Ferdinand von Schirachs "Verbrechen" im ZDF:Männer ohne Eigenschaften

Ferdinand von Schirach Verbrechen ZDF

Edgar Selge als Dr. Friedhelm Fähner in der ZDF-Verfilmung von Ferdinand von Schirachs "Verbrechen".

(Foto: ZDF/Gordon Muehle)

Ferdinand von Schirachs Geschichten sind höchsterfolgreich, brutal - und ihre großen Lücken muss der Leser mit seiner Phantasie füllen. Die Verfilmung der "Verbrechen" im ZDF scheitert nun an der Vorlage.

Von Achim Zons

Eine Frau in einer Blutlache, ein Mann daneben mit einer Axt in der Hand, das Werk ist vollbracht. Der Anwalt betritt die Zelle, der Täter beginnt mit seiner Geschichte. Und dann legt der Anwalt, weil er alles verstanden hat, einen Apfel vor den Täter auf den Tisch, einen Apfel, der dann immer wieder in kurzen Zwischenschnitten aufblitzt, so wie auch die Axt. Schneller kann man nicht zeigen, warum es ein sehr mutiger Versuch war, aus den Kurzgeschichten der literarischen Vorlage gute Filme machen zu wollen.

Von Anfang an muss klar gewesen sein, dass das ganze ein Experiment sein würde. Ferdinand von Schirachs Buch ist ein Bestseller, der Autor wurde gefeiert für seinen knappen Stil, seine Kurzgeschichten sind hart, verblüffend und leicht zu konsumieren. Es sprach also einiges dafür, dass das Experiment gelingen würde.

Nur: Die Geschichten sind nicht nur brutal, sondern sie lassen auch alles psychologische Beiwerk weg und bekommen ihre Wucht nur durch die großen Lücken, die der Leser mit seiner Phantasie füllen muss. Es sprach also von Anfang an auch einiges für das Scheitern des Experiments.

An diesem Sonntag werden die ersten zwei von insgesamt sechs Filmen im ZDF gezeigt. Beide Folgen - Teil eins: "Fähner", Teil zwei: "Tanatas Teeschale" - haben nichts miteinander zu tun, so wie auch die anderen Folgen nichts miteinander zu tun haben. Zusammengehalten werden sie ausschließlich dadurch, dass ein Strafverteidiger - gespielt von Josef Bierbichler - die Täter als Anwalt vertritt. Seine einzige Funktion besteht mehr oder weniger darin, seinen Mandanten zu entlocken, wie es zu der Tat kam. Wenn man böse ist, könnte man sagen, dass man die Fragen auch aus dem Off hätte stellen können. Selten ist ein so großer Schauspieler so unterfordert worden. Vielleicht wäre es für Bierbichler spannender gewesen, wenn er die einzelnen Geschichten vorgelesen hätte.

Niemand wird bestreiten, dass sich die Macher - Drehbuchautoren, Regisseure, Produzenten - große Mühe gegeben haben. Doch sie haben einen Fehler begangen: Sie haben sich eng ans Original gehalten. Man muss sie für den Mut loben, es versucht zu haben. Man muss auch das ZDF loben, einmal formal andere Wege beschritten zu haben. Doch das Hauptproblem ist durch keine formale Neuerung, durch keine Zwischenschnitte und Flashbacks zu beheben. Die literarische Vorlage ist rein äußerlich erzählt, sie kümmert sich keinen Deut um die Psychologie der Täter, sie will nicht wissen, warum der oder die Täter die vielen Möglichkeiten nicht wahrgenommen haben, von ihrem verhängnisvollen Weg abzuweichen.

Dr. Fähner, dieser sympathische, kluge Arzt, lässt sich 48 Jahre auf die schlimmste Weise demütigen. Warum? Weil er geschworen hat, die Frau, die er geheiratet hat, nicht zu verlassen. Das muss man hinnehmen, verstehen tut man es nicht. Man muss es auch nicht verstehen. Schirach verblüfft einen mit diesem Mann, der eben so ist, wie er ist. Das geht auf zwölf Seiten. 45 Minuten, die diesen Mann in seiner fast grenzenlosen Leidensfähigkeit zeigen, sind dagegen schwer zu ertragen.

Dann hätte man Bilder finden können

Normalerweise reißt man als Kritiker den Inhalt kurz an und macht den Zuschauer dann neugierig darauf, warum das, was man sieht, etwas ganz anderes bedeuten kann. Zum Beispiel Teil zwei: Drei einfältige Kleinkriminelle, die bei einem Einbruch eine Teeschale erbeuten, erkennen deren Wert nicht - und wollen angesichts des drohenden Unheils ihre Beute zurückgeben. Teil vier: Ein Abiturient tötet Schafe und gerät in den Verdacht, mit dem Verschwinden eines Mädchens etwas zu tun zu haben. Teil sechs: Ein Mann, der auf einem Busbahnhof von zwei Männern mit einem Jagdmesser bedroht wird, tötet sie professionell mit ihren eigenen Waffen.

Normalerweise gibt es jenseits der Kurzbeschreibung noch eine persönliche, alles überhöhende Dimension. Doch das Anreißen einer Schirach-Geschichte ist meist schon die ganze Geschichte. Die Leistung des Anwalts im Film ist deshalb kaum der Rede wert. Er bringt die Teeschale zurück. Er versucht, den verstörten Jungen, der Schafe tötet, zu helfen. Er verweist bei dem in Notwehr handelnden Täter auf Notwehr.

Möglicherweise wäre es klüger gewesen, die rein auf die Handlung reduzierten Geschichten der Vorlage nur als fernen Ansatz zu nehmen für eigene, neue Geschichten. Dann hätte man Bilder finden können für die innere Entwicklung. Dann hätte man überhaupt eine Entwicklung zeigen können. Dann hätte man Spannung erzielen können daraus, wie die Personen mit sich kämpfen um den besten Weg aus ihrem Dilemma. Aber so? So sind die Figuren einfach gesetzt. Sie sind, wie sie sind. In "Notwehr" etwa, dem Teil sechs, sagt der Killer kein Wort zu seiner Identität. Der Anwalt spricht ihn in mehreren Sprachen an. Das wiederholt sich bei der Polizei, beim Staatsanwalt, beim Ermittlungsrichter, nur unterschnitten mit Rückblenden monströser Gewalt. Am Ende stellt der Ermittlungsrichter fest, dass der Mann offenbar nichts zu seiner Identität sagen will.

Schirach hat in einem Interview die Machart der Filme, die er gelungen findet, als amerikanisch bezeichnet und die Meinung hinzugefügt, dass diese Machart vielleicht mehr die Zukunft sei als all das, was derzeit im Kino passiert. Man muss befürchten, dass er da etwas grundsätzlich missverstanden hat.

Verbrechen, ZDF, Sonntag, 22 Uhr und 22.45 Uhr.

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