Obamas Rede zur zweiten Amtszeit:Kampfansage ans konservative Amerika

Homo-Ehe, Umweltschutz, strengere Waffengesetze: US-Präsident Obama präsentiert ein Programm, das liberale Herzen gewinnen soll - und das viele Republikaner als Affront werten. Obama will nicht einen, sondern führen: Er ist überzeugt, dass eine wachsende Mehrheit der Amerikaner seine Weltsicht teilt.

Von Matthias Kolb, Washington

Am 20. Januar 2009 blickte Barack Obama mit ernster Miene vom Westflügel des Kapitols auf die Menge hinunter. Er warnte vor den Folgen der globalen Wirtschaftskrise, klagte über die immensen Kosten der Kriege in Irak und Afghanistan und sorgte sich darum, dass Amerika weiterhin davor zurückschrecken werde, die "nötigen, schmerzhaften Entscheidungen" zu treffen (Text hier nachzulesen).

Obama entschied sich damals dagegen, allzu viel über die historische Bedeutung seiner Wahl zu sprechen - und schien damit die riesigen Erwartungen an ihn dämpfen zu wollen. Denn der Ton seiner Rede passte nicht zur Euphorie der 1,8 Millionen Zuhörer in Washington, die vom Stolz erfüllt waren, dass ihr Land erstmals einen Afroamerikaner ins Weiße Haus gewählt hatte. Vier Jahre später hat sich die Zahl der Zuschauer auf der National Mall halbiert und der Präsident hat sich verändert. Obama tritt selbstbewusster, optimistischer und populistischer als 2009 auf - er wirkt auch gelöster als noch vor einem Jahr.

Der 51-Jährige hat akzeptiert, dass er die US-Gesellschaft nicht wird einen können, sondern seine Mitbürger polarisiert wie kaum ein anderer Politiker. Es sind vor allem die Afroamerikaner und die liberalen Großstädter, die ihm an diesem kalten Montag zujubeln, während Konservative im Süden und im Mittleren Westen ihr (vernichtendes) Urteil über den 44. Präsidenten längst gefällt haben.

Bestärkt von seinem klaren Wahlsieg spricht Obama von "wirtschaftlicher Erholung" und legt eine progressive Agenda für seine zweite Amtszeit vor - es sind Themen, die er bislang selten so klar angesprochen hat wie von seinen Anhängern gewünscht. Auch wenn ihm für deren Umsetzung maximal zwei Jahre bleiben, nimmt der Demokrat nun offenbar den Kampf auf mit den Republikanern, die die Mehrheit im Repräsentantenhaus haben.

Obamas Ziele für die zweite Amtszeit

Obama benennt sechs innenpolitische Ziele, die er mit der Unabhängigkeitserklärung von 1776, dem wichtigsten Text der amerikanischen Politik, begründet. Demnach sind alle Menschen von ihrem Schöpfer gleich geschaffen und mit gleichen Rechten versehen.

  • Bewahrung des Sozialstaats: Obama warnt vor einer Gesellschaft, in der es einigen Wenigen sehr gut gehe, während immer mehr Menschen ums wirtschaftliche Überleben kämpfen. Also müsse in Bildung investiert und der Sozialstaat mit Krankenversicherung und den Programmen Medicare (für Senioren) und Medicaid (für Arme) in Grundzügen bewahrt bleiben. Er sei zu Kompromissen und Einsparungen bereit, doch er werde nicht zulassen, dass "die Generation, die das Land aufgebaut hat" und "jene Generation, die Amerikas Zukunft ist" gegeneinander ausgespielt würden.
  • Bekämpfung des Klimawandels: Selbst wenn einige hartnäckig die Erkenntnisse der Wissenschaft zur Erderwärmung leugnen würden, müssten entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden, damit "wir unsere Kinder und künftige Generationen nicht betrügen", sagte der 51-Jährige.
  • Emanzipation von Frauen: Die Ziele der Pioniere der Bürgerrechtsbewegung seien nicht erreicht, solange "unsere Ehefrauen, Mütter und Töchter" nicht so viel verdienen wie ihnen zusteht - nämlich eben so viel wie Männer, ruft der zweifache Vater der Menge zu.
  • Gleichberechtigung für Homosexuelle: Die jetzige Generation müsse dafür sorgen, dass "unsere homosexuellen Brüder und Schwestern" vor dem Gesetz gleich behandelt würden. Deren Liebe sei gleichwertig, so Obama, der als erster Präsident das Wort gay in einer Antrittsrede aussprach.
  • Einwanderungsreform: Einen wichtigen Hinweis auf die Prioritäten in Obamas zweiter Amtszeit gibt folgender Satz: "Wir müssen einen besseren Weg finden, die ehrgeizigen Einwanderer willkommen zu heißen, die Amerika als Land der Chancen begreifen. Kluge Studenten und Ingenieure sollen hier Jobs finden anstatt Angst vor der Abschiebung zu haben."
  • Schutz der Kinder durch strengere Waffengesetze: Wie wichtig Obama das Thema gun control ist, wurde in den vergangenen Wochen deutlich. Er nannte den 14. Dezember, das Datum des Grundschulmassakers in Connecticut "den schrecklichsten Tag meiner Präsidentschaft". Also wundert es nicht, dass er fordert: "All unsere Kinder müssen wissen, dass sie in Sicherheit sind, egal ob sie in den Straßen von Detroit, den Hügeln der Appalachen oder den ruhigen Gassen von Newtown leben."

