Rücktritt von Matthias Platzeck:Unvollendete Hoffnung der Ost-SPD

Er war der "Deichgraf", sozialpolitischer Anwalt ostdeutscher Interessen, überstand Agenda 2010 und mehrere Koalitionen. Zuletzt sollte er den Berliner Flughafen retten. Doch nun wird Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck zurücktreten - nicht zum ersten Mal kommt ihm die Gesundheit in die Quere.

Eigentlich galt der Spitzenkandidat der SPD für die Landtagswahl in Brandenburg 2014 als gesetzt: Matthias Platzeck, amtierender Ministerpräsident der rot-roten Koalition, hätte die Partei in den Wahlkampf führen sollen. Doch dann erlitt der 59-Jährige im Juni einen leichten Schlaganfall. Und plötzlich galt seine politische Zukunft als ungewiss. Nun wird die Befürchtung vieler Sozialdemokraten wahr: Platzeck gibt sein Amt als Ministerpräsident Ende August auf.

Damit endet eine Politikerkarriere, die vor über 20 Jahren in der DDR begann. Damals war der 1953 als Sohn eines Arztes und einer medizinisch-technischen Assistentin geborene Platzeck in der Umweltbewegung aktiv. Er war in den Wendejahren Mitbegründer und Sprecher der "Grünen Liga" und kandidierte 1990 erfolgreich für "Bündnis 90" für die Landtagswahlen in Brandenburg. In der Ampel-Koalition von Manfred Stolpe (SPD) übernahm er das Amt des Umweltministers, das er acht Jahre lang innehatte.

Ein klassischer Grüner also, möchte man meinen - doch Platzeck lehnte die Fusion von Bündnis 90 mit den westdeutschen Grünen ab. Dass er deshalb zeitweise parteilos war, schadete ihm nicht: 1994 zerbrach Stolpes Ampelbündnis, Platzeck blieb jedoch im Amt, nachdem die SPD bei Neuwahlen die absolute Mehrheit sichern konnte. 1995 trat er schließlich in die SPD ein.

Deichgraf und Oberbürgermeister

Platzeck gilt bis heute als sympathisch und volksnah, als einer, der Anteil nimmt am Leben der Leute. 1997 stellte er dies während der großen Oderflut unter Beweis - sein entschiedenes Krisenmanagement brachte ihm den Titel "Deichgraf" ein. 1998 wurde er zum Oberbürgermeister von Potsdam gewählt, doch in der Kommunalpolitik hielt es ihn nicht lange: Im Jahr 2000 übernahm er den Vorsitzend der Brandenburger SPD, 2002 beerbte er schließlich Stolpe als Ministerpräsident der damaligen Großen Koalition.

Im Zuge der Hartz-IV-Reformen, die so vielen anderen SPD-Politikern schadete, profilierte Platzeck sich auch bundesweit als Anwalt ostdeutscher Interessen und konnte für Regionen mit mehr als 15 Prozent Arbeitslosigkeit besondere Förderung herausschlagen. Dennoch galt er nie grundsätzlich als Gegner der Agenda 2010. Vielmehr wurde er zum Hoffnungsträger seiner Partei, die nach den Reformen der Regierung Schröder verzweifelt nach Orientierung suchte.

Auf dem zwischenzeitlichen Höhepunkt seiner Karriere - es war gegen Ende der rot-grünen Ära im Bund - handelten einige in der SPD Platzeck schon als möglichen Bundeskanzler für die Zeit nach Schröder. Dafür reichte es nicht, und doch musste Platzeck die Rolle des Heilsbringers für die Sozialdemokraten übernehmen: 2005 übernahme er den Bundesvorsitz von Franz Müntefering, der es überraschend hingeworfen hatte, nachdem sein bevorzugter Kandidat für das Amt des Generalsekretärs Andrea Nahles unterlegen war.

