Bankrott von Detroit:Ein Hufschmied, aber keine Pferde

Am Ende nicht einmal mehr Licht: Über Jahrzehnte vollzog sich der Niedergang des einst blühenden Detroit, jetzt ist die Stadt bankrott. Probleme der Autoindustrie, Bevölkerungsschwund und Missmanagement trugen dazu bei. Wie es nun weitergeht, ist offen - noch nie war eine so große US-Stadt Pleite.

Von Benjamin Romberg

Am Ende starb Detroit schnell. Kevyn Orr hatte es sehr eilig. So eilig, dass das Datum neben der Unterschrift des Insolvenzanwalts auf dem Konkursantrag noch geändert werden musste. Eigentlich wollte die Stadt die Papiere erst am Freitag einreichen, schreibt das Wall Street Journal, doch der Druck auf die Verwalter des Elends war zu groß. Gerüchte über den bevorstehenden Bankrott sickerten durch, ein Pensionsfonds hatte vor Gericht schon vorab gegen den Antrag geklagt, die Verantwortlichen mussten handeln. Deshalb ist nun der 18. Juli einer der traurigsten Tage in der bewegten Geschichte der Stadt. Detroit ist pleite.

"Das war eine schwere und schmerzhafte Entscheidung", sagte Rick Snyder, Gouverneur des Bundesstaates Michigan. Es habe aber keine Alternative gegeben. 19 Milliarden Dollar (15,5 Milliarden Euro) Schulden und keine Optionen mehr übrig - Kevyn Orr ist gescheitert. Erst im März war er von Snyder als Zwangsverwalter der Stadt eingesetzt worden. Den "Zar von Detroit" nannten ihn viele angesichts seiner bemerkenswerten Kompetenzen. Die Menschen haben ihn nicht gewählt, Orr sollte aber Tarifverträge aufheben, Gehälter zusammenstreichen, Eigentum der Stadt verkaufen. Er verhandelte bis zum Schluss mit Gläubigern und Gewerkschaftern, um die desaströsen Finanzen aufzubessern. Vergeblich.

Allerdings dürften auch die Kritiker Orrs wissen, dass sich das Schicksal Detroits nicht nur in den vergangenen Monaten entschieden hat. Der Niedergang vollzog sich in Jahren, gar Jahrzehnten. Die Zahlen erzählen von der Misere. In der Blütezeit, Mitte des vergangenen Jahrhunderts, als die großen Autohersteller General Motors, Ford und Chrysler Detroit den Beinamen "Motor City" einbrachten, als das Label Motown die Stadt zur Musikmetropole machte, lebten fast zwei Millionen Menschen in Detroit. Heute sind es 700.000, möglicherweise sogar weniger.

Eine Stunde Warten auf die Polizei

80.000 Gebäude sind verlassen oder völlig heruntergekommen. 75 Prozent aller Kinder in der Stadt verlassen die Schule ohne Abschluss. Die Arbeitslosenquote hat sich seit der Jahrtausendwende verdreifacht, jeder Fünfte hat keinen Job. In keiner amerikanischen Großstadt geschehen mehr Gewaltverbrechen als in Detroit. Wenn Bürger in den USA die Polizei rufen, dürfen sie im Schnitt nach elf Minuten mit Hilfe rechnen. In Detroit warten sie eine Stunde. Zuletzt gab es nicht einmal mehr Licht: 40 Prozent der Straßenlaternen sind kaputt. Die Aufzählung trauriger Statistiken ließe sich fortführen. Aber wo liegen die Gründe für den Verfall?

Der Bevölkerungsschwund hat sich dramatisch auf die Kassenlage ausgewirkt. Die Steuereinnahmen sind eingebrochen. Noch mehr hätte die Regierung die Bürger nicht schröpfen können, die gesetzliche Obergrenze für zusätzliche Steuern war bereits erreicht. Andere Finanzierungsmöglichkeiten fielen auch weg: Die Anleihen der Stadt wurden von den Ratingagenturen als Ramsch eingestuft, so finden sich nur schwer neue Geldgeber.

