Lance Armstrong bei Oprah Winfrey:Beichte mit System

Lance Armstrong und Oprah Winfrey

Wenige Tage vor der Ausstrahlung des TV-Interviews von Lance Armstrong mit Star-Moderatorin Oprah Winfrey wird gerätselt: Wie viel gibt er preis?

(Foto: dpa)

Es ist kein Zufall, wenn Lance Armstrong ausgerechnet bei Oprah Winfrey sein Schweigen zum Doping-Skandal bricht: Winfrey hat der öffentlichen TV-Beichte zu Kultstatus verholfen. Von dem raffiniert angekündigten Interview hängt nun nicht nur für den Ex-Radsportler viel ab - auch Winfrey verfolgt eine Strategie.

Von Irene Helmes

Es ist wie im Lehrbuch: Man nehme einen Skandal, bringe den Protagonisten dazu, sich nach ewigem Leugnen in einem Interview zu offenbaren und - sehr wichtig - man kündige dieses Gespräch so raffiniert an, dass es in aller Munde ist, längst bevor es jemand sehen kann.

Diese bewährte Methode ist derzeit eindrucksvoll zu besichtigen am Beispiel Lance Armstrong und Oprah Winfrey. Seit dem 8. Januar ist eine perfekte PR-Maschine im Gang, die die Neugier auf das Gespräch der beiden anheizt. Ausgestrahlt werden soll es am 17. Januar. In der vergangenen Nacht präsentierte Winfrey den neuesten Appetithappen via Twitter: "Habe gerade zweieinhalb Stunden mit @lancearmstrong unter Dach und Fach gebracht. Er war VORBEREITET." In US-Medien werden bereits Berichte über den möglichen Inhalt publiziert. Dahinter steckt nicht nur der Radprofi, sondern auch und vor allem die Erfahrung und die Strategie einer Frau, die hierzulande immerhin ein Begriff ist, in den USA aber für Abermillionen Menschen eine Institution.

"Wenn du es niemandem sagen kannst, dann sag' es Oprah", so könnte der Ruf beschrieben werden, den sich die 58-Jährige als Talkerin in langen Jahren aufgebaut hat. Das Magazin Newsweek sprach einmal von dem "Kult des Geständnisses", zu dem Winfrey beigetragen habe. Um zu beschreiben, was sie für das US-Fernsehen bedeutet, sind eigene Begriffe erfunden worden. "Oprahfication" ist einer davon - damit meinte das Wall Street Journal die Etablierung der öffentlichen Beichte, die in den USA inzwischen wie eine Therapie wahrgenommen werde. Winfrey kultiviert das Sich-Offenbaren von Prominenten, Politikern und ganz normalen Menschen derart, dass es inzwischen pseudoreligiöse Züge hat. Christianity Today betitelte eine Winfrey-Story 2002 mit "The Church of O" ("Die Kirche der O"), sie sei längst eines der wichtigsten spirituellen Vorbilder des Landes.

Von Donald Trump über die Obamas bis zu allen, die in Hollywood und dem Pop-Geschäft Rang und Namen haben, fast jeden hat Winfrey schon interviewt. Längst nicht immer waren diese Gespräche besonders spektakulär. Doch wer das Gefühl hatte, etwas besonders Persönliches sagen zu müssen, wählte oft bewusst ihre Couch dafür - und ihre Kameras. Die Komikerin Ellen DeGeneres etwa sprach in der "Oprah Winfrey Show" 1997 über ihr Coming-out. Tom Cruise hüpfte hier vor kreischenden Frauen im Publikum auf dem Sofa herum und rief seine Liebe für Katie Holmes aufgekratzt wie ein betrunkenes Kind in die Welt (seine Mitgliedschaft bei Scientology war kein Thema).

Beichten bei Oprah ist Kult. Zumal die Talkerin auch selbst immer wieder für extreme Einblicke in ihr eigenes Leben gesorgt hat: darunter sexueller Missbrauch in ihrer Jugend, Gewichtsprobleme und eine überraschend präsentierte Halbschwester im Jahr 2011. Geben und Nehmen, Erzählen und Zuhören, das ist Winfreys Strategie.

