Wirtschaftsspionage durch amerikanische Geheimdienste:Ausgespäht und ausgenommen

Es ist eine ganz besondere Art der Wirtschaftsförderung, die die amerikanischen Geheimdienste betreiben. Sie sammeln nicht nur persönliche Daten von Bürgern, es gibt auch ernsthafte Hinweise darauf, dass die NSA Wirtschaftsspionage betreibt. Zu ihren Opfern dürften auch deutsche Firmen gehören.

Von Frederik Obermaier und Tanjev Schultz

Wer auf Geschäftsreise in die USA fliegt, möge seinen Laptop zu Hause lassen. Es gibt deutsche Unternehmen, die diese Vorsichtsmaßnahme zur Regel machen - aus Sorge, Daten könnten bei der Einreise abgegriffen werden. Jährlich entsteht der deutschen Wirtschaft durch das Ausschnüffeln von Firmeninterna nach Schätzung der Unternehmensberatung Corporate Trust ein Schaden in Höhe von 4,2 Milliarden Euro. Die Täter sind meist Konkurrenten, mitunter sind es aber auch staatliche Dienste. So warnt der deutsche Verfassungsschutz in seinen Berichten vor Spionage durch Russen und Chinesen.

Über die Amerikaner wird kein Wort verloren. Dabei gibt es ernstzunehmende Hinweise dafür, dass die Lauscher vom Dienst bei der National Security Agency (NSA) auch Wirtschaftsspionage betreiben und dabei vor befreundeten Nationen nicht haltmachen. Auch nicht vor der Industrienation Deutschland.

Ein klarer Wettbewerbsvorteil

"Wir stehlen Geheimnisse. Wir stehlen die Geheimnisse anderer Nationen", sagte Michael Hayden kürzlich in einem Interview - er sprach aus Erfahrung. Von 1999 bis 2005 leitete er die NSA, jenen US-Geheimdienst also, der laut den Enthüllungen des Ex-Geheimdienstlers Edward Snowden jeden Monat etwa 500 Millionen Kommunikationsvorgänge aus Deutschland abgreift. Darunter dürften auch Mails und Telefonate deutscher Unternehmen sein. Wer sie auswertet, weiß, was die Firmen vorbereiten, was sie planen, was sie diskutieren. Es ist ein klarer Wettbewerbsvorteil. Ein Geheimdienst, der Geheimnisse ausländischer Firmen an deren inländische Konkurrenten weitergibt, betreibt damit eine besondere Art der Wirtschaftsförderung.

Zu Zeiten des Kalten Krieges war das Ausspähen militärischer und politischer Staatsgeheimnisse das Hauptgeschäft der Nachrichtendienste in Ost und West, mittlerweile ist es unter anderem die Wirtschaftsspionage. Dazu gehört auch das Belauschen von Verhandlungsdelegationen. Als Japan und die USA etwa in den Neunzigerjahren über Strafzölle für Autos stritten, flog zu den Verhandlungen nach Genf auch ein NSA-Team in geheimer Mission. Wie der Autor und NSA-Kenner James Bamford schreibt, wurden dort Telefonate zwischen Diplomaten und Managern japanischer Automobilfirmen belauscht, was auch deshalb einfach war, weil ungesicherte Hoteltelefone benutzt wurden.

Teufelsberg Berlin NSA-Abhörstation Prism

Die ehemalige NSA-Abhörstation auf dem Berliner Teufelsberg. Wurde hier auch Wirtschaftsspionage betrieben?

(Foto: dpa)

Auch der deutsche Bundesnachrichtendienst lauscht, späht und forscht in diesem Bereich. Die USA und andere Nato-Staaten sind dabei aber angeblich tabu. Es handle sich schließlich um "befreundete Staaten".

Für die Bundesregierung mag die Sache damit erledigt sein, für die Amerikaner nicht. Sie spionieren auch bei Deutschlands Unternehmen, das ist ein offenes Geheimnis. Von einem regelrechten "Technologiekrieg" sprach schon vor mehr als zehn Jahren der bayerische Landtagsabgeordnete Peter Paul Gantzer (SPD).

"Echelon" - "Prisms" kleiner Bruder

Damals - im Jahr 2001 - hatte das Europäische Parlament in einem 192-seitigen Untersuchungsbericht die "Existenz eines globalen Abhörsystems für private und wirtschaftliche Kommunikation" bestätigt. Die USA betrieben demnach unter dem Codenamen "Echelon" mit ihren Verbündeten aus Großbritannien, Australien, Kanada und Neuseeland ein weltumspannendes Netz von Abhörstationen - eine davon stand im oberbayerischen Bad Aibling. Echelon, so der Verdacht, könnte auch für Wirtschaftsspionage verwendet werden. Der Wirtschaftskrieg habe den Kalten Krieg abgelöst, warnte der Verfasser des Berichts, Gerhard Schmid (SPD), damals Vizepräsident des Europäischen Parlaments.

Schmid führte zwei Dutzend Fälle auf, in denen Geheimdienste bei Firmen und Ministerien im Ausland geschnüffelt haben - als mutmaßlicher Täter wird besonders häufig die NSA genannt. So soll der US-Geheimdienst den Verkauf von Airbus-Flugzeugen an Saudi-Arabien vereitelt haben. Faxe und Telefone seien abgehört worden, am Ende bekamen die US-Konkurrenten des europäischen Flugzeugkonzerns den Zuschlag. Das war zu Zeiten von Echelon. Mittlerweile soll das Projekt eingestellt worden sein, die Abhöranlagen in Bad Aibling hat die NSA vor einigen Jahren an den BND übergeben.

Statt Echelon hat der US-Geheimdienst nun "Prism" - ein noch umfangreicheres Abhörprogramm. Angeblich wird Internetkommunikation in großem Stil abgegriffen und gespeichert. Das schließt auch Daten deutscher Firmen ein. "Bis zum heutigen Zeitpunkt wissen wir nicht exakt, was tatsächlich passiert ist und weiterhin passiert", sagt Ulrich Brehmer, Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirtschaft.

Bereits 2001 hatte das Europäische Parlament die Vereinigten Staaten aufgefordert, ihre Wirtschaftsspionagetätigkeiten in Europa offenzulegen. Passiert ist freilich wenig. Dass die Verhandlungen über eine transatlantische Freihandelszone, die jetzt in Washington begonnen haben, ohne Geheimdienste im Hintergrund ablaufen, kann daher bezweifelt werden. Die NSA ließ lediglich verlauten, dass direkte Industriespionage, bei der gezielt einzelne Firmen ausgekundschaftet werden, nicht zu ihrem Auftrag gehöre. Selbst wenn das stimmt: Sobald eine US-Regierung oder die CIA dies in Auftrag geben, könnte Amerikas mächtigster Geheimdienst schnell loslegen.

Sollten Ihnen zu diesem Thema weitere Informationen vorliegen oder Sie sich in einer anderen Sache an das Investigativressort der Süddeutschen Zeitung wenden wollen, können Sie dies über die E-Mail-Adresse investigativ@sueddeutsche.de tun.

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