Occupygezi-Proteste:Rückkehr des Sultans

Occupygezi-Proteste: Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan bei seiner Ankunft in Istanbul.

Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan bei seiner Ankunft in Istanbul.

(Foto: AFP)

Zurück in der Türkei wettert Regierungschef Erdogan gegen den "Vandalismus" - und greift den Vorstandschef einer der größten Banken des Landes an. Doch einige AKP-Politiker hätten eine große Show für Erdogan wohl gerne vermieden. Sie fürchten die wirtschaftlichen Folgen seiner harten Worte.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Im Istanbuler Gezi-Park, dem Zentrum der türkischen Protestbewegung, richteten sich die Demonstranten am Freitag für das Wochenende ein. Die Platzbesetzer betonten: "Wir bleiben hier!" Das Protest-Camp, das inzwischen Jahrmarktscharakter hat, wird seit einer Woche jeden Abend von Zehntausenden Menschen besucht. "Diese Proteste müssen sofort aufhören", hatte der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan am Freitagmorgen nach seiner Rückkehr von einer fünftägigen Nordafrikareise gefordert. "Keine Macht außer Allah kann den Aufstieg der Türkei aufhalten", sagte er unter dem Jubel von mehreren Tausend Anhängern auf dem Istanbuler Atatürk-Flughafen.

Der Versuch der Polizei, die Zeltstadt vor einer Woche gewaltsam zu räumen, hat die Demonstrations-Welle ausgelöst, die nun fast alle Provinzen erfasst hat. Erdogan sagte, die Polizei habe "ihre Pflicht erfüllt". Vielleicht habe sie "übertriebene Gewalt" angewendet. Das werde der Innenminister prüfen. "Aber niemand hat das Recht, uns deshalb anzugreifen", betonte Erdogan, der auch darauf beharrte, unter den Demonstranten gebe es Extremisten und militante Gruppen.

1500 Türken kündigen aus Protest ihre Kreditkarten

Erdogan begann seinen Auftritt um drei Uhr morgens mit einem pathetischen Gruß an "unsere Mütter, Großmütter, Schwestern, die auf ihren Knien zu Gott beten". Auf einem Wahlkampfbus der regierenden AKP stehend, seine Frau Emine an seiner Seite und begleitet von Parteifunktionären, wetterte der Premier gegen seine Kritiker. Dem Vorstandschef einer der größten Privatbanken der Türkei warf er vor, sich "auf die Seite derer zu stellen, die diesen Vandalismus organisiert haben". Erdogan sprach von einer "Zins-Lobby", die ein Interesse daran habe, die Erfolge der Türkei zu zerstören. "Dies wird nicht gelingen", rief der Premier.

Den Namen des Bankers nannte er nicht. Wen Erdogan meinte, ist aber kein Geheimnis. Der Generalmanager der Garanti-Bank hatte der Nachrichtenagentur Reuters Anfang der Woche mitgeteilt, von den Konten des Instituts seien nach Beginn der Proteste 35 bis 40 Millionen Lira (14 bis 16 Millionen Euro) abgezogen worden, 1500 Türken hätten ihre Kreditkarten gekündigt. Dies geschah offenbar aus Protest gegen einen Nachrichtensender, der zunächst nicht über die Demonstrationen berichtet hatte. Die Bank und der Sender gehören derselben türkischen Industrieholding. Garanti-Chef Ergun Özen sagte, er stehe an der Seite des Gezi-Park-Protests, er sei auch ein "Çapulcu". Erdogan hatte die Protestler als "çapulcular", Lumpen, bezeichnet.

Die Lira hat deutlich an Wert verloren

Die liberale Zeitung Taraf kommentierte den Auftritt des Premiers am Airport mit der Schlagzeile "Erdogan verbrennt die Türkei". Die linke Sol titelte: "Der taube Sultan". Das regierungsnahe Blatt Star zitierte Erdogan mit den Worten: "Wir sind bereit, unser Leben für die Demokratie zu geben." Vor der mit Spannung erwarteten Rückkehr des Regierungschefs hieß es, einige AKP-Politiker hätten eine große Show für Erdogan am Flughafen lieber vermieden, aus Furcht, harte Worte des Premiers könnten der türkischen Wirtschaft weiteren Schaden zufügen. Die Lira hat seit Montag deutlich an Wert verloren und sich seither nicht erholt. Nach Einschätzung der Ratingagentur Fitch ist die Kreditwürdigkeit der Türkei durch die Protestwelle bislang aber nicht gefährdet. Eine Eskalation könne die Bonitätsnote allerdings infrage stellen, erklärte Fitch am Freitag.

Am Freitagnachmittag ging die Polizei in einem Park in Ankara gegen zeltende Demonstranten vor. Diese hätten sich nicht gewehrt und das Feld geräumt, wurde in sozialen Medien berichtet. Etwa zwei Dutzend Türken, die wegen Twitter-Botschaften in den vergangenen Tagen festgenommen wurden, sind wieder frei. Turkcell, der größte Mobilfunkanbieter der Türkei, und der Internetanbieter TTNet erklärten, die Regierung habe nie verlangt, den Zugang zu den Netzwerken zu behindern. Entsprechende Gerüchte hatte es gegeben.

Ex-Kulturminister Ertugrul Günay, der bis Januar dem Erdogan-Kabinett angehörte, kritisierte in der Zeitung Radikal das Gezi-Projekt. Günay sagte, er habe die AKP gewarnt, Korruption und Vetternwirtschaft im Bausektor "werden uns fertig machen". Der deutsche Grünen-Chef Cem Özdemir sagte nach einem Besuch im Gezi-Park: "Wenn Erdogan diesen Konflikt mit Gewalt löst, dann wird in der Türkei nichts mehr so sein, wie es war. Da kommt Erdogan nicht als Gewinner raus."

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