Opposition in den USA:Die Tea Party geht weiter

Steuern runter und Staatsausgaben kürzen: Das fordert die Tea-Party-Bewegung, die vor vier Jahren in den USA entstand. Warum ihr Einfluss auf die US-Politik noch immer groß ist - und wohl bis 2020 andauern wird.

Von Matthias Kolb, Washington

Im Februar 2009 war Barack Obama gerade mal vier Wochen im Amt. Doch viele konservative Amerikaner hatten sich bereits ihr Urteil gebildet: Ein "Sozialist" sei der Demokrat, der nur weitere Schulden machen werde. Sie konnten nicht verstehen, dass Banken mit Staatsgeld gerettet wurden und wieso ein Milliarden-Paket die taumelnde US-Wirtschaft stabilisieren sollte.

Als in Washington über ein Hilfsprogramm für verschuldete Hausbesitzer debattiert wurde, platzte dem Wirtschaftsjournalisten Rick Santelli der Kragen. Sein Wutausbruch sollte Amerikas Politik verändern. Am 19. Februar 2009 war der Wirtschaftsjournalist vom Parkett der Chicagoer Börse live dem Börsensender CNBC zugeschaltet. Santelli schimpfte gegen die "Versager, die das Wasser trinken, das andere mühsam herschafften". Während Santelli tobte, klatschten die Makler neben ihm zustimmend und jubelten, als dieser "alle Kapitalisten" zu einer "Chicago Tea Party" einlud, um gegen die Regierung zu protestieren.

"Kaum landete der Clip im Internet, entstanden die ersten Tea-Party-Gruppen", sagt Autor Thomas Frank, der sich in seinem Buch "Arme Milliardäre" intensiv mit der konservativen Bewegung beschäftigt hat (mehr in diesem SZ-Interview). Die Mitglieder wünschten sich niedrige Steuern, einen Abbau der Staatsschulden und wollten den Einfluss der Regierung eindämmen.

Der Begriff Tea Party erinnerte an die berühmte Protestaktion gegen die britischen Kolonialherren in Boston 1773 und steht auch für "Taxed Enough Already" ("Wir zahlen schon genug Steuern"). Die Bewegung, die viel Unterstützung von konservativen Lobbygruppen und dem Kabelsender Fox News erhielt, traf den Nerv vieler Amerikaner: Im November 2010 wurden 87 Mitglieder der Tea Party ins Repräsentantenhaus gewählt und die Demokraten verloren die Mehrheit.

Auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit?

Doch vier Jahre nach Santellis Schimpftirade regiert Barack Obama noch immer im Weißen Haus und hat den Republikanern sogar eine Steuererhöhung für Reiche abgerungen. Ist die Tea Party also auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit? Im Januar 2013 bezeichneten sich in Umfragen nur acht Prozent der Amerikaner als Anhänger der Tea Party - im April 2010, nach der Verabschiedung der umstrittenen Gesundheitsreform von Barack Obama, waren es noch 24 Prozent gewesen.

Auch hat der konservative Stratege Karl Rove ein eigenes Super-Pac gegründet, um zu verhindern, dass zu konservative Tea-Party-Kandidaten wie Todd Akin den Republikanern Sitze kosten. Sarah Palin, Ikone der Bewegung, wurde bei Fox News abgeschaltet und jüngere Gouverneure fordern, die Republikaner dürften nicht mehr die "dumme Partei" sein.

Trotzdem spricht einiges dafür, dass die Tea Party Amerikas Politik noch lange prägen wird.

"Wir haben auch gewonnen, Mister President"

US-Präsident Barack Obama begründet seine progressive Agenda oft mit seiner Wiederwahl. Doch dieses Argument beeindruckt die Republikaner im Repräsentantenhaus nicht: Auch jeder einzelne der 234 republikanischen Abgeordneten hat seine Wahl gewonnen und ist in seinem Bezirk für eine kompromisslose Haltung gegenüber der Regierung bestätigt worden.