Bessere Aussichten für Obamas Pläne

Die politischen Gegner reagierten erwartungsgemäß reserviert. Obamas Rede habe sie mehr an einen Wahlkampfauftritt als an einen Staatsakt erinnert, sagte die republikanische Senatorin Susan Collins zu Politico: "Vielleicht war dies das Ende der Kampagne und wir können uns nun um die Regierungsarbeit kümmern." Senator John McCain vermisste ein Angebot zur Zusammenarbeit. Noch ärgerlicher reagierte der einflussreiche Abgeordnete Darrell Issa: "Wir hatten gehofft, dass er diesen Tag nutzen würde, um sich an alle Amerikaner zu wenden. Das hat er eindeutig nicht getan."

Es stimmt: Der Adressat der Rede war vielmehr jene bunte Koalition aus Schwarzen, Hispanics, Asiaten, Homosexuellen und Frauen, die dem Demokraten die Wiederwahl ermöglicht hat. Der Erfolg vom 6. November und die Änderungen in der US-Gesellschaft haben in Obama die Überzeugung wachsen lassen, dass immer mehr Bürger seine Werte teilen.

Und der Präsident will die perfekte Maschinerie des Wahlkampfs mit den Millionen E-Mail-Adressen nutzen, um die Republikaner vor sich herzutreiben: Am Samstag wurde mit "Organizing for Action" (OFA) eine neue Organisation gegründet, die unbegrenzt Spenden sammeln darf, um Obamas Anliegen zu unterstützen. Geführt wird der Nachfolger von "Organizing for America" und "Obama for America" von Jim Messina, dem Strategen der Wiederwahl (Details hier).

Treffen ja - aber nicht in der Mitte

In der Washington Post bringt es Dan Balz auf den Punkt: Obama habe den Konservativen klargemacht, dass er weiterhin bereit sei, auf sie zuzugehen - nur würden sie sich nicht zwingend in der Mitte treffen. "Die Botschaft war weniger 'Lasst uns gemeinsam beratschlagen' als 'Folgt mir'", so die Bilanz des erfahrenen Reporters.

Natürlich ist Obama Realist genug, um zu wissen, dass er wohl nicht alle sechs Punkte seiner Agenda wird durchsetzen können. Aber die jüngsten Kämpfe im Haushaltsstreit hätten den Republikanern gezeigt, dass der US-Präsident in einer guten Position ist und die Mehrheit der Wähler die Konservativen als Grund für den Stillstand in Washington ansehen.

Folglich, so vermutet Balz, werden es sich die Republikaner genau überlegen, bei welchem Thema sie blockieren und bei welchem sie zu Kompromissen bereit sind. Stimmt diese Theorie, dann könnte sich der plötzlich so progressive Obama 2016 über einige Erfolge seiner zweiten Amtszeit freuen.

Linktipp: Die Antrittsrede von Barack Obama können Sie in einem interaktiven Special nachlesen - versehen mit vielen Hintergrund-Informationen auf der Website der New York Times.

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