Debatte zur Internet-Überwachung:Absurdes Redeverbot in Neuland

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Skandal um Internet-Überwachung: Geheimdienst liest mit

(Foto: REUTERS)

Wer als Reaktion auf Prism und Tempora zu Datensparsamkeit aufruft, irrt. Der Rat zum Geiz mit persönlichen Informationen wälzt die Schuld auf den Einzelnen ab. Staatliche Überwachung ist aber kein persönliches Problem der Internetnutzer - sondern ein politisches.

Von Dirk von Gehlen

Vielleicht liegt es an dem Begriff "Daten". Er ist stets präsent und doch kaum zu konkretisieren. Vielleicht muss man ihn für einen Moment austauschen und durch Worte ersetzen, die bekannter sind. Vielleicht muss man also statt von "Datensparsamkeit" von "Briefsparsamkeit" sprechen, und statt dem Wort "Datenkonsum" sollte man vielleicht "Gesprächskonsum" verwenden.

Wenn man die Begriffe auf diese Weise aus der von Angela Merkel als Neuland betitelten Internetwelt zurückholt in das greifbare Erleben des menschlichen Dialogs, stellt man sehr schnell fest: Die dieser Tage extrem populäre Rede von der Datensparsamkeit als Reaktion auf die Überwachungsskandale Prism und Tempora führt in die Irre. Sie gibt dem Individuum Schuld an einem strukturellen, weil politischen Problem. Und darüber hinaus ist sie - Stichwort Gesprächssparsamkeit - fast schon herrlich absurd.

Schutz durch Schweigen

Das führt allerdings nicht dazu, dass sie weniger populär würde. Die Rede von der Datensparsamkeit ist aus unterschiedlichen Richtungen zu hören: aus dem Bierzelt genauso wie aus dem Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dort forderte in dieser Woche einer der führenden Internetkritiker im intellektuellen Überflug, was Unionspolitiker vorher schon sehr handfest als Lösung ausgegeben hatten: Evgeny Morozov und Hans-Peter Uhl raten den Bürgern eines demokratischen Landes, sich vor der flächendeckenden Überwachung ihrer Kommunikation dadurch zu schützen, dass sie weniger reden.

Morozov und Uhl verwenden dafür unterschiedliche Ansätze, bedienen sich unterschiedlicher Formulierungen und nutzen andere Bezugsysteme, aber im Kern kommen sie zu dem gleichen Ergebnis: Sie halten den gerade aufgedeckten flächendeckenden Angriff auf den Artikel 10 des deutschen Grundgesetzes nicht für ein politisches, sondern für ein persönliches Problem der Internetnutzer, deren Fernmeldegeheimnis ihnen irgendwie weniger wert zu sein scheint als das derjenigen, die noch anständig Briefe schreiben.

Auslöser für diese kaum grundrechtskompatible Perspektive ist die Tatsache, dass Uhl, Morozov und viele andere Prism, Tempora und alle weiteren staatlichen Überwachungsprogramme in erster Linie für ein Problem aus Merkels Neuland halten. Und da sie diesem Internet aus Klientel- (Uhl) und publizistischen Gründen (Morozov) skeptisch gegenüberstehen, nutzen sie die Ängste ihrer Wähler und Leser, ein massives politisches Problem auf ein Fehlverhalten der ihnen ja ohnehin fremden Internetnutzer zu reduzieren.

Eine digitale Bankrotterklärung

Hans-Peter Uhl lieferte vor Wochenfrist eine digitale Bankrotterklärung der Unionsfraktion* in Sachen Fernmeldegeheimnis, als er den fatalistischen wie fatalen Schluss zog: "Wenn ich meine Daten dem Internet anvertraut habe, ist die Sache gelaufen. Dann kann jeder diese Daten einsammeln." Das ist so, als würde man jemandem, der seinen Postboten dabei erwischt, wie er seine Briefe liest, den Vorwurf machen, dass er ja auch die falschen Umschläge benutzt. In seinem Appell gegen die Ideologie des Datenkonsums legte Evgeny Morozov in dieser Woche mit ausgiebigem Anlauf nach und erklärte mit Blick auf die Schlussfolgerungen auf den Überwachungsskandal: "Gesetze können wir vergessen."

Dieses Narrativ, das nicht nur von Uhl und Morozov bedient wird, entbindet den Staat aus der Pflicht, die Grundrechte seiner Bürger selbst dort zu schützen, wo mancher ein Neuland vermutet. Prism und Tempora sind keine Internetprobleme, sondern Grundrechtseingriffe, die lediglich zuerst auf der einen Seite des digitalen Grabens zu spüren sind. Dieser Seite dafür die Schuld zu geben, ist ein Wahl- und Marketingtrick, dem man nicht auf den Leim gehen darf. Hier geht es um mehr als um die digitale Skepsis einiger weniger, hier geht es um die Grundrechte der ganzen Gesellschaft.

Perfider Vergleich

Dass Evgeny Morozov für seinen Appell sogar den von dem schottischen Juristen James Boyle schon in den 1990er-Jahren genutzten Vergleich mit dem Umweltschutz bemüht, ist besonders perfide. Morozov vergleicht den Datenverbrauch mit dem Energiekonsum und hält die Datensparsamkeit für ein Gebot der Stunde, um eine der Klimakatastrophe vergleichbare Datenkatastrophe zu verhindern. Dabei hatte Boyle gerade das Gegenteil gefordert: Er deutete mit dem Vergleich der Umweltbewegung mit einer neuen digitalen Bürgerrechtsbewegung eine politische Haltung an, die nicht nur individuelle Privatentscheidungen, sondern ein ganzes Ökosystem in den Blick nimmt - auch im digitalen Raum. Und zum Bestandteil dieses Ökosystems Neuland zählt, dass digitale Daten sich nicht abnutzen und eben nicht gespart werden müssen.

Die digitale Kopie ermöglicht das Verprassen von Daten - aber unter politischen Vorgaben. In der Hackerethik des Chaos Computer Club (CCC) kann man schon seit Jahrzehnten die Prämisse lesen: "Private Daten schützen, öffentliche Daten nützen." Alle Vorkämpfer der Datensparsamkeit scheinen diese Unterscheidung nicht mal zu kennen, geschweige denn in Betracht zu ziehen.

Und spätestens hier muss man zurückkommen zu dem wenig fassbaren Begriff der Daten. Wer verstehen will, warum diese Daten nun zum Kern eines Skandals wurden, muss deren digitale Beschaffenheit verstehen, statt diese lediglich zu beklagen. Eine solche reine Klage hilft lediglich einer Regierung, die sich weigert, Grundrechte im Neuland durchzusetzen.

*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version stand hier "Bankrotterklärung der Regierung", deren Mitglied ist Uhl allerdings nicht.

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