Bundestag zur Euro-Krise:Das Zypern-Rettungspaket ist unrechtmäßig

Zypriotische Zwei-Euro Münze

Zwei-Euro-Münze aus Zypern: Über die Zukunft des Euro-Landes entscheidet am heutigen Donnerstag der Bundestag, doch die Parlamentarier stehen unter großem Druck.

(Foto: dpa)

Der Druck auf die Abgeordneten, heute der Zypern-Rettung zuzustimmen, ist groß. Doch die offizielle Begründung dafür reicht nicht aus: Der ESM-Vertrag fordert eine "Gefährdung des gesamten Währungsgebiets". Da dies nicht gegeben ist, sollte sich der Bundestag diese Provokation der Regierung nicht gefallen lassen und mit "Nein" stimmen.

Ein Gastbeitrag des Staatsrechtlers Dietrich Murswiek

Dietrich Murswiek ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Freiburg. Der 1948 geborene Jurist hat Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU-Fraktion in staats- und völkerrechtlichen Fragen beraten; zugleich hat er auch Rechtsgutachten und Prozessvertretungen für die Grünen, die Linke und die ÖDP übernommen. In seinem Gastbeitrag für Süddeutsche.de fordert er die Abgeordneten des Bundestags auf, heute gegen die Zypern-Hilfe zu stimmen.

Ob die rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Finanzhilfe an Zypern gegeben sind, scheint niemanden zu interessieren. Die Rettungspolitiker erwecken den Eindruck, als seien sie ermächtigt, nach freiem Ermessen über die "Rettung" eines Euro-Staates zu entscheiden.

Dabei macht der Vertrag zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) Finanzhilfen zugunsten eines in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Euro-Staates von einer Voraussetzung abhängig: dass ohne diese Hilfe die Krise des betreffenden Staates auf andere Staaten übergreift und schließlich die Finanzstabilität der ganzen Euro-Zone erschüttert. "Stabilitätshilfe" darf nach Artikel 12 des ESM-Vertrags nur geleistet werden, wenn dies "zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar" ist.

Es reicht also nicht aus, wenn einem einzelnen Mitgliedstaat Zahlungsunfähigkeit droht. Dies wäre gemäß Artikel 125 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) sein eigenes Problem. Hilfe ist im Sinne der Ultima-Ratio-Konzeption nur erlaubt, wenn die Insolvenz des einzelnen Mitgliedstaats auch die Finanzstabilität anderer Mitgliedstaaten erschüttern würde. Es genügt aber nicht, dass neben dem primär betroffenen Staat ein oder zwei weitere Staaten von der Finanzkrise angesteckt zu werden drohen. Die Finanzhilfe muss zu dem genannten Zweck "unabdingbar" sein. Unabdingbar ist noch strenger als "erforderlich".

Bundesregierung und Bundestag dürfen der Zypern-Hilfe also nur dann zustimmen, wenn die "systemische" Auswirkung einer Insolvenz Zyperns - sowohl im Hinblick auf andere Mitgliedstaaten als auch auf das Euro-Währungsgebiet insgesamt - nachweisbar ist. Dies muss durch konkretes Zahlenmaterial belegt werden. Ein solcher Nachweis ist bisher nicht geführt worden.

Zwar haben die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB) die von der Zypern-Krise ausgehenden Gefahren für das Euro-Währungsgebiet bewertet und im Ergebnis die systemische Relevanz Zyperns für das Euro-Währungsgebiet bejaht. Ihre Begründung genügt jedoch nicht den Anforderungen des Vertrages. Das Papier liest sich wie ein politisches Statement, das mit kräftigen Behauptungen und spekulativen Vermutungen arbeitet, aber keine durch Fakten und Zahlen belegten Beweise für die angeblich befürchteten Auswirkungen einer Zahlungsunfähigkeit Zyperns enthält.

Spekulationen statt Zahlen

Statt konkrete Zahlen zu nennen, ziehen sich Kommission und EZB in ihrer Mitteilung auf psychologische Erwägungen zurück. Selbst für das mit Zypern wirtschaftlich eng verbundene Griechenland vermögen Kommission und EZB letztlich nicht mehr zu sagen, als dass die griechischen Banken "mit unmittelbaren Vertrauensverlusten konfrontiert" wären. Und was die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt angeht, kommen Kommission und EZB nicht über die These hinaus, von Zypern könne eine "negative Signalwirkung" ausgehen. Solche Spekulationen über das Verhalten von Marktteilnehmern und Bankkunden sind aber in keiner Weise geeignet, den Nachweis zu führen, dass ohne die geplante ESM-Hilfe die Finanzstabilität der ganzen Euro-Zone auf dem Spiel steht.

