Klimawandel:Ein teurer Rülpser

Eisbrecher ´Jamal"

Das schmelzende Eis der Arktis könnte die Staaten teuer zu stehen kommen. 

(Foto: Tass Lev Fedoseyev/dpa)

Klimaschutz könnte den Staaten viel Geld sparen: Forscher rechnen damit, dass es die Weltwirtschaft Billionen kostet, wenn tauender Permafrost in der Arktis große Mengen Methan freisetzt und so den Klimawandel beschleunigt. Die größte Last bekämen Entwicklungsländer ab.

Von Christopher Schrader

Schmilzt die Arktis weiter so schnell wie befürchtet, wird das eine teure Angelegenheit - vor allem für Länder, die keinen Zugang zum Polarmeer haben. 60 Billionen Dollar heutiger Kaufkraft könnte es die Weltwirtschaft bis zum Jahr 2200 kosten, wenn tauender Permafrost große Mengen Methan freisetzt und so den Klimawandel beschleunigt, haben drei Forscher von der Erasmus-Universität in Rotterdam und der Hochschule im britischen Cambridge errechnet. Die Zahl hat die Größenordnung der jährlichen Weltwirtschaftsleistung von 70 Billionen Dollar. 80 Prozent der Kosten müssten Entwicklungsländer in Afrika, Asien und Südamerika schultern (Nature, Bd. 499, S. 401, 2013).

"Da tickt eine große ökonomische Zeitbombe, über die niemand spricht", sagt Gail Whiteman von der Erasmus-Universität, eine der Autorinnen. "Wir brauchen endlich eine ausgewogene Diskussion über wirtschaftliche Chancen und Risiken, die vom Abschmelzen der Arktis ausgehen." Bisher nämlich sprechen Ökonomen vor allem über den neuen Wirtschaftsraum, der im Norden entsteht. Kürzere Schifffahrtsrouten und die Öl- und Gasförderung um den Nordpol würden vor allem den Industriestaaten nützen. Doch die ökonomischen Vorteile lägen nach Schätzungen aus der Industrie um einen Faktor 100 unter den Zahlen von Whiteman.

Von Kollegen der drei Forscher werden die konkreten Beträge, die diese nennen, eher mit Kopfschütteln quittiert. "Das Berechnungsverfahren ist zwar State-of-the-Art, aber immer noch viel zu ungenau", sagt Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der an einer ähnlichen Abschätzung arbeitet. Viele Details fehlten, etwa die Folgen von Extremwetter-Ereignissen oder eines Anstiegs des Meeresspiegels, die wirtschaftliche Zentren wie das direkt am Atlantik gelegene New York oder den Hafen von Rotterdam lahmlegen könnten. Doch Levermann stimmt zu, dass mögliche Kosten diskutiert werden müssen: "Die Zahlen sind sehr groß und sehr ungenau. Aber unrealistisch sind sie nicht." Wohl darum erscheint die Hochrechnung bei Nature nicht als Forschungsaufsatz, sondern als Kommentar.

Das Einhalten der Zwei-Grad-Grenze könnten den Staaten viel Geld sparen

Das Team um Whiteman hat eine neuere Version der Simulations-Software benutzt, mit der Lord Nicholas Stern im Jahr 2006 die Kosten des Klimawandels berechnete. Ihr Szenario sieht vor, dass in der erwärmten ostsibirischen See zwischen 2015 und 2025 50 Milliarden Tonnen Methan aus Permafrost und Hydraten auf dem Meeresboden freigesetzt werden - eine Art planetarer Rülpser. Da Methan ein potentes Treibhausgas ist, dürfte es den Klimawandel beschleunigen. Die international angepeilte Zwei-Grad-Grenze der Erwärmung würde 15 bis 35 Jahre früher gerissen als ohne Gasfreisetzung.

Die Menge und das Austrittstempo des freigesetzten Methans übernehmen Whiteman und ihre Kollegen von russischen Forschern, die eine Emission dieser Größe jederzeit für möglich halten. Auch Wissenschaftler der Nasa und aus anderen Nationen beobachten den Permafrost mit Sorge, weil er viel mehr Methan als 50 Gigatonnen enthält. Hans-Wolfgang Hubberten vom Alfred-Wegener-Institut hält jedoch eine solche schlagartige Freisetzung über wenige Jahrzehnte für unrealistisch.

Das Team um Whiteman hat die Simulation 10.000-mal durchlaufen lassen, die Kosten von 60 Billionen ergaben sich dabei als Mittelwert. "Wenn wir Glück haben, werden es vielleicht nur zehn Billionen Dollar - aber 225 Billionen, wenn wir Pech haben", sagt Whiteman; für diese beiden Extreme gebe es jeweils eine fünfprozentige Chance. In jedem Fall käme zu der Zahl noch ein Betrag von 400 Billionen Dollar, die der Klimawandel schon ohne den Methan-Puls kosten dürfte, wenn die Welt keinen Klimaschutz betreibt.

Einigen sich die Staaten der Welt auf ein internationales Programm, das die Einhaltung der Zwei-Grad-Grenze verspricht, kann sie der Rechnung zufolge viel Geld sparen: Dann würde die Methanfreisetzung 37 Billionen Dollar kosten, die Schäden des Klimawandels lägen bei insgesamt knapp 120 Billionen Dollar.

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