Publizist Bill Bishop über gesellschaftliche Spaltung:Politik in den neuen Stammesgebieten der USA

Publizist Bill Bishop über gesellschaftliche Spaltung: Anhänger der Republikaner vor einem Wahlkampfauftritt von Mitt Romney im Herbst 2012.

Anhänger der Republikaner vor einem Wahlkampfauftritt von Mitt Romney im Herbst 2012.

(Foto: AP)

Andere Meinungen unerwünscht: Jeder zweite Amerikaner lebt in einem Wahlkreis, in dem eine Partei dominiert. Immer mehr Bürger ziehen in Viertel, in denen alle Nachbarn ähnlich denken und entweder Fox News oder MSNBC konsumieren. Im SZ.de-Gespräch erklärt der Publizist Bill Bishop, wieso diese "Balkanisierung" das Regieren für US-Präsident Obama so schwierig macht.

Von Matthias Kolb, Austin

Seit Jahren ist das politische System in Amerika extrem polarisiert: Für viele Abgeordnete in Washington gilt "Kompromiss" als Schimpfwort und immer weniger Demokraten sind bereit, mit Republikanern zusammenzuarbeiten - und umgekehrt. Die Entwicklung im Polit-Alltag der Hauptstadt spiegelt Trends in der Gesellschaft wieder: Immer mehr Amerikaner bleiben unter ihresgleichen und verstehen immer weniger, wie das andere politische Lager tickt. Amerika driftet auseinander - nicht nur ökonomisch.

Der 1953 geborene Bill Bishop arbeitet seit Jahrzehnten als Lokaljournalist in Tennessee und Texas - und hat für sein exzellentes Buch "The Big Sort" Unmengen an Daten über diese Entwicklug analysiert. Auch Bill Clinton lobte das Buch, als es 2008 erschien, und rief die Bürger dazu auf, "über die Straße" zu gehen und den Dialog mit ihren andersdenkenden Nachbarn zu suchen.

SZ.de: Mister Bishop, die amerikanische Gesellschaft wirkt extrem gespalten. Lässt sich diese Polarisierung auch mit Zahlen belegen?

Bill Bishop: Zweifellos. Immer mehr Amerikaner leben in Gegenden, die eindeutig demokratisch oder republikanisch geprägt sind. Mit meinem Kollegen Bob Cushing habe ich die Daten zur Präsidentschaftswahl 2012 analysiert: 52 Prozent der US-Bürger leben in einem Wahlkreis, in dem die siegreiche Partei mindestens 20 Prozentpunkte Vorsprung hatte.

War die Situation früher anders?

O ja, 1976 wohnte nur ein Viertel der Bürger in solchen landslide counties. Seitdem nimmt die Polarisierung zu: 2008 lag der Wert schon bei 47 Prozent. Im November 2012 lagen Barack Obama und Mitt Romney nur etwa vier Prozent auseinander, es war also sehr knapp. Die Mehrheit der Menschen merkt das aber nicht, weil sie in einem Umfeld mit einer einzigen dominanten politischen Kultur lebt.

Sie haben diesen Prozess der politischen Abtrennung bereits 2008 in Ihrem Buch "The Big Sort" beschrieben. Wann hat der Trend begonnen?

Anfang der siebziger Jahre hat sich etwas verändert. Damals gab es bei den Politikern recht große Schnittmengen: Im Kongress war der konservativste Demokrat konservativer als der liberalste Republikaner. Heute ist der progressivste Republikaner konservativer als jeder Demokrat. Und ähnliches ist im Wahlverhalten geschehen. Dies lässt sich nur damit erklären, dass immer mehr Menschen in Viertel ziehen, deren Bewohner ähnlich wie sie denken.

Demokraten wollen also in der Nähe von Demokraten wohnen und mit Republikanern möglichst wenig zu tun haben?

Mit dem wachsenden Wohlstand werden Klassenunterschiede weniger wichtig und der Lebensstil gewinnt an Bedeutung. Seit den Siebzigern wird Bildung entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg: Es zahlt sich für Akademiker aus, Akademiker als Nachbarn zu haben - unabhängig von der politischen Weltanschauung. Unsere Analyse zeigt, dass in manchen Vierteln die Zahl der Uni-Absolventen abnimmt und in anderen rasant steigt. Die Bezirke unterscheiden sich immer stärker, egal ob es um Lebenserwartung, Selbstmordrate oder die Verbreitung von Dialekten geht. Das Wahlverhalten ist nur ein von vielen Beispielen.

