Journalist Mike Allen von "Politico":Ganz nah dran

Die Website "Politico"

Die Website "Politico", dessen Gesicht Mike Allen ist. Er gibt bei vielen als Amerikas mächtigster Polit-Journalist.

Mike Allen ist das Gesicht der Website "Politico" und gilt vielen als Amerika mächtigster Polit-Journalist. Sein Geheimnis: Er ist ganz nah dran an Demokraten und Republikanern, schläft kaum und verfasst jeden Morgen einen unverzichtbaren E-Mail-Newsletter.

Von Matthias Kolb, Washington

Um 6:20 Uhr steht Mike Allen im Großraumbüro von Politico und spricht per Videoschalte in der TV-Sendung Morning Joe über seine jüngste Enthüllung. Immer mehr Republikaner, raunt der 48-Jährige, seien bereit, der Regierung kein zusätzliches Geld zu bewilligen, um möglichst viele US-Behörden handlungsunfähig zu machen. Nur damit sei Präsident Obama zum Sparen zu zwingen. Allen konstatiert: "Diese Story wird viele hier in Washington kalt erwischen."

Kaum ist das Interview mit MSNBC beendet (Video hier), sitzt Allen wieder am Schreibtisch. Seit zwei Uhr ist er wach, hat Zeitungen, Blogs und Agenturmeldungen gelesen und die E-Mails seiner vielen Informanten studiert. Aus diesem Material entsteht "Playbook", Washingtons wichtigster Newsletter für Politiker, Journalisten und Lobbyisten.

Vom Insider für Insider

Eine bunte Mischung - verfasst vom Insider für andere Insider. An jedem Tag der Woche empfiehlt Allen seinen 95.000 Abonnenten ein knappes Dutzend Artikel, weist auf Termine hin, zitiert Präsidentenberater oder entschlüsselt die neuesten Windungen der konservativen Republikaner. Im "Playbook" ist auch Platz für Geburtstagsgrüße und als er im Juni seinen geliebten Blackberry gegen ein iPhone tauschte, bat Allen seine Leser, die er stets community nennt, um praktische Tipps.

2000 E-Mails erhalte er täglich, sagte er dem New York Times Magazine, das ein Feature über ihn mit "Der Mann, der das Weiße Haus aufweckt" überschrieb. Obamas Kommunikationschef Dan Pfeiffer verriet darin, dass "Mikey" der Journalist sei, den er vor dem Zubettgehen kontaktiere - und auch derjenige, dem er um vier Uhr die erste E-Mail schicke. Nicht nur Bob Woodward, Reporter-Legende der Washington Post, hält den unverheirateten Workaholic für den bestinformierten Journalisten: "Man muss eigentlich nichts anderes tun, als Mike Allen zu lesen."

Es geht um Sieg und Niederlage

Der rastlose Allen ist der bekannteste Vertreter eines neuen Politik-Journalismus, für den die 2007 gestartete Website Politico steht. Ihre Gründer, John Harris und Jim VandeHei, kamen von der Washington Post. Die Site, sagt Harris, soll für Polit-Junkies so unersetzlich sein wie jene des Kabelsenders ESPN für Sportfans. Der Sport-Vergleich passt: Auch bei der Politico-Berichterstattung geht es vor allem um Sieg oder Niederlage. Welcher Politiker gerade an Macht gewonnen hat, interessiert mehr als die Auswirkungen der Gesetze auf den Alltag der Amerikaner.

Die 160 Reporter sollen nah dran sein an den Mächtigen und ihre Texte so verfassen, dass sie niemals langweilig sind und unter Lobbyisten, Politikern und anderen Journalisten stets Gesprächsstoff sind. To drive the day lautet die Maxime, die jeden Morgen mit dem "Playbook"-Rundbrief erfüllt wird.

Unverzichtbare Lektüre

Pro Monat klicken bis zu sechs Millionen Menschen auf politico.com. Die Website wird rund um die Uhr aktualisiert und überträgt per Livestream alle wichtige Ereignisse. Ihre besten Artikel werden als Gratiszeitung in Washington und Manhattan verbreitet - die Anzeigen in den 40000 Exemplaren sorgen ebenso für Einnahmen wie der Bezahlservice Politico Pro, der Abonnenten vertiefende Hintergrundinformationen liefert.

Mikey, der vom Nachrichtenmagazin Time kam und zuvor für die New York Times und die Washington Post schrieb, ist mit Politico mittlerweile zu einer eigenen Marke geworden, die auf Twitter (162.000 Follower) gepflegt und mit dem Verkauf von E-Books vermarktet wird.

Bei Homo-Ehe und Klimawandel beziehe Politico kaum Haltung

Kritiker wie Alex Pareene vom Magazin The Baffler bemängeln zwar, dass Politico bei Themen wie Klimawandel oder Homo-Ehe kaum Haltung beziehe und die Politiker-Argumente nur selten prüfe oder gar als falsch entlarve. Doch auch diese Kritiker geben zu, dass die Lektüre des "Playbook" unverzichtbar sei. Seine engen Kontakte zu den mächtigen Demokraten und Republikaner machen Mike Allen darum zum wohl mächtigsten Journalisten in Washington.

Linktipp: Das beste Porträt über Mike Allen, das zugleich eine genaue Beschreibung des Washingtoner "Politik-Medien-Komplex" ist, erschien im April 2010 im New York Times Magazine. Kritische Auseinandersetzungen mit dem rastlosen Politico-Journalismus erschienen in den Magazinen The New Republic und The Baffler.

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