Krebstherapie bei Kindern und Jugendlichen:Mit Hitze gegen den Tumor

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Zusätzlich zur Chemotherapie wird das Gewebe rund um den Tumor erwärmt - so funktioniert die "Regionale Hyperthermie". Eine deutsche Studie mit 44 krebskranken Kindern und Jugendlichen macht Hoffnung: Möglicherweise verdoppelt die Methode die Heilungschancen.

Von Moritz Pompl

Franziska war zwei Jahre alt, als sie das erste Mal wegen eines Keimzelltumors im Becken operiert wurde und eine Chemotherapie erhielt. Bald begann der Tumor erneut zu wachsen. Die Chancen, das Mädchen mit einer weiteren Chemotherapie heilen zu können, sanken. Nur etwa ein Drittel aller Kinder mit Rezidiven eines bösartigen Keimzelltumors sprechen darauf an - für die andern gibt es keine Heilungschancen.

Heute führt Franziska, 15 Jahre, ein normales Leben. Dazu beigetragen hat womöglich auch ein spezieller Apparat, der sie überwärmt hat. Genauer gesagt, jenen Bereich in ihrem Becken, der vom Tumor befallen war. Ärzte um Rüdiger Wessalowski von der Kinderonkologie am Uniklinikum Düsseldorf hatten sich entschieden, es bei ihr zusätzlich mit einer neuen, damals noch kaum getesteten Behandlungsmethode zu versuchen. Während die Chemotherapie über eine Infusion in Franziskas Venen floss, erwärmten die Ärzte den Tumor gleichzeitig mit einem Hyperthermie-Gerät - einer Art Schwimmreifen, in dem das Mädchen lag, das zuvor ein Schlafmittel eingenommen hatte.

Franziskas Tumor verschwand, sie gilt als geheilt

An einem solchen Reifen sind rundum kleine Antennen montiert, die computergesteuert Mikrowellen aussenden und das Tumorgewebe auf 40 bis 44 Grad erwärmen. Regionale Tiefenhyperthermie heißt das Verfahren. Als Franziska damit behandelt wurde, war es an erwachsenen Krebspatienten ausprobiert worden, aber noch nie systematisch an Kindern.

Franziskas Tumor verschwand, sie gilt seitdem als geheilt. Ein Beleg für die positive Wirkung der Überwärmung ist das noch nicht - keine Therapie lässt sich anhand eines Einzelfalles beurteilen. Als Franziskas Behandlung abgeschlossen war, konnte niemand mit Sicherheit sagen, was den Ausschlag gegeben hatte für den Rückzug des Krebses. Das Team um Wessalowski aber begann nach dieser Erfahrung, weitere Kinder mit dem neuen Kombinationsverfahren zu behandeln.

In seiner Studie, erschienen in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Lancet Oncology (online), sind 44 Kinder und Jugendliche zwischen sieben Monaten und 21 Jahren eingeschlossen, die an unterschiedlichen Arten eines wiederkehrenden, bösartigen Keimzelltumor litten. 86 Prozent der Patienten sprachen unter der Regionalen Tiefenhyperthermie auf die erneute Chemotherapie an, 72 Prozent konnten nach heutigem Wissensstand geheilt werden. Bekamen die Kinder schon nach dem ersten Rückfall Wärmebehandlungen zur Chemotherapie, lag die Heilungsrate bei etwa 80 Prozent.

Heilt die Kombination aus Medikamenten und Wärme doppelt so gut?

Ältere Studien, in denen die Patienten nur Chemotherapien erhielten, zeigten Heilungsraten von lediglich 30 bis 40 Prozent. Kann die Kombination aus Medikamenten und Wärme also gut doppelt so viele Kinder mit bösartigen Keimzelltumoren heilen als die Chemotherapie alleine?

Der Schluss liegt nahe - doch wie gerechtfertigt er ist, lässt sich bislang kaum beurteilen. Unter anderem deshalb, weil Wessalowskis Studie keine Vergleichsgruppe einschloss, die ausschließlich die Chemotherapie erhielt. Eine solche Kontrolle aber hilft zu beurteilen, ob Behandlungsergebnisse wirklich auf die zu testende Therapie zurückzuführen sind - oder vielleicht auf andere, zunächst unerkannte Faktoren. Zusätzlich erschwert die geringe Anzahl an Studienteilnehmern eine zuverlässige Interpretation der Ergebnisse.