Sie wohnen in Austin, einer liberalen Uni-Stadt im konservativen Texas. Denken Ihre Nachbarn auch genauso wie Sie?

Als meine Frau Julie und ich vor 15 Jahren nach Austin zogen, fuhren wir tagelang durch die Stadt. Julie markierte mit Smileys auf einer Karte, wo es uns gefiel. Schließlich kauften wir hier in Travis Heights das Haus - und merkten erst später, dass wir mitten im Klischee-Demokratenviertel gelandet waren. Molly Ivins, eine berühmte liberale Kolumnistin, wohnte um die Ecke und gerade hat sich Robert Plant von Led Zeppelin hier eingemietet.

In den Straßen parken auch viele Subarus und Hybridautos wie der Prius von Toyota...

... und auf fast allen Stoßstangen kleben ähnliche Aufkleber. Ein wichtiger Indikator ist jedoch die Nähe: Wenn Sie aus unserem Küchenfenster schauen, können Sie einiges im Haus unserer Nachbarn erkennen. Die Häuser von Demokraten stehen enger beieinander, die Republikaner bevorzugen mehr Abstand.

In Ihrem Buch schreiben Sie über einen Mann namens Stephen Mason, der die Republikaner wählte und über seine progressiven Nachbarn lachte. Er ist aus Ihrer Gegend weggezogen, weil er sich nicht wohl fühlte.

Solche Streitigkeiten gibt es immer wieder. Es ging um einen Beitrag in unserem Nachbarschafts-Newsletter: Ein Anwohner hatte Ratten lebend gefangen und erkundigte sich, wohin er die Tiere am besten "umsiedeln" könne. Stephen schrieb, sein Hund wäre gern bereit, die Nager in den Ratten-Himmel umzusiedeln. Solche Kommentare kamen nicht gut an. Ich bin wie Stephen auch dafür, Ratten einfach zu töten, aber ich werde darüber nicht diskutieren, um unnötigen Streit zu vermeiden.

Spielt das Einkommen auch eine Rolle?

Die meisten Leute in diesem Viertel sind wohlhabend, aber die materiellen Dinge sind nicht so entscheidend. Es geht um den Lebensstil. Meine Frau und ich amüsieren uns, wenn wir hören, wo unsere Nachbarn Urlaub machen: Sie fahren besonders gern nach Portland. Dabei ist es dort genau wie in Austin - nur mit viel mehr Regen. Es gibt viel Bio-Gemüse, ökologisch korrekten Kaffee und food trucks mit Essen aus aller Welt. Sie bleiben also unter Leuten, die genauso denken wie sie.

Welche Folgen hat diese Balkanisierung?

Amerika wird zu einem Land von politischen Stämmen, die sich immer seltener begegnen und sich deswegen immer stärker bekämpfen. Egal ob es um Essen, Trinken oder jede Art von Hobby geht - du hast eine Fülle von Auswahlmöglichkeiten. Wer es für richtig hält, dass seine Kinder von bewaffneten Lehrern unterrichtet werden, der zieht eben nach South Dakota. Aber für den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist es schlecht. Zugleich habe ich den Eindruck, dass alles zerbröselt: die Kirche, die Familie und so weiter. Vielen Menschen bleibt nur die Politik übrig und deswegen wird dort so verbissen argumentiert - nicht nur in Washington.

Warum Plastiktüten politischen Streit auslösen können

Worüber wird denn gestritten?

Die Stadt Austin hat kürzlich beschlossen, Plastiktüten in Supermärkten zu verbieten. Jeder muss nun also einen Beutel mitnehmen. Im Parlament von Texas hat ein Abgeordneter, der aus einer ländlichen Region stammt, nun einen Gesetzesentwurf eingebracht, der Austin zwingen soll, Plastiktüten in Supermärkten bereitzustellen. Es ist ein Kampf um Prioritäten: Dem Wunsch, die Natur zu schützen und sich als aufmerksamer Bürger zu fühlen, steht die Überzeugung der uneingeschränkten persönlichen Freiheit gegenüber.

