Radikale Vision eines texanischen Studenten:Gewehr aus dem Drucker

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"Ich mache echte Politik" - Internet-Aktivist Cody Wilson.

(Foto: oh)

Mit 3-D-Druckern lässt sich fast jeder Gegenstand herstellen. Cody Wilson arbeitet besessen daran, die Einzelteile eines Sturmgewehrs drucken zu können. Die Daten stellt er online, damit sich jeder gegen den Staat verteidigen kann. Damit provoziert der selbsternannte Krypto-Anarchist viel Widerstand.

Von Matthias Kolb, Austin

Der neue Held der amerikanischen Waffenlobby ist ein junger Mann mit kurzen Haaren, Dreitagebart und Augenringen. In den Videos, die Cody Wilson auf Youtube stellt, posiert er gern mit einer dunklen Sonnenbrille. Wenn man ihn trifft, wirkt der 24-Jährige nicht sehr bedrohlich. Es ist sein radikales Projekt namens "Wiki Weapon", das Wilson für viele zu einer Gefahr macht: Er will Vorlagen ins Internet stellen, um mit einem handelsüblichen 3-D-Drucker Einzelteile für das Sturmgewehr AR-15 herzustellen.

Es waren Versionen der AR-15, mit denen die Attentäter von Newtown und Aurora Menschen niedermetzelten, weshalb einige Senatoren diese und ähnliche Waffentypen nun verbieten wollen. Die Vorstellung, dass sich irgendwann jeder Mensch mit Zugang zur entsprechenden Technik ein Sturmgewehr ausdrucken könnte, sorgt bei den Anhängern strengerer Regeln für Entsetzen - und begeistert Cody Wilson. Der junge Mann, der an der University of Texas at Austin Jura studiert, ist überzeugt, dass weder der Staat noch die Industrie entscheiden dürften, was mit der möglicherweise revolutionären Technik des 3-D-Drucks hergestellt werden könne.

Alles, was möglich sei, müsse erlaubt sein, betont Wilson beim South-by-Southwest-Festival (SXSW) in Austin. In einem riesigen Konferenzsaal des Hilton-Hotels erläutert er etwa 100 Zuhörern eine Stunde lang sein Projekt und gibt an, wie Wikileaks-Chef Julian Assange ein "Krypto-Anarchist" zu sein. Diese Denkschule will möglichst viele Informationen der Bürger vor dem Staat geheim halten, damit dieser die Menschen nicht unterdrücken könne. Sollte Washington jemals ein Zentralregister für Pistolen und Gewehre einführen - ein Szenario, vor dem die NRA ständig warnt -, wären Waffen der Marke Eigenbau unauffindbar.

Überzeugter Libertärer

Wilson ist ein überzeugter Libertärer, der Regierungen so wenig Einfluss wie möglich auf das Leben der Einzelnen geben will. Und er ist ein Anhänger der Open-Source-Bewegung. Seine Faszination für Waffen habe sich erst vor Kurzem entwickelt, sagt er: "Ich bin in Arkansas aufgewachsen, wo es eine eigene Waffenkultur gibt. Ich habe zwar früher nie geschossen, aber Pistolen und Gewehre waren stets um mich herum und ich habe sie nie als Bedrohung gesehen."

Das Second Amendment, der zweite Zusatz der US-Verfassung, sei eindeutig: "Ich glaube, jeder hat das Recht, eine Waffe zu besitzen und sich zu verteidigen." Als er das erste Mal von 3-D-Druckern gehört habe, habe ihn die Vorstellung, Waffen produzieren zu können, nicht mehr losgelassen. In dieser Zeit habe er angefangen, selbst zu schießen, um dieses Wissen für "Wiki Weapon" zu nutzen.

Im März 2012 hat Wilson mit Freunden die Organisation Defence Distributed gegründet, um seine Vision umzusetzen. Er wolle kein Geld verdienen, weshalb er via Internet um Spenden bitte. Die ersten Erfolge von Defence Distributed: Den Grundkörper, lower receiver genannt, und das Magazin eines Sturmgewehrs können sie bereits herstellen. Die Videos der Waffen-Tests wurden in der Szene zum Youtube-Hit und sorgten nach dem Grundschul-Massaker in Newtown für viele Diskussionen. Medien aus dem In- und Ausland stürzten sich auf die Story: Das ZDF begleitete den Studenten noch im Dezember auf eine shooting range, und ein großes deutsches Nachrichtenmagazin aus Hamburg arbeitet gerade an einem Profil.

