US-Schuldenstreit:Wenn Politik zum ewigen Pokerspiel wird

President Obama unveils a statue of Rosa Parks

Wann immer Obama einen Haushalts-Kompromiss skizziert, verlangt er vom Gegner ein zentrales Zugeständnis: Steuererhöhungen.

(Foto: dpa)

Amerika hangelt sich von einer Krise zur nächsten: Am Freitag tritt ein 85 Milliarden Dollar schweres Spardiktat in Kraft. Doch Obama und die Republikaner schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu - wer sich zuerst bewegt, verliert. Der Präsident setzt darauf, dass die Öffentlichkeit den Konservativen das Nichtstun übler nimmt als ihm.

Von Nicolas Richter, Washington

Wer die nächsten Zumutungen im amerikanischen Budgetstreit verstehen möchte, muss sich an den Sommer 2011 erinnern. Präsident Barack Obama und das mehrheitlich republikanische Abgeordnetenhaus streiten - damals schon - über den Staatshaushalt. Finden sie nicht schnell einen Kompromiss, droht dem mächtigsten Staat der Erde Zahlungsunfähigkeit.

Am 26. Juli 2011 trifft sich Obamas Haushaltsexperte Jack Lew mit Harry Reid, dem Anführer der Demokraten im Senat. Lew sagt, er habe eine Idee, die einen Kompromiss erzwingen könnte. "Wie lautet die Idee?", fragt Reid.

"Sequestration", sagt Lew.

Reid krümmt sich, als müsse er sich übergeben. Lews Idee bedeutet, frei übersetzt, Zwangssparen. Sollten sich Präsident und Parlament bis zu einem Stichtag nicht einigen, wird automatisch gekürzt, quer durch alle Etats.

Reid, ein Förderer Obamas, blickt zur Decke und klagt, kürzlich hätten ihm Mitarbeiter genau das vorgeschlagen: Zwangssparen. "Ich habe ihnen gesagt: Haut ab damit. Das ist krank. Das Weiße Haus wird bestimmt einen vernüftigen Ausweg finden. Und nun kommen Sie zu mir mit Sequestration?" Doch dann stellte sich heraus: Selbst das Weiße Haus hatte keine bessere Idee.

Die Anekdote stammt aus dem Buch "The Price of Politics" von Bob Woodward. Die automatischen Kürzungen, die 2011 beschlossen wurden, sollen an diesem Freitag, dem 1. März, in Kraft treten. Sie sind das nächste Kapitel einer Auseinandersetzung, die im Herbst 2010 begann: Damals haben die Republikaner die Mehrheit im Abgeordnetenhaus zurückerlangt, seitdem versuchen sie Obama zum Sparen zu zwingen. Der erklärt sich auch zum Sparen bereit, allerdings nur, wenn es Reiche wie Arme gleichermaßen trifft.

Steuern, Streichungen, Staatspleite

Weil sich beide Seiten nicht auf langfristig geordnete Staatsfinanzen einigen können, entstehen Dinge wie der Sequester. Alle paar Monate nahen nun Stichtage, mit denen neue Grausamkeiten drohen: Steuern, Streichungen, Staatspleite. Zuletzt, an Neujahr, war dies die "Haushaltsklippe", mit ihren Steuererhöhungen. Eigentlich hätte das Zwangssparen schon damals einsetzen sollen, aber es wurde auf den 1. März verschoben. Nun muss die Bundesregierung ihre Ausgaben um 85 Milliarden Dollar im Jahr kürzen, es trifft vor allem das Verteidigungsministerium, aber auch: Gefängnisse, Schulen, Flughäfen.

Washingtons Politik hat sich in ein ewiges Pokerspiel verwandelt. Mit jeder neuen "deadline" tut jedes Lager so, als sei das jeweils andere in der Pflicht, das drohende Ungemach abzuwenden. Wer sich zuerst bewegt, verliert. Amerika steht nun ein weitreichendes Spardiktat bevor, aber niemand möchte der Diktator sein.