Dass Hyperthermieverfahren in der Krebstherapie grundsätzlich sinnvoll sein können, hält auch Peter Huber, Professor für Strahlentherapie am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, für plausibel. Die Hitze steigert die Durchblutung im Tumorgewebe, weil sich die feinen Gefäße weiten. Dadurch können sich die Chemotherapeutika gezielter gegen die Tumorzellen richten. Skeptisch bleibt Huber dennoch: "Die aktuelle Studie krankt wie die meisten Hyperthermiestudien daran, dass relativ wenige Probanden mit verschiedenen Tumorarten eingeschlossen waren."

Außerdem wurden einige der Kinder mit wiederkehrenden Tumoren zusätzlich noch operiert oder bestrahlt. "Das erschwert eine präzise Aussage erheblich", sagt Huber. "Ist der Heilungserfolg tatsächlich auf die Hyperthermie zurückzuführen?" Falls ja, bleiben weitere Fragen: Auf welche Temperaturen und in welchen Abständen sollte der Tumor erhitzt werden, damit die Chemotherapie am besten wirken kann? Wie sollte diese zusammengesetzt und dosiert sein? "Die Studie ist ein weiterer positiver Hinweis, dass die Hyperthermie funktioniert", sagt Huber. "Aber es fehlt bislang eine umfangreiche klinische Erprobung."

Bei Erwachsenen ist der Erfolg der Therapie für einige Tumorarten belegt

Das gilt auch noch für die Hyperthermie-Behandlung der meisten Tumoren bei Erwachsenen. Viele der Therapien laufen im Rahmen von klinischen Studien ab. Belegt ist eine positive Wirkung bislang nur für wenige Tumorarten, etwa bei Patienten mit wiederkehrendem Brust- oder Hautkrebs und mit sogenannten Weichteil-Sarkomen, einer relativ seltenen und bösartigen Tumorart in Muskeln und Fettgewebe.

In einer Studie mit mehr als 300 Erwachsenen zeigte Rolf Issels, Leiter des Kompetenzzentrums Hyperthermie am Universitätsklinikum Großhadern der Uni München, dass Patienten mit Weichteil-Sarkomen bessere Heilungschancen haben und länger leben, wenn sie sich zusätzlich zur Chemotherapie oder Bestrahlung mit Hyperthermie behandeln lassen. Als Nächstes will Issels untersuchen, inwiefern sich das Verfahren standardmäßig auch für den häufigeren Bauspeicheldrüsenkrebs eignen könnte. "19 Patienten haben wir bereits in die Studie aufgenommen, 336 sollen es werden", sagt der Arzt.

An weiteren Zentren laufen derzeit außerdem Hyperthermie-Studien an Patienten mit Tumoren im Enddarm. Sollten die Ergebnisse am Ende auch dabei für die Regionale Tiefenhyperthermie sprechen, könnte dieses Verfahren die Krebstherapie langfristig verbessern, hoffen manche Ärzte. Ihnen zufolge würden die Patienten in Zukunft mit weniger Chemotherapie oder Bestrahlung auskommen - bei möglicherweise besseren Heilungschancen.

Auch die Autoren warnen vor zu großer Euphorie

Vor verfrühter und zu großer Euphorie warnen jedoch auch die Autoren der aktuellen Studie. "Manche würden am liebsten sofort jede Tumorart mit Wärme behandeln", sagt Wessalowski. "Aber die Indikationen müssen vorher wissenschaftlich überprüft werden." Krankenkassen können im Einzelfall die Kosten einer Hyperthermie-Behandlung übernehmen, müssen dies aber nicht.

Als Nebenwirkungen kann es in seltenen Fällen zu Verbrennungen an der Haut kommen, außerdem zu Schwächeanfällen. Die Überwärmung kann das Herzkreislaufsystem belasten und daher problematisch sein für manche Patienten. Außerdem kann die starke Wärme auch Schmerzen verursachen, berichtet das Heidelberger Krebsforschungszentrum.

Allerdings haben sich die technischen Möglichkeiten in der Vergangenheit verbessert - und damit manche Belastungen für die Patienten gelindert. Bislang mussten Ärzte ihnen feine Sonden in die Tumorgegend stechen, um während der Behandlung die Temperatur zu überprüfen. Inzwischen gibt es Geräte, bei denen dies ohne zusätzlichen Eingriff erfolgt.

© SZ vom 13.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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