Papst beim Weltjugendtag in Rio:Fischer Franziskus im Menschenmeer

Argentinier gelten in Südamerika als vorlaut, doch dem Papst aus Buenos Aires nehmen die Brasilianer seine Bescheidenheit, sein Charisma ab. Viel mehr noch: Drei Millionen feiern Papst Franziskus an der Copacabana mit einem katholischen Woodstock. Die wenigen Proteste am Rande verhallen.

Von Peter Burghardt, Rio de Janeiro

Am Tag, als der Papst seine brasilianische Triumphtour beendet, steigt er noch einmal in den olivgrünen Armeehubschrauber. Von seiner Residenz Sumaré im Norden von Rio de Janeiro fliegt er am Sonntagmorgen ein letztes Mal nach Copacabana, dem Viertel im Süden der Stadt, und kann seinen Erfolg bei Lichte betrachten. Drei Millionen Menschen hatten sich bei der Nachtwache des Weltjugendtages mit seinem Gottesdienst am Strand versammelt, noch mehr als an Silvester und beim Karneval. Hunderttausende campten mit Schlafsäcken in dem legendären Sand, es war ein katholisches Tropen-Woodstock. Nun sieht Franziskus vor seiner Abschlussmesse aus der inzwischen klaren Luft auf dieses Menschenmeer.

Auch mit dem Argentinier führen noch nicht wieder alle Wege nach Rom, vor allem Brasilianer wandern scharenweise zur evangelikalen Konkurrenz ab. Aber in diesen Tagen führten Völkerwanderungen nach Copacabana. Die abschließenden Gottesdienste hatten auf dem Campus Fidei von Guaratiba in Rios Westen stattfinden sollen, doch dieses Feld des Glaubens verkam im brasilianischen Regenwetter zur Schlammwüste. "Kann es sein, dass Gott nicht wollte, dass das Feld des Glaubens kein Platz ist, sondern wir selbst?", fragte der Pontifex und überging das Organisationschaos spielend. Copacabana war ein schöner Ersatz. Das Viertel ist nach der Jungfrau des gleichnamigen Wallfahrtsortes am Titicacasee in Bolivien benannt. Hier konnte Franziskus nun die Kirche erden, und wer die Badehose dabei hatte, der ging nebenbei ins Wasser.

Viermal stieg er in den silbernen Fiat, der Demut symbolisieren soll, fuhr zum Helikopter und flog an die Bucht. Viermal rollte er im weißen Papst-Mobil vom Landeplatz auf Copacabanas Festung an der Avenida Atlântica nach Leme am anderen Ende der geschwungenen Promenade, mitten durch den Ozean der Gläubigen mit ihren unzähligen Fahnen. Auf dem Weg herzte er Kinder, schüttelte Hände, segnete, sammelte Geschenke. So ging das seit seiner Ankunft am Montag. Der erste Lateinamerikaner und Jesuit als Erbe Petri war während des Dauerprogrammes seiner ersten Auslandsreise gut in Form. Er besuchte eine Favela, eine Suchtklinik, die Kathedrale, die Nationalheilige in Aparecida - und mehrmals Copacabana.

Proteste und Widerstand nur am Rande

Jorge Mario Bergoglio aus Buenos Aires nippte am Mate-Tee von Landsleuten. Er empfing Ureinwohner und setzte Indianerschmuck auf. Dessen Spender vom Stamm der Pataxó erinnerte an die erste katholische Messe der portugiesischen Eroberer im Jahre 1500, für viele Indigene eine eher unerfreuliche Begebenheit unter dem Kreuz der Besatzer. Vertreter der afrobrasilianischen Naturreligion Candomblé trafen den Stargast, Franziskus warb für "das friedlich Zusammenleben mit verschiedenen Religionen und dem laizistischen Staat". Es gab wenige Proteste. Widerständler demonstrierten gegen Rios Gouverneur, und knapp gekleidete Frauen gingen beim "Slut walk" (Schlampenmarsch) gegen die Verharmlosung sexueller Gewalt auf die Straße. "Euer Glaube passt nicht in meinen Uterus", stand auf Plakaten. Die meisten aber feierten den neuen Mann aus dem Vatikan.

Der 77-jährige Debütant hat mehr Kraft als der greise Vorgänger Benedikt XVI. und kommt vor allem im Süden besser an. "Er ist näher an unserer Realität und öffnet die Kirche", sagt Natalia Buitrago, 26, aus Kolumbien. Sie pilgert samstags zwischen singenden Massen in grünen T-Shirts von Rios Zentrum 9,5 Kilometer weit nach Copacabana, neben sich das Ufer von Flamengo und den Zuckerhut. "Er ist charismatisch und bescheiden, obwohl er Argentinier ist", sagt die Chilenin Claudia Parra, 32. Argentinier gelten in der Region als vorlaut. "Beeindruckend", schwärmt der Chemielaborant Sebastian Schmidt, 24, aus Limburg mit seinem deutschen Fußballtrikot, allerdings: "Joseph Ratzinger muss man verstehen, er war eher Dozent." Die Brasilianerin Kedma Nones erläutert, dass man dem Papst zuliebe auf Großdemos verzichtet habe, "aber wir haben bewiesen, dass wir nicht mehr nur Samba sind. Das Land muss sich verändern".

"Der Herr braucht euch!"

Franziskus macht zwischendurch nur ein bisschen Politik bei einer Rede, während Fernsehbilder zeigen, wie ein paar wenige Rabauken aus São Paulo eine Bank verwüsten. "Die Zukunft verlangt eine humanitäre Sicht der Wirtschaft, muss Elitäres vermeiden und die Armut ausmerzen", doziert er. Vor allem gibt der Oberhirte den Menschenfischer am Atlantik. "Liebe Jugendliche, der Herr braucht euch", ruft er, mal in spanischem Portugiesisch, mal in seinem argentinischen Spanisch. "Wir können nicht eingeschlossen bleiben in der Pfarrei, in unseren Gemeinschaften, wenn so viele Menschen auf das Evangelium warten." Das Mitglied Nummer 88 235 von Argentiniens Erstligisten San Lorenzo spricht sogar Fußballsprache: "Handelt, spielt nach vorne", ruft er am Sonntag in Copacabana, und die schwarz gekleideten Präsidentinnen Cristina Fernández de Kirchner aus seiner Heimat und Dilma Rousseff aus Brasilien lauschen, "baut eine Welt der Gerechtigkeit, der Liebe, der Brüderlichkeit, der Solidarität". Das ist seine Botschaft zum Abschied aus Brasilien.

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