Notlösung wird zur Regel

Obama hat seit seiner Wiederwahl einen neuen Regierungsstil entwickelt. Wenn der nächste Stichtag des Missvergnügens naht, tut er so, als gehe ihn das nichts an: Statt mit seinen Gegnern zu verhandeln, reist er durch das Land, als wäre Wahlkampf, trifft Mittelständler, warnt vor schlimmen Folgen und verlangt vom Parlament, endlich zu handeln. Neulich hat Obama im Weißen Haus Polizisten und Feuerwehrmänner empfangen und den nächsten Spar-Automatismus mit einem "Fleischerbeil" verglichen.

Die Taktik des Präsidenten: Er ist beliebter als der Kongress und kann öffentlichen Druck erzeugen, ohne sich herablassen zu müssen auf mühsame Detailverhandlungen. Außerdem hat Obama im Sommer 2011 gelernt, dass er sich nur erpressbar macht, wenn er selbst mit dem Gegner feilscht. Vor zwei Monaten war Obama mit der neuen Taktik erfolgreich, er trotzte den Republikanern eine Steuererhöhung für die Reichen ab.

Das gemeinsame Ziel: gut aussehen

Nun droht der "Sequester", und das Spiel beginnt von vorne. Obama sieht den Kongress in der Pflicht. Kürzlich allerdings erinnerte Bob Woodward, der Watergate-Enthüller, an die kleine Geschichte vom Sommer 2011: Das Weiße Haus habe den Sparzwang überhaupt erst erfunden. Es sei unredlich, wenn der Präsident den Republikanern die Schuld dafür gebe.

Selten einmütig werfen Woodward und die Rechte Obama vor, er ändere plötzlich die Geschäftsgrundlage. Wann immer Obama einen Haushalts-Kompromiss skizziert, verlangt er vom Gegner ein zentrales Zugeständnis: Steuererhöhungen. Diese aber waren im 2011 ausgehandelten Sequester nicht vorgesehen. Nach dieser Lesart kann der Präsident zwar verlangen, die drohenden Kürzungen durch andere zu ersetzen. Hingegen darf er nicht zusätzliches Einkommen für den Staat fordern.

Diese Kritik freilich verkennt zwei Dinge. Erstens ist der Präsident eben wiedergewählt worden, und eine Mehrheit im Land stimmt mit ihm überein, dass die Wohlhabenden mehr zahlen müssen (zum Beispiel, indem man Schlupflöcher schließt). Zweitens hat das Weiße Haus lange darauf gehofft, die Notlösung des Sequester rechtzeitig durch einen Haushaltskompromiss zu ersetzen, der aber nie zustande kam.

In der Hauptstadt ist die Notlösung inzwischen die Regel. Statt heute zu regieren, beschließen beide Seiten Zwänge, die erst Monate oder Jahre später zu etwas zwingen. Wenn die Zwänge dann nahen, leugnen beide Lager, dafür verantwortlich zu sein. Ihr einziges gemeinsames Ziel lautet, gut auszusehen - oder wenigstens weniger schlecht als der Gegner.

Der Päsident soll selbst entscheiden, wo gespart wird

Ein Kompromiss, der den Sequester bis Freitag noch abwenden würde, gilt als unwahrscheinlich, Präsident und Kongress scheinen sich mit den Kürzungen abgefunden zu haben. Obama warnt zwar vor den Folgen, bleibt aber gelassen. Er möchte verhindern, dass das Spardiktat seine Reform-Agenda überschattet.

Die Republikaner wiederum sehen wenig Spielraum für einen Kompromiss mit Obama. John Boehner, ihr Chef im Abgeordnetenhaus, weiß: Sollte er einer Steuererhöhung zustimmen, würde ihn seine Fraktion stürzen. Inzwischen haben sich die Republikaner immerhin einen Plan ausgedacht, wie sie die Verantwortung doch wieder Obama zuschieben können: Demnach soll der Präsident selbst entscheiden, wie er die 85 Milliarden einspart.

Am Freitag nun wollen sich Obama und Boehner im Weißen Haus zusammensetzen. Wie immer tun sie das erst, wenn es eigentlich schon zu spät ist.

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