Zypern ist vielmehr angesichts seiner eigenen Wirtschaftskraft, aber auch angesichts der Größenordnung der in seinem Bankensystem vorhandenen Risiken ein Paradebeispiel dafür, dass ein systemisches Risiko nicht gegeben ist. Wäre dem so, müssten die Vertragsstaaten sich vorwerfen lassen, mit dem Artikel 12 ESM die Öffentlichkeit und auch den Gerichtshof der Europäischen Union getäuscht zu haben. Diese Vorschrift setzt voraus, dass es Fälle gibt, in denen ein Euro-Staat von Zahlungsunfähigkeit bedroht, aber die Finanzstabilität der Euro-Zone insgesamt nicht gefährdet ist.

Die Argumentation von Kommission und EZB läuft im Fall Zypern aber darauf hinaus, dass es solche Fälle nicht geben kann: weil die Zahlungsunfähigkeit eines einzelnen Euro-Staates wegen der psychologischen Folgewirkungen immer auch die Finanzstabilität der Euro-Zone im Ganzen destabilisieren würde. Ein Vertrag aber darf nicht so ausgelegt werden, dass seine Vorschriften ihren Anwendungsbereich verlieren.

Das Papier von Kommission und EZB, dessen Inhalt die Bundesregierung sich zu eigen gemacht hat, ist eine Provokation des Bundestags. Die Rettungspolitiker gerieren sich wie absolutistische Potentaten, die ohne jede Rechtsbindung handeln können und für die die Bestimmungen des ESM-Vertrages nichts als bedrucktes Papier sind. Sie vertrauen offenbar darauf, dass der Bundestag sich als Abnickparlament erweist, das alles schluckt, was ihm zur "Euro-Rettung" vorgelegt wird. Der Bundestag kann seiner vom Bundesverfassungsgericht geforderten Haushaltsverantwortung aber nur gerecht werden, wenn er nicht blindlings jeder Behauptung folgt. Eine eigenverantwortliche Risikoabschätzung ist aber nur auf Basis nachvollziehbaren Zahlenmaterials möglich. Der Bundestag muss daher darauf bestehen, dieses vor der Abstimmung zu erhalten.

Massiver Zustimmungsdruck

Auch verfahrensrechtlich setzen sich die Zypern-Retter über den ESM-Vertrag hinweg. Der Vertrag sieht ein mehrstufiges Entscheidungsverfahren vor: Zuerst trifft der Gouverneursrat den Grundsatzbeschluss, dass dem betroffenen ESM-Mitglied Stabilitätshilfe gewährt werden soll. Sodann werden die mit der Finanzhilfe verbundenen Auflagen - also insbesondere das Reformprogramm, mit dem die Finanzkrise überwunden werden soll - ausgehandelt und in einem Memorandum of Understanding (MoU) formuliert (Artikel 13 ESMV). Dieses bedarf wiederum der Zustimmung des Gouverneursrats.

Bei der Zypern-Hilfe wurde hingegen das MoU bereits ausgehandelt, bevor der Gouverneursrat überhaupt beschlossen hatte, Stabilitätshilfe zu gewähren. Der Grundsatzbeschluss und der Beschluss über das MoU sollen jetzt in einer einzigen Entscheidung getroffen werden. Diese Abweichung vom vorgeschriebenen Verfahren ist nicht belanglos. Insbesondere beeinträchtigt sie auf schwerwiegende Weise die Entscheidungsrechte des Bundestages. Die Zweistufigkeit soll nämlich nicht nur unnötige Verhandlungen für den Fall ersparen, dass der Antrag auf Finanzhilfe abgelehnt wird. Sie soll vor allem auch die Entscheidungsfreiheit der Beteiligten absichern.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble darf im Gouverneursrat der Zypern-Hilfe nur zustimmen, nachdem der Bundestag diese Hilfe grundsätzlich bejaht hat. Wäre dem Bundestag korrekterweise zunächst die Grundsatzfrage zur Entscheidung vorlegt worden, ob Zypern Hilfe gewährt werden soll, und hätte der Bundestag dies abgelehnt, dann hätten die Verhandlungen über das MoU gar nicht beginnen können.

Nun aber werden dem Parlament die Zustimmung zur Hilfe und zu den im MoU festgelegten Bedingungen gleichzeitig zur Entscheidung vorgelegt. Dadurch wird ein massiver Zustimmungsdruck aufgebaut: Kann man die Hilfe noch ablehnen, wenn die Troika in monatelangen Verhandlungen sich mit Zypern bereits auf die Bedingungen dieser Hilfe geeinigt hat?

Auch hier zeigt sich, wie bedenkenlos die Rettungspolitiker das Recht missachten. Der Bundestag sollte sich das nicht gefallen lassen.

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