Trotz sinkender Einnahmen mussten die Verantwortlichen aber eine riesige Stadt unterhalten - kaum zu bewältigen, wie die Ruinen, die kaputten Laternen und verrosteten Polizeiautos zeigen. Zudem muss Detroit gigantische Summen für Sozialleistungen und Renten aufbringen, ein Problem mit dem viele amerikanische Kommunen zu kämpfen haben.

Die Verantwortlichen können sich allerdings nicht von Schuld freisprechen. Im Gegenteil: Jahrelanges Missmanagement hat erheblich zum Bankrott beigetragen. Bis ins vergangene Jahr beschäftigten die Abwasserwerke von Detroit einen Hufschmied. Das mussten sie, per Gesetz. Seit Jahrzehnten gibt es dort keine Pferde mehr. Im Jahr 2005 durchleuchtete ein Unternehmensberater die Finanzen der Stadt. Dabei entdeckte er einen Posten, der im Haushalt bis dahin nicht aufgeführt war: Zahlungsverpflichtungen für die Gesundheitsversorgung von Rentnern. Mehr als sieben Milliarden Dollar. Plötzlich fehlte noch mehr Geld.

Nie war eine größere US-Stadt pleite

So traurig es klingt: Pleiten sind für die Menschen in Detroit nichts Neues. Vor dem Kollaps der öffentlichen Finanzen haben sie mehrere Infarkte im Herzen der Industriestadt miterlebt: Vor ihrer Tür schlitterten Chrysler und General Motors in die Insolvenz. Doch in diesem Fall ist es etwas anderes. Überhaupt sind Insolvenzen ganzer Kommunen selten. In der Geschichte der USA hat nie eine größere Stadt als Detroit Bankrott angemeldet. Bisher war Stockton in Kalifornien die Stadt mit den meisten Einwohnern, die pleiteging. Sie war gerade einmal halb so groß wie Detroit. Den Schuldenhöchststand in der Liste der insolventen Gebietskörperschaften gab es in Jefferson County, Alabama, mit vier Milliarden Dollar - ein Fünftel der Summe, die Detroit angehäuft hat.

Da es keinen vergleichbaren Fall gibt, ist unklar, wie es nun weitergeht. Notfallmanager Orr muss nachweisen, dass Detroit unter das Kapitel 9 der Konkursregelungen in den USA fällt. Dieses soll Kommunen dabei helfen, ihre Schulden umzustrukturieren. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Detroit dafür zunächst einmal nachweisen muss, dass es wirklich pleite ist, und seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Dabei müsste ein Rundgang durch die Stadt reichen. Von den acht Städten, die seit 2010 Insolvenz angemeldet haben, konnten zwei ihre Zahlungsunfähigkeit nicht nachweisen.

Vorbild für weitere Städte?

Wenn Detroit der Nachweis gelingt, wird es darum gehen, Schulden abzubauen. Nur wo soll noch gespart werden? Die Pensionäre der Stadt müssen mit Einschnitten rechnen, Gläubiger, die Anleihen der Stadt halten, werden wohl auf Geld verzichten müssen. Die entscheidende Frage ist: Wer hat Vorrang? "Detroit wird ein riesiges Labor", sagte die Insolvenzanwältin Karol K. Denniston der New York Times. Wenn am Ende bei den Pensionsfonds eingespart würde, dann wäre das ein Präzedenzfall, der den Bankrott für viele Städte attraktiv mache, sagt Denniston. Andere angeschlagene US-Großstädte werden genau beobachten, was in Detroit passiert.

So eilig es Orr mit dem Konkursantrag hatte, so viel Zeit scheint er nun zu haben. Wie lange das gesamte Verfahren dauert, weiß niemand, manche vermuten Jahre. Die Angestellten der Stadt haben Briefe erhalten, in denen ihnen versichert wurde, dass zunächst alles normal weiterlaufe. Für besorgte Einwohner ist eine Durchwahl geplant, wo sie Fragen stellen können. Polizei und Feuerwehr, versichert Orr, arbeiten weiter. Auch das Wasser wird nicht abgedreht.

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