Doch ausgerechnet das, was viele Moderatoren als ihre wichtigste Aufgabe betrachten, gehört nicht zu ihrer Strategie: unbequeme Fragen stellen. Mögen sich andere aggressiv nach vorne lehnen und nachbohren, mögen andere vielleicht sogar Konferenztische zwischen sich und ihre Gäste stellen, um ihre Unbestechlichkeit und Objektivität zu betonen, mag jemand wie Piers Morgan in seiner Show Waffenlobbyisten offen beschimpfen - Winfrey tut so was nicht. Ihr Image ist das der Freundin, der guten Tante, der Vertrauten. Sie fragt weniger, sie unterhält sich, weint im Zweifelsfall auch mal zusammen mit den Gästen.

Beichten bei Oprah ist ein kalkulierbares Risiko

Und genau das macht sich bezahlt. Wer zu ihr kommt, muss nicht davon ausgehen, sich demütigen lassen zu müssen, sondern verlässt sich auf erträgliche Fragen, hofft vielleicht sogar auf Trost. Whitney Houstons Tochter kam nach dem Tod des Popstars in Winfreys Sendung. Einst fragte Winfrey Michael Jackson immerhin ins Gesicht, ob er operiert sei - ein Kreuzverhör wurde daraus aber nicht. Erst Anfang Januar sprach Late-Night-Talker David Letterman bei ihr über seine Affäre. In den USA ist das weiterhin skandalträchtig, den Rahmen von Winfreys Show erachtete der TV-Profi aber offenbar als kalkulierbares Risiko.

Die legendäre "Oprah Winfrey Show" gibt es zwar nicht mehr, die Self-Made-Milliardärin Winfrey sehr wohl. Das Herzstück ihres Imperiums ist mittlerweile OWN, das "Oprah Winfrey Network". Hauptzielgruppe sind Frauen zwischen Mitte zwanzig und Mitte fünfzig. Es geht um nicht weniger als das bestmögliche Leben - "Live your best life" ist der Slogan, Beratung in allen Fragen von Geldnot über Liebessorgen bis zur Gesundheit gibt es hier. Und natürlich, immer noch, die Beichte.

Einer Analyse des Wirtschaftsmagazins Forbes zufolge tut Winfrey gut daran, sich auf ihr altes Erfolgsrezept zu verlassen. Der US-Kabelfernsehmarkt ist ein knallhartes Geschäft, auch jemand wie Winfrey bekommt hier nichts geschenkt, OWN macht seit der Gründung vor zwei Jahren Verluste. Doch nach dem Interview mit Letterman verspricht laut Forbes das Armstrong-Gespräch ein Millionengeschäft und ein äußerst wichtiger Erfolg für ihr Network zu werden. "Dieses Geräusch, das Sie hören? Das sind Milionen Fernsehzuschauer, die sich durch ihre Kabelangebote klicken, um OWN zu finden", so Forbes in Anspielung auf die Spannung vor der Ausstrahlung des Interviews am Donnerstag. Ein Ereignis wie das exklusive Armstrong-Interview erhöhe Winfreys Chancen, OWN künftig erfolgreicher in Kabelangeboten unterzubringen - immerhin gelte es noch 30 Prozent der US-Haushalte mit Pay-TV zu erobern und die Einschaltquoten erheblich zu verbessern.

Wer waren die Hintermänner? Welcher Arzt verabreichte wann welches Mittel? Nach Ansicht von Sportexperten wären derlei Fragen an Lance Armstrong zu stellen. Das Geständnis an sich, das Armstrong bislang über Winfrey ankündigt, sei dagegen letztlich kaum etwas wert. Die Beweise in dem mehr als 1000 Seiten starken Dossier der US-Anti-Doping-Agentur USADA seien bereits erdrückend genug. Details hingegen zu dem laut USADA "ausgeklügeltsten, professionellsten und erfolgreichsten Dopingprogramm, das die Welt jemals gesehen hat", könnten ein Scoop sein.

Wer erhofft sich also was von dem Gespräch am Donnerstag, das bereits in Austin aufgezeichnet wurde? Lance Armstrong dürfte auf große Gefühle, einen möglichen Mitleidseffekt setzen, Oprah Winfrey darauf, mal wieder allen zu zeigen, dass man mit ihr am liebsten spricht. Ob hingegen die Erwartungen der Radsportfans erfüllt werden, endlich aus Armstrongs Mund zu hören, wie es denn nun genau war - das bleibt bis zur Sendung reine, äußerst geschickt angeheizte Spekulation.

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