Real Madrids Torwart Iker Casillas:Auf der Bank statt auf der Linie

Real Madrid CF v Levante UD - La Liga

Vorerst nur Ersatz: Real-Legende Iker Casillas wird auch gegen Dortmund nur zuschauen. 

(Foto: Getty Images)

Madrids Trainer José Mourinho liebt Machtspielchen - und so hat er Real-Ikone Iker Casillas demontiert und den Torhüter auf die Bank verbannt. Das ist ein gewagter Zug, der auch Auswirkungen auf das Champions-League-Halbfinale gegen Borussia Dortmund hat.

Von Oliver Meiler, Barcelona

Ein Küsschen, ganz groß. Im nüchternen Treppengang, der die Spieler zum Rasen des Madrider Santiago Bernabéu führt, gab es am Wochenende eine viel beachtete Zwischenmenschlichkeit. Iker Casillas, die Torhüterlegende von Real, küsste da seinen Rivalen im Team, den bevorzugten Hünen Diego López, auf die linke Wange. Mit der Hand tätschelte er dessen rechte Backe. Es war wohl nicht unwesentlich, dass die Scheinwerfer den Tunnel ausleuchteten und Kameras die Szene filmten.

Eine Sekunde nur dauerte sie, höchstens, und mutete sehr harmonisch an. In Wahrheit spielt sich gerade ein Drama ab um die Position des letzten Mannes. Das Heiligtum Casillas wird demontiert. Und wie so oft, wenn im spanischen Fußball die Rede auf einen Tabubruch kommt, steht am Ursprung der große Meister origineller Dreistigkeiten: der Portugiese José Mourinho, seit drei Jahren Coach von Real Madrid.

Mourinho mag Casillas nicht. Weder als Torwart noch als Person. Und da er sich nicht sonderlich um seine eigene Popularität schert, hat er diesen "lebenden Mythos" des Madridismo, wie Casillas gerne genannt wird, Kapitän Reals, 143 Länderspiele mit Welt- und Europameister Spanien, einfach abgesetzt. Im Alter von 32 Jahren. Und kurzerhand ersetzt durch Diego López, ein Jahr jünger, eine Karriere in der Provinz, der nun wohl auch im Halbfinale der Champions League gegen Borussia Dortmund im Tor stehen wird. Mourinho sagt, seine Entscheidung sei eine rein technische und schier unumstößlich, da López einfach besser in Form sei als Casillas. Nun ja, nicht nur deshalb.

Der Trainer liebt Machtspielchen, er misst sich gerne mit starken Figuren. Jorge Valdano, der diese Lust Mourinhos zu spüren bekam und nach dem Duell den Posten als Generaldirektor Reals verlor, sagte es einmal so: "Der Ausschluss Casillas' ist eine Machtdemonstration, eine Verdoppelung des Wetteinsatzes." Mourinho gegen alle. Offenbar war Casillas immer einer der wenigen, der dem Trainer offen widersprach. Zum Bruch kam es im Sommer 2011 nach einer Episode, die ins Best-of-Register von Mourinhos Rotzigkeiten gehört: Im Gerangel eines hitzigen Clásico steckte der Portugiese dem damaligen Vize-Coach des FC Barcelona, Tito Vilanova, einen Finger ins Auge. Einfach so, spöttisch grinsend.

Die Aufregung war groß. Die alte Rivalität zwischen den beiden Vereinen erfuhr eine peinliche Eskalation. Casillas machte sich damals zum Friedensmissionar und telefonierte mit seinen beiden katalanischen Kameraden aus der Nationalmannschaft Xavi Hernández und Carles Puyol. In Barcelona schätzte man die Geste. Mourinho dagegen sah darin einen Treuebruch, einen Verrat. Er wartete wohl nur auf den richtigen Moment, um Casillas vom Sockel zu stoßen.

Vorbild Edwin van der Saar

Zu Beginn der laufenden Saison bot sich die Gelegenheit zur Demontage. Die Mannschaft spielte schwach, der Torhüter war höchstens Mittelmaß. Da setzte er ihn schon einmal auf die Bank. Als sich Casillas dann im Januar die linke Hand brach, holte Real sofort Ersatz, einen, von dem man wusste, dass er sich rasch zurechtfinden würde, weil er schon mal da war - als Nummer zwei hinter Casillas von 2005 bis 2007, erdrückt vom wandelnden Denkmal.

Diego López verließ Madrid einst, weil er auch mal spielen wollte, weil er Casillas' Schatten überdrüssig geworden war. In Villarreal war er dann fünf Jahre lang die Nummer eins, beim FC Sevilla blieb er nur kurz. El País nannte ihn den "spanischen Buffon", so sehr erinnerte der 1,96 Meter große Galicier die Zeitung an den italienischen Keeper: seine wuchtige Präsenz im Strafraum, diese große Spannbreite der Arme. López nahm sich eher den Niederländer Edwin van der Saar zum Vorbild. Reals Torhütertrainer erzählte von schwierigen Anfangszeiten. López sei zu Beginn seiner Karriere nicht eben gesegnet gewesen mit spielfertigen Füßen. Er habe aber still und hart gearbeitet an seinen Schwächen. Und gewartet. Nun wirkt er agil für seinen Körperbau, ist stark auf der Linie und holt fast jeden hohen Ball aus der Luft.

Seit seiner Rückkehr ist López kein großer Fehler unterlaufen, keine einzige Ente, auch kein dummer Kommentar. Nichts, das Mourinho zwingen würde, seine Wette zurückzunehmen. Er ist gerade dabei, sie zu gewinnen. Der Druck der Aficionados ist längst nicht mehr so groß wie zu Beginn seines Showdowns mit Casillas. Und so ist die gestürzte Ikone nun darum bemüht, möglichst elegant umzugehen mit seinem Kameraden. Auch mit Küsschen.

In dieser Saison wird Casillas wohl nicht mehr spielen, obwohl er wieder fit ist. Zumindest nicht in Begegnungen, die zählen. Danach ist wieder alles offen. Denn danach ist seine Nemesis Mourinho wahrscheinlich weg - weitergezogen nach London oder Paris. Gerüchte gibt es viele. Mourinho nährt sie gerne auch selbst.

Unlängst hatte er einen Auftritt im Fußballverein seines zwölfjährigen Sohnes José Mario, dessen Trainings er regelmäßig besucht. Eine kurze Ansprache vor den Trainern des Quartierklubs war es. Als sie fragten, ob er sie im kommenden Jahr wieder mit einer Rede beehren werde, sagte Mourinho: "Dann werde ich nicht mehr in Madrid sein." Es ist nicht überliefert, wie Casillas reagierte. Wahrscheinlich stand ihm der Sinn ums Küssen. Übrigens: Mourinhos Sohn ist Torwart.

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