Neigen Afroamerikaner und Hispanics auch zur Trennung der Sphären?

Dazu kann ich nichts Genaues sagen. Von den Daten her wissen wir aber, dass vor allem Weiße umziehen: Die Konservativen ziehen allesamt in die Vororte und die Liberalen kehren entweder bewusst in die Innenstädte zurück oder suchen sich Vororte mit ähnlich denkenden Nachbarn. Man muss abwarten, wie sich das in den anderen gesellschaftlichen Gruppen entwickelt.

Der frühere Vizepräsident Al Gore schwärmt davon, dass das Internet der Politik neue Impulse geben könne. Lässt sich so die Kluft zwischen den politischen Lagern überwinden?

Das Internet hilft doch eher, anderen Leuten aus dem Weg zu gehen. Viele Freunde erzählen mir, dass sie Bekannte wegklicken, weil diese ihren Nachrichten-Feed mit politischen Statements "verschmutzt" haben, die ihnen nicht gefallen haben. Vielleicht liegt es daran, dass ich bald 60 werde, aber ich glaube nicht, dass soziale Medien auf Dauer ein wichtiges politisches Werkzeug bleiben werden. Wer hat die Wahl in Ägypten gewonnen? Nicht die Kids mit ihren Smartphones, sondern die Muslimbrüder. Die hatten die Organisation, um die Wähler zu erreichen.

Für Barack Obama war der Einsatz von moderner Technik sehr erfolgreich im letzten Wahlkampf.

Das stimmt, aber Obama konnte sich zusätzlich auf ein Heer freiwilliger Helfer verlassen. Don Green von der Yale-Universität hat mit Experimenten herausgefunden, dass nichts die Menschen stärker motiviert, sich an der Wahl zu beteiligen als persönlicher Kontakt. Und die Berater von George W. Bush haben 2004 gelernt, dass es noch wirksamer ist, wenn ein Nachbar vor der Tür steht und an die Wahl erinnert. Diese Strategie haben sie sich übrigens von den evangelikalen Kirchen abgeguckt.

Das müssen Sie erklären.

Die Evangelikalen haben erkannt, dass es oft nicht der Priester ist, der neue Leute in die Kirche lockt, sondern deren Freunde. Und diese Freunde bringen neue Freunde mit, weshalb es innerhalb der Kirchen viele verschiedene Gruppen gibt: Die Singles treffen sich separat von den verheirateten Paaren ohne Kinder. Jene Paare, die schon Eltern sind, tauschen sich aus und alle Kinder gehen entsprechend ihres Alters in eigene Gruppen. Den Gläubigen wird ein Angebot gemacht, das zu ihrem Lebensstil passt - genau das machen Wahlkampagnen heute auch.

Wirkt es dann auch bei jungen Amerikanern?

Darüber kann man zurzeit nur spekulieren. Auffällig ist aber, dass libertäre Gedanken, wie sie Ron Paul und nun auch sein Sohn Rand vertreten, bei jungen Amerikanern sehr populär sind. Der Staat soll sich möglichst raushalten und jeder seine Probleme allein lösen. Womöglich verstärkt sich die Tendenz, dass die Gesellschaft alles auf den Einzelnen abschiebt: Das Problem des Klimawandels wollen ja heute viele dadurch lösen, indem sie sich ein Elektroauto kaufen - anstatt ihre Abgeordneten zum Handeln zu zwingen. Das Individuum ist überall Trumpf, auch in der Politik.

Wie meinen Sie das?

Ich habe den Eindruck, dass viele Amerikaner nicht mehr daran glauben, dass die Gesellschaft ihre Probleme lösen kann - und, dass das nur ein außergewöhnlicher Anführer schafft. Wen haben die Amerikaner denn als Präsidenten wiedergewählt? Den Mann mit der besten Lebensgeschichte und einer exzellent geschriebenen Autobiographie. Aber auch er stößt an seine Grenzen.

Das Buch "The Big Sort" von Bill Bishop ist bisher nur auf Englisch erschienen und kann als Taschenbuch über das Internet erworben werden. Mehrere Artikel, die Kernthesen des Werks beleuchten, erschienen bei Slate.com.

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