageschäfts. Früher wurde hauptsächlich exportiert und verkauft. Das war einfach. Heute aber ist das Land der Standort für Milliarden-Investitionen, an denen Zehntausende Arbeitsplätze hängen. Für 21,5 Milliarden Euro werden deutsche Hersteller bis 2016 ihre Kapazitäten in der Volksrepublik erweitern. Volkswagen und sein chinesischer Partner stellen mit 14 Milliarden Euro den größten Anteil.

Doch für Komplexität sorgt auch der chinesische Staat. Einem Topmanager des VW-Joint-Ventures wurde im vergangenen Jahr für mehrere Tage die Ausreise aus der Volksrepublik verweigert. Schikane, nennen das manche. Der Konzern verschweigt den Vorgang.

Auch die Gesetzgeber sorgen für wachsende Unsicherheit und versteckte Risiken. So gilt seit dem 1. Januar ein neues Rückrufgesetz. Das dient unbestritten dem Konsumentenschutz, doch hat es auch einen markanten Nebeneffekt. Der Staat kann sich im Falle von technischen Problemen eines Fahrzeugs Zugang zu sämtlichen Daten und Dokumenten der Entwicklung des betroffenen Modells verschaffen. Das gilt sogar dann, wenn in Südamerika eine Bremse defekt ist. Dann haben chinesische Kontrolleure das Recht, in China in die Akten zu schauen, wenn das Fahrzeug auch dort produziert wird. Viele fürchten, dass dieses Recht zum Raub technischen Know-hows verwendet wird.

China rennt seinen Ansprüchen hinterher

Denn die Chinesen rennen den eigenen Ansprüchen noch immer weit hinterher und nutzen alle Möglichkeiten, ihre Industrie konkurrenzfähig zu machen. Seit knapp drei Jahrzehnten zwingt die Regierung ausländische Autobauer in Gemeinschaftsunternehmen, und doch ist es dem Land seither nicht gelungen, hochwertige Fahrzeuge zu bauen. Dabei haben die staatlichen Partner den Ausländern in unverfrorener Weise Know-how abgesaugt. Doch es reicht bislang nicht.

Auch private chinesische Produzenten erregten in der Vergangenheit nur kurz Aufsehen. US-Investor Warren Buffett stieg mit 230 Millionen Dollar bei BYD ein, doch steckt das Unternehmen in einer tiefen Krise und ist weit von seinem Ziel entfernt, Toyota als größten Autobauer der Welt abzulösen. Chinas staatlicher Investitionsfonds CIC setzt vielleicht auch deshalb lieber auf eine Kooperation mit Daimler statt auf die Marke Eigenbau. Die Nachricht vom Interesse des CIC an einem Zehn-Prozent-Anteil stellte die zuletzt enttäuschenden Verkaufszahlen von Daimler in der Volksrepublik in den Schatten.

Umgekehrt erwägt Daimler offenbar, sich mit zehn bis 20 Prozent bei der Beijing Automotive Group (BAIC) - dem fünftgrößten Autohersteller Chinas - einzukaufen. Das Signal eines solchen Einstiegs: China glaubt an den Erfolg Daimlers auf dem chinesischen Markt. Ein starker chinesischer Teilhaber mit staatlichem Segen wäre für die Schwaben in China definitiv von Vorteil.

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