Natürlich weiß Cody Wilson, dass seine Aktion hochpolitisch ist. Die Software-Files zu seinen Produkten hat er "Feinstein" und "Cuomo" genannt - ein Seitenhieb auf die kalifornische Senatorin Dianne Feinstein, die dafür kämpft, Sturmgewehre zu verbieten, und den New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo, der nach Newtown strengere Waffen-Gesetze erlassen hat.

Lizenz für Waffenherstellung beantragt

Beim South by Southwest berichtet der angehende Jurist, dass er eine Lizenz zur Waffenherstellung beantragt habe. Die zuständige Behörde, das Bureau for Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives (ATF), arbeite professionell mit ihm zusammen und habe versichert, dass er nichts Illegales tue. Dem Economist verriet eine ATF-Sprecherin, dass einzelne Amerikaner aus fast jedem Material Waffen herstellen wollten.

Enttäuscht ist er hingegen von vorsichtigen Firmen: Die haben ihm aus Angst vor schlechter PR keine 3-D-Drucker vermietet und Website-Hosts haben die Dokumente über sein Projekt von den Servern genommen. Dies habe ihn ziemlich überrascht, sagt Wilson: "Ich dachte, dass die Behörden Probleme machen und mich die Hersteller in Ruhe lassen. Es war genau andersherum."

Er habe kein konkretes Ergebnis im Sinn, das er erreichen wolle, so Wilson: "Zurzeit weiß ich, was ich jeden Tag zu tun habe, aber das große Ziel habe ich ein wenig aus den Augen verloren. Ich weiß nur: Wenn es mit dieser Technik möglich ist, Waffenteile zu machen, dann will ich dabei sein, denn viele haben ein Interesse daran, das zu verhindern." Über die Folgen kann auch er nur spekulieren: "Gerät die Gesellschaft aus den Fugen, wenn unser Vorhaben gelingt? Ich will es herausfinden."

Öffentliche Sicherheit in Gefahr

Für den demokratischen Kongressabgeordneten Steve Israel sind die Konsequenzen klar: Die öffentliche Sicherheit gerate in Gefahr, wenn jeder Bürger Waffen drucken könne. Die strengeren Kontrollen für Waffenkäufer, über die seit dem Massaker in Newtown debattiert wird, wären sofort wirkungslos - denn bislang wird jedem Gewehr-Grundkörper (lower receiver) eine Seriennummer zugeordnet, die zurückverfolgt werden kann. Und genau diesen Rahmen, der Lauf, Verschluss und Magazin aufnimmt, kann Defence Distributed bereits produzieren.

Noch etwas beunruhigt den New Yorker Abgeordneten Israel: "Wir können nicht zulassen, dass Verbrecher und Terroristen in Zukunft leichter eine Waffe aus Plastikteilen herstellen können, die man an den Metalldetektoren vorbei in Flugzeuge und öffentliche Gebäude schmuggeln kann." Also will Israel ein Gesetz erneuern lassen, das "unaufspürbare" Plastikwaffen bisher verbietet und eigentlich 2013 auslaufen sollte.

In aller Klarheit: Bisher können 3-D-Drucker noch keine einsatzbereite Waffe produzieren. Aber irgendwann wird sich jeder Mensch mit Zugang zur entsprechenden Technik ein Gewehr ausdrucken können. Das fasziniert den Anarchisten Cody Wilson - und aus den Fragen des Publikums beim South-by-Southwest-Festival war erstaunlich wenig Entsetzen zu erkennen. Parallel arbeiten Dutzende Amerikaner an ähnlichen Vorhaben, um andere Modelle produzieren zu können.

Der junge Mann richtet sich nach den US-Gesetzen und argumentiert im amerikanischen Kontext, aber natürlich sind die Vorlagen weltweit zugänglich. Es werde spannend sein, zu beobachten, was in Ländern wie Deutschland geschehe, wo "kriegsähnliche Waffen" wie die AR-15 verboten sind, meint er. Dass es in den USA bereits 300 Millionen Waffen und einen riesigen Schwarzmarkt gibt, interessiert Wilson nicht: Ihm geht es um das Prinzip des frei zugänglichen Wissens, das er mit absolutem Willen verfolgt.

Wilson will sich in keine Schublade stecken lassen. Ob ihn andere als Rebellen oder Aktivisten ansehen, sei ihm egal: "Wahrscheinlich bin ich ein Rebell, weil man mich dazu gemacht hat. Das gehört nun zum Image von Defence Distributed. Viele Leute wollen verhindern, dass ich weitermache, aber ich werde das Projekt durchziehen. Wenn der 3-D-Druck eine revolutionäre Technik ist, werden wir es herausfinden. Warum sollte ich jetzt aufhören? Mich kann keiner stoppen."

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