Politische Kultur:Modernes Gekeife

Philipp Rösler und Jörg-Uwe Hahn

FDP-Chef Philipp Rösler (vorne) hat sich hinter seinen Parteikollegen Jörg-Uwe Hahn gestellt - auch nach dessen Äußerungen über das Aussehen des Vorsitzenden. Hahn hat eine Rassismus-Debatte ausgelöst und sieht sich massiver Kritik an seiner Person ausgesetzt. 

(Foto: dpa)

Man muss schon böswillig sein, um die Äußerungen Jörg-Uwe Hahns über die Herkunft Röslers als Angriff auf den FDP-Chef zu werten. Politiker wie Gabriel, Dobrindt oder Kubicki hauen drauf und holen sich Bestätigung bei denen, die Krawall für eine scharfe politische Auseinandersetzung halten. Das ist leider Humbug und verdirbt die Sitten.

Ein Kommentar von Kurt Kister

Als Journalist sollte man vorsichtig sein, wenn man sich über die Empörungskultur empört. Sie rührt ja nicht nur vom Gekeife des Schwarms im Netz her, sondern auch von der Vielzahl der Kommentatoren in Zeitungen, Radio und Fernsehen, von denen viele stets bereit sind, sich über alles aufzuregen, was sich nur missverstehen lässt.

Im politischen Bereich ist der Erregungskoeffizient zurzeit besonders hoch bei allem, was mit der FDP oder dem SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück zu tun hat. Wenn man als Schreiber oder Sprechschaugast da besonders dreinschlägt, erzielt man analog und digital den erwartbaren Beifall. Kommentator und Zweitkommentierende fühlen sich wohl dabei, haben mal wieder so richtig mutig hingelangt und können sich gegenseitig versichern, dass ihr sich selbst verstärkendes Tschingdarassa die öffentliche Meinung sei.

Wer nach alltäglichem Rassismus fragt, muss kein Rassist sein

Ein Beispiel dafür ist die Aufregung um den hessischen FDP-Politiker Hahn. Er hatte in einem Interview gefragt, ob "unsere Gesellschaft" - nicht er, nicht die FDP, nicht einmal die Hessen - schon so weit sei, "einen asiatisch aussehenden Vizekanzler noch länger zu akzeptieren".

Man muss fast böswillig oder sehr parteiisch sein, um dies als Angriff auf FDP-Chef Rösler zu interpretieren. Es gibt in Deutschland leider zu viele Menschen, die Vorbehalte gegenüber solchen Leuten haben, die sie als anders empfinden. Das wollte der hessische Integrationsminister Hahn ausdrücken. Die Vorstellung, dass einer, der nach dem täglichen Rassismus fragt, deswegen selbst Rassist sei, ist hanebüchen.

Natürlich war es wieder Sigmar Gabriel, der von Hahns "verstecktem Rassismus" phantasierte. Der Politiker-Typus Gabriel, den es in allen Parteien gibt, trägt erheblich zur Wahrnehmung von Politik als Gekeife bei. Dobrindt, Kubicki oder eben Gabriel hauen drauf und holen sich Bestätigung bei denen, die Krawall für eine scharfe politische Auseinandersetzung halten.

Stürmchen über dem Peerblog

Das ist leider Humbug und es verdirbt die Sitten. Die SPD macht gerade selbst diese Erfahrung mit ihrem Kanzlerkandidaten, was man zuletzt an dem Stürmchen über den Peerblog sehen konnte. Ein SPD-Sympathisant, der früher mal als digitaler Anti-CDU-Kämpe in Nordrhein-Westfalen reüssierte, wollte Steinbrück ins Kanzleramt bloggen, bezahlt von anderen SPD-Sympathisanten. Ja und?

Das Netz ist voller Blogs, viele unbezahlte und etliche bezahlte. Die Vorstellung, ein Pro-Steinbrück-Blog könne im Bundestagswahlkampf etwas bewirken, hegen in erster Linie Leute, die selbst Blogs schreiben. Blogs sind ein Ausdruck der großen Freiheit im Netz, auch wenn die sich oft darin ausdrückt, dass der eine schreibt, was der andere auf keinen Fall tun oder denken soll - und schon gar nicht im Netz.

Weder der Peerblog ist die Aufregung wert noch das holprig formulierte Nachdenken des Herrn Hahn. Aber es geht ja auch nicht um das jeweilige Thema, sondern darum, dass Politik im allerweitesten Sinne ohne Aufregung, Gekeife und Gabrielismus nicht mehr modern zu sein scheint.

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