Weiterer Geheim-Gefangener in Israel:Lebendig begraben

Israeli prison guard keeps watch from a tower at Ayalon prison in Ramle near Tel Aviv

Zygier wurde 34 Jahre alt, er starb in einer Zelle des Ajalon-Gefängnisses von Ramla.

(Foto: REUTERS)

Nach dem "Gefangenen X" sitzt in Israel offenbar noch ein mysteriöser Häftling in einem Hochsicherheitstrakt ein. Angeblich ist der zweite Fall "viel sensationeller" - und sein Vergehen viel schlimmer.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Wo ist er? Wer ist er? Und was hat er getan? Lauter grelle Fragezeichen umranken in Israel den neuen Fall eines Gefangenen, der verborgen vor der Öffentlichkeit in einer Hochsicherheitszelle des Ajalon-Gefängnisses von Ramla eingesessen hat. Es ist genau jene Haftanstalt, in der schon die mysteriöse Geschichte des "Gefangenen X" spielte, bei dem es sich offenbar um einen verräterischen Mossad-Agenten handelte, dessen Tod in der Zelle vertuscht worden war. Der Fall war im Frühjahr zum peinlichen Skandal für Israels Regierung geraten - und nun droht eine Neuauflage mit dem einzigen Unterschied, dass Eingeweihten zufolge alles noch viel schlimmer und dramatischer sein soll.

Dabei hat schon der erste Fall um den nach Israel ausgewanderten Australier Ben Zygier alle Zutaten für einen Agentenkrimi mit tragischem Ausgang gehabt. Scheibchenweise war ans Licht gekommen, dass er im Jahr 2010 zehn Monate lang abseits vom normalen Gefängnisbetrieb in einem isolierten Trakt geschmort hatte, der 1995 eigens für den Mörder von Premierminister Jitzchak Rabin gebaut worden war.

Vermutet wird, dass er als israelischer Agent Geheimnisse an die libanesische Hisbollah verraten hat, aber auch mit Aktionen in Iran und Dubai war er in Verbindung gebracht worden. Selbst die Wärter im Gefängnis wussten weder seinen Namen noch sein Vergehen. Am 15. Dezember 2010 wurde der 34-Jährige dann tot in seiner Zelle gefunden, erhängt mit einem nassen Laken, obwohl er doch eigentlich rund um die Uhr mit Kameras überwacht worden war.

Die Aufarbeitung dieses Vorgangs hat nun den zweiten Fall ans Tageslicht gebracht. Im Anhang des Protokolls einer Anhörung taucht der Hinweis auf einen weiteren Sicherheitsgefangenen im Block 13 des Ajalon-Gefängnisses auf. Zygier saß in Block 15. Auf Nachfragen mauerten Gefängnis und Regierung. Doch dann wagte sich Anwalt Avigdor Feldman an die Öffentlichkeit, der Zygier vertreten und noch zwei Tage vor dessen Tod besucht hatte.

"Aus erster Hand", so sagte er in einem Radio-Interview, wisse er von der "Existenz von mindestens einem weiteren geheimen Gefangenen". Auch der sei israelischer Staatsbürger, auch der habe in einer "Einrichtung mit sicherheitspolitischen Geheimaufgaben" gearbeitet. Doch im Vergleich zu Zygier sei sein Fall "viel sensationeller" und sein Vergehen viel schlimmer. "Als ich von dem Fall gehört habe, war ich geschockt", sagte er. Natürlich hat er damit die Spekulationen weiter angeheizt - ganz bewusst offenbar, um die staatlichen Blockierer in Erklärungsnot zu bringen. "Wer auch immer diese Affäre öffentlich macht", erklärte er, "wird dem Land einen großen Dienst erweisen."

"Die Uhr tickt für Israels Demokratie"

Nun gibt es also nicht mehr nur den "Gefangenen X", sondern auch den Gefangenen X2". Und Israel rätselt, was da noch alles nach oben gespült werden könnte. Die linke Meretz-Opposition hat den neuen Fall gleich ins Parlament getragen und den Minister für Öffentliche Sicherheit, Jitzchak Aharonowitsch, der Lüge bezichtigt, weil er im Frühjahr versichert hatte, dass es keine weiteren geheimen Gefangenen in Israel gebe.

Eine Abgeordnete sieht das Land schon "auf der Überholspur in Richtung eines Polizeistaats". Schließlich hat auch noch Avigdor Lieberman eingegriffen, der frühere Außenminister und aktuelle Chef des Außen- und Verteidigungsausschusses. Er versicherte, dass der Staat sich auch hier an die Gesetze halte. Zugleich goss er Öl ins Feuer mit der Aussage, dass es sich aktuell allerdings um einen besonders schweren Fall handele.

In dem ganzen politischen Hickhack rückte das persönliche Schicksal des "Gefangenen X2" zunächst weit in den Hintergrund. Nur die Anwältin Rahela Arel meldete sich zu Wort, die von der Regierung als offizielle Kontrolleurin des israelischen Gefängniswesens eingesetzt worden war. In den Isolationszellen würden die Häftlinge "lebendig begraben", sagte sie dem Internetportal ynet und fügte an: "Die Uhr tickt für Israels Demokratie und für das Leben dieses Mannes."

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