Parteichef für 146 Tage

Doch das neue Amt brachte Platzeck kein Glück: Die Dreifachbelastung als SPD-Landes- und Bundeschef sowie Ministerpräsident war zu viel für den Politiker, der unter anderem stressbedingt zwei Hörstürze und einen Nervenzusammenbruch erlitt. 2006 gab er nach nur 146 Tagen im Amt den Parteivorsitz der Bundes-SPD ab. Es sei "die schwerste Entscheidung meines bisherigen Lebens" gewesen, sagte Platzeck damals. Und, in bemerkenswerter Offenheit: Er habe seine Kräfte schlicht überschätzt.

Damals war es nur ein teilweiser Rückzug, als Ministerpräsident machte er weiter. Nach der Landtagswahl 2009 ging er eine Koalition mit der Linken ein, ein Schritt, der ihm viel Kritik einbrachte. Dann musste 2011 sein Innenminister Rainer Speer zugeben, jahrelang keinen Unterhalt für ein uneheliches Kind gezahlt zu haben. Platzeck stützte seinen Minister lange - zu lange, wie viele bemängelten.

Und schließlich ist sein Name auch mit dem missglückten Neubau des Berliner Flughafens verknüpft, der auf Brandenburger Gemarkung liegt. Trotz zwischenzeitlich schlechter persönlicher Umfragewerte und lauten Rücktrittsforderungen überstand Platzeck die Krise. Anfang 2013 wurde er sogar Aufsichtsratsvorsitzender des Großflughafens. Wieder einmal sollte er Ruhe in ein krisenreiches Projekt bringen, nachdem sein Vorgänger, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), das Amt hatte aufgeben müssen.

Im Lauf dieses Jahres mehrten sich jedoch Berichte über gesundheitliche Probleme: Im April sagte Platzeck eine Israelreise wegen eines Infekts ab, er stürzte beim Joggen, fiel wegen eines eingeklemmten Nervs aus. Nach seinem Schlaganfall kündigte er Ende Juni zunächst an, seine Amtsgeschäfte wieder aufnehmen zu wollen. Nun wird er am Abend auf einer Pressekonferenz seinen Rückzug aus der Politik erklären.

Wer nun statt Platzeck die politische Verantwortung für den Flughafen-Neubau tragen soll, ist noch nicht klar. Anders sieht es mit der brandenburgischen Landesspitze aus: Hier soll, so berichten es mehrere Medien, der bisherige Innenminister Dietmar Woidke auf Platzeck folgen.

Parteien reagieren mit Respekt auf den Rückzug

Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) sagte zum Rücktritt: "Ich habe die Entscheidung von Matthias Platzeck mit Respekt zur Kenntnis genommen und habe großes Verständnis dafür. Matthias Platzeck ist für mich ein erfahrener Kollege und Freund. Mit ihm verlässt ein anerkannter Politiker, der über Parteigrenzen hinweg den Menschen stets zugewandt war, die politische Bühne." Auch Ramona Pop, Grünen-Fraktionschefin in Berlin, äußerte Respekt: "Wir zollen Matthias Platzeck Respekt und wünschen ihm für seine Gesundheit alles Gute. Nun liegt es an seinem Nachfolger, beim Thema BER endlich für einen Neuanfang zu sorgen."

Platzecks Parteikollegen bedauerten seinen Rückzug: "Der Rücktritt von Matthias Platzeck bedeutet einen großen Verlust an Menschlichkeit in der deutschen Politik. Er ist ein ganz besonderer Mensch, einer, der nie im Bermuda-Dreieck der Berliner Macht untergegangen ist", sagte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) im Handelsblatt.

"Der Rücktritt von Matthias Platzeck ist ein schmerzvoller Verlust für das Land Brandenburg und für die gesamte SPD. Mit Matthias Platzeck gibt ein geradliniger und ehrlicher Politiker seine Ämter und Funktionen auf", erklärte die Sprecherin der SPD-Landesgruppe im Deutschen Bundestag Andrea Wicklein.

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