72 Tea-Party-Abgeordnete sind weiterhin in Repräsentantenhaus vertreten. Im Interview mit dem TV-Sender PBS zeigen sich die renommierten Politologen Thomas Mann und Norman Ornstein überzeugt, dass die meisten weiter kämpfen werden: "Das Besondere an der Class of 2010 ist, dass sie an eine 'Mission' glauben. Nur sie wissen, was das Problem ist in Washington, wie die Lösung aussieht und dass diese nur umgesetzt werden muss."

Dieser "Alles-oder-Nichts"-Ansatz sieht so aus: Ein Verfassungszusatz soll die Regierung zu einem ausgeglichenen Haushalt verpflichten, die Staatsschulden sollen mit radikalen Kürzungen abgebaut werden und danach werde Washington "ausgehungert". Autor Thomas Frank hält diese Ideologie, die Investitionen in die Zukunft (Bildung, Infrastruktur) erschwert und den Handlungsspielraum der Regierung einengt, für gefährlich: "Viele Abgeordnete, die 2010 gewählt wurden, sind Geschäftsleute. Sie glauben, dass die Regierung nicht mehr ausgeben dürfe als sie einnehme. Doch ein Staat ist kein Eisenwarenladen, gerade in Krisenzeiten muss er Schulden machen."

Die Tea Party formt das konservative Image

Warum sich die Republikaner selbst gefährden können

Das Bild der Republikaner wird 2013 durch drei Männer geprägt: Marc Rubio, Lindsey Graham und Ted Cruz. Rubio macht mit seinem Werben für eine Einwanderungsreform und seiner von einer Wasserflasche überschatteten Antwort auf Obamas "Rede zur Lage der Nation" von sich reden, während Graham aus South Carolina täglich Aufklärung zum Tod von vier Amerikanern beim Sturm auf das US-Konsulat in Bengasi fordert, auch wenn der Vorfall etwa bei der Nominierung von Verteidigungsminister Chuck Hagel keine Rolle spielt.

Wer Zweifel am ernsthaften Reformwillen der Republikaner hat, der sieht sich durch das Verhalten von Ted Cruz aus Texas bestätigt. Der Neu-Senator ist bisher vor allem als kompromissloser "Nein"-Sager aufgefallen. Dabei tritt er so aggressiv auf, dass ihn Demokraten ebenso wie Kolumnisten von der Washington Post bis zum Forbes Magazine mit dem Kommunistenjäger Joe McCarthy in den fünfziger Jahren vergleichen.

Cruz spekulierte öffentlich, ob der designierte Pentagon-Chef Hagel Gelder aus Nordkorea erhalten habe - und forderte den Vietnamkriegsveteran auf, das Gegenteil zu beweisen. Exemplarisch für das inquisitorische Auftreten des in Harvard ausgebildeten Juristen ist dieser Ausschnitt aus der Hagel-Anhörung:

Dass ihn sein Parteifreund John McCain, der oft selbst mit einem Vulkan verglichen wird, zur Mäßigung im Ton auffordert, stört Cruz nicht. Er erklärt in einer Standard-Mail an Journalisten, dass er nur seine Ankündigung umsetze: "Ich habe den Texanern versprochen, den Status quo in Washington durchzuschütteln." Dafür hat Cruz, der bei der Vorwahl im Juli 2012 mithilfe lokaler Tea-Party-Gruppen gegen einen Establishment-Republikaner siegte, nun bis 2018 Zeit.

Die Agenda der Tea Party bleibt einflussreich

Dass sich Lindsey Graham zurzeit so kompromisslos zeigt, hat einen simplen Grund: Er will 2014 als Senator wiedergewählt werden. South Carolina ist konservatives Terrain, insofern fürchtet Graham keinen Demokraten als Gegner - seine größte Konkurrenz wäre ein Republikaner, der sich noch weiter rechts positioniert. Und da Graham zu jener Senatorengruppe gehört, die das Einwanderungsrecht reformieren will, tut er alles, um auf den anderen Themenfeldern nicht angreifbar zu sein. Ähnlich handelt Shootingstar Marco Rubio, den die Unterstützung der Tea Party 2010 in den Senat brachte. Auch er fordert ein modernes Migrationsrecht und betet zugleich das ultrakonservative Mantra herunter: Nein zu Homo-Ehe, noch niedrigere Steuern und weniger Regulierung.

Dass es John Boehner, dem Chef der Republikaner im Repräsentantenhaus, so schwer fiel und fällt, mit dem Präsidenten einen Deal auszuhandeln, liegt auch an dem etwas anderen Polit-Verständnis der neuen Abgeordneten. "Die Tea Party ist nicht nur wegen Barack Obama entstanden", erklärt Raúl Labrador aus Idaho dem Sender PBS: "Die Leute waren von den Republikanern frustriert, weil die in den Bush-Jahren zu viel Geld ausgegeben haben."

Ähnlich schlimm findet Labrador, wenn Politiker sich in Hinterzimmern verschanzen: Die Bürger hätten ein Recht auf Transparenz. Jeff Duncan aus South Carolina hält "Kompromiss" für ein Schimpfwort. "Ich definiere Wahnsinn so: Immer wieder das Gleiche tun und auf ein anderes Ergebnis hoffen", so Duncan, der die am 1. März fälligen automatischen Streichungen im Haushalt begrüßt. "Hauptsache, die Schulden sinken", so das Argument. Diese Geisteshaltung lässt sich nicht ignorieren: Etwa jeder dritte Abgeordnete der Republikaner steht der Tea Party nahe.

Nur Republikaner können den Republikanern gefährlich werden

Das Phänomen der Polarisierung der US-Politik wurde bereits am Beispiel von Senator Lindsey Graham angeschnitten: Der liberalste Republikaner im Repräsentantenhaus steht heute weiter rechts als der konservativste Demokrat. Dafür gibt es mehrere Gründe: Einerseits ziehen Amerikaner seit mehreren Jahrzehnten in Viertel, in denen die Nachbarn ähnlich denken. Andererseits haben beide Parteien eine Meisterschaft darin entwickelt, die Wahlkreise im Zehn-Jahre-Turnus so zuzuschneiden, dass ihre Kandidaten profitieren.

Die letzte Veränderung orientiert sich am Wahlergebnis 2010 - als die Tea Party den Republikanern einen großen Erfolg bescherte. Die Neuordnung der Bezirke führte dazu, dass die Demokraten bei der Wahl des Repräsentantenhauses 2012 zwar 1,4 Millionen Stimmen mehr erhielten als die Grand Old Party und trotzdem in der Minderheit blieben. Der Princeton-Professor Sam Wang hat errechnet, dass die Demokraten momentan mit sieben Prozentpunkten Vorsprung gewinnen müssten, um vor 2020 wieder das House zu kontrollieren. Auch der Polit-Beobachter Charlie Cook beschreibt diese Aufgabe für Obamas Partei als "sehr schwierig": Nur in 99 der 435 Wahlkreise lasse sich nicht voraussagen, ob Republikaner oder Demokraten gewinnen. Im Rest steht der Sieger von vornherein fest - und in 190 Kreisen ist das ein Republikaner.

Konkurrenz müssen diese Abgeordneten also nur aus der eigenen Partei fürchten. Für die Tea Party könnte dies bedeuten, dass sie es den Republikanern zwar schwermachen werden, einen der Ihren ins Weiße Haus zu schicken - doch sie werden womöglich helfen, die für eine Teilblockade nötige Mehrheit im Repräsentantenhaus zu verteidigen.

Linktipps: Der Sender PBS zeigte kürzlich eine sehenswerte Dokumentation über die Hintergründe zum Stillstand in Washington, die online abrufbar ist. Das begleitende Web-Dossier beleuchtet das Phänomen der Tea Party. Im Januar 2010 erschien eine Reportage über die Anfangszeit der Bewegung von John Jeremiah Sullivan in GQ.

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