Datenschutzbeauftragter zur Videoüberwachung:"Wir wollen keinen Staat, der nur Konformisten hervorbringt"

Die Zahl der Videokameras in Bayern steigt und alle finden das gut. Fast alle. Der bayerische Datenschutzbeauftragte macht sich Sorgen. Im Interview erklärt Thomas Petri, warum es durch Kameras zu einer sozialen Selektion kommt, welche Gefahren für unsere Gesellschaft die Überwachung hat - und warum er glaubt, dass viel weniger Menschen für Videoüberwachung sind, als es die Umfragen behaupten.

Von Sebastian Gierke

SZ: Mittlerweile gibt es 17.000 öffentliche Überwachungskameras in Bayern - Tendenz stark steigend. Zu viele?

Thomas Petri: Als Datenschutzbeauftragter würde ich sagen: Jede Kamera ist zu viel. So kategorisch kann man das aber natürlich nicht stehen lassen. Es gibt Fälle, in denen Videokameras ihre Berechtigung haben. Aber meine Prüfungen zeigen, dass nicht alle 17.000 Kameras, die hier von der öffentlichen Hand aufgestellt wurden, notwendig sind.

Welche Kamera ist denn notwendig?

Ich habe zum Beispiel nichts dagegen, wenn Kriminalitätsschwerpunkte mit Kameras überwacht werden. Auf der Wiesn zum Beispiel, dort hat die Polizei ein schlüssiges Einsatzkonzept. Wir wollen ja alle geschützt werden. Der Rest ist aber häufig ein Problem. Wenn ich eine Kamera nur hinstelle, um dann später möglicherweise eine begangene Straftat oder eine Beschädigung verfolgen zu können, dann verfehlt das den eigentlichen Zweck der Videoüberwachung. Und das kommt relativ häufig vor.

Die präventive Wirkung rechtfertigt den Einsatz der Kameras nicht?

Wenn man die Kameras nicht mit anderen Einsatzkonzepten kombiniert: Nein. Man darf nicht nur darauf vertrauen, dass die Videokamera abschreckt. Studien zeigen übrigens, dass dieseWirkung verpufft. Außerdem gibt eine Kamera ja das Versprechen, dass jemand dahinter sitzt und reagiert. Das ist aber sehr häufig nicht so. Und es kann nicht sein, dass ich eine Videokamera aufstelle, ohne dass jemand da ist, der die aufgenommenen Bilder im Blick hat.

Aus ihrer Erfahrung: Warum stellen die Kommunen oder Behörden Kameras auf?

Es passiert ganz oft, dass ich frage: Braucht ihr die Kamera wirklich? Was ist denn in den letzten Jahren passiert? Die sagen erst mal, da sei ganz viel gewesen. Wenn man nachhakt, kommt man - mühsam rekonstruiert - auf zwei, drei Bagatellschäden. Die rechtfertigen aber nach der Rechtsprechung keine Videoüberwachung.

Was ist so schlimm an der Videoüberwachung?

Wir diskutieren immer über die Effektivität der Überwachung und seltener über die Frage, in wieweit Videoüberwachung das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung stärkt. Worüber man aber so gut wie nie diskutiert: Welche Folgen hat Videoüberwachung für das Verhalten der beobachteten Personen - und damit auf unsere Gesellschaft? Was hat das für soziologische Auswirkungen? Was sind die Konsequenzen für die psychische Gesundheit der Menschen? Darüber wird viel zu wenig gesprochen.

Welche Folgen können das sein?

Einige Soziologen gehen davon aus, dass Videoüberwachung sogar kontraproduktiv ist. Denken wir zum Beispiel an Schlägereien in U-Bahnen. Viele Menschen verhalten sich seltsam passiv, wenn Videoüberwachung vorhanden ist. Möglicherweise glauben sie: Da ist eine Kamera, da ist jemand, der eingreift. Dann muss ich das nicht tun.

Menschen verhalten sich anders, weil sie gefilmt werden?

16. WP - Datenschutzbeauftragte Dr. Thomas Petri

Thomas Petri ist seit 2009 Landesbeauftragter für den Datenschutz.

(Foto: Rolf Poss)

Die Kameras sollen ja unser Verhalten beeinflussen. Es gibt auch Untersuchungen, die zeigen, dass Videoüberwachung nicht nur dazu beiträgt, dass man rechtswidrige Verhaltensweisen unterlässt, sondern, dass man sich immer konformer verhält. Wenn das stimmt, wofür ich allerdings keinen endgültigen Beweis habe, dann rüttelt das massiv an den Wurzeln unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Wir wollen keinen Staat, der nur Konformisten hervorbringt.

Werden Kameras auch absichtlich mit diesem Ziel eingesetzt?

Natürlich. Es gibt eine Reihe von Kommunen, die damit eine Art soziale Steuerung vornehmen wollen. Um unliebsame Personen, die sich aber völlig rechtskonform verhalten, sozusagen rauszudrücken. Obdachlose zum Beispiel. Videoüberwachung ist eine der zuverlässigsten Methoden um Obdachlose zu vertreiben. Da findet eine soziale Selektion statt - als Folgewirkung von Videoüberwachung. Wollen wir das?

Warum gibt es dazu bislang relativ wenige wissenschaftliche Erkenntnisse?

Das ist eine Geldfrage. Es wird sehr viel Geld in die Hand genommen für die Technik: Wie kann man die Systeme noch effektiver machen? Aber wenn es darum geht, herauszufinden, welche Auswirkungen das auf unsere Gesellschaft hat, sind plötzlich keine Mittel mehr da. Als die Berliner Senatsverwaltung nach einem Zwischenbericht beispielsweise gemerkt hat, dass die Ergebnisse einer von ihr geförderten Studie möglicherweise nicht in ihr Konzept passen, hat sie schlichtweg den Auftrag zurückgezogen.

Ist die Bevölkerung hierzulande auch aufgrund fehlender Informationen mehrheitlich für Videoüberwachung?

Da spielen verschiedene Faktoren zusammen. Wichtig ist, welche Fragen gestellt werden und wie sie gestellt werden. Die Prozentzahl derer, die für Videoüberwachung sind, steigt natürlich, wenn man ganz pauschal fragt: "Sind sie dafür, dass öffentliche Plätze überwacht werden, damit sie sicherer sind?" Oder wenn man eine Schilderung von Kriminalität voranstellt. Oder wenn man kurz nach einer Gewalttat in der S-Bahn eine Umfrage macht.

Sie glauben also, dass weniger Menschen für Videoüberwachung sind, als es die Umfragen behaupten?

Die Zahlen sehen ganz anders aus, wenn Sie die Fragen die persönlichen Lebensverhältnisse der Befragten betreffen. Dann kehren sich die oft sogar um. Wenn Sie fragen: Finden Sie Videoüberwachung in Ihrer Straße gut, dann sinkt die Zahl der Befürworter signifikant. Da sind die Menschen hochsensibel. Und zwar aus gutem Grund.

Wie nahe sind wir dran am Überwachungsstaat?

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann betont, dass er keine Totalüberwachung wolle. Insbesondere wolle er keine Londoner Verhältnisse. Ich kann ihn da nur unterstützen. Aber man muss höllisch aufpassen, dass nicht ein Trend entsteht, der nicht mehr aufzuhalten ist. Dass man sich dran gewöhnt. Denn dann zeigen sich irgendwann negativen Auswirkungen für die Gesellschaft. Und wir alle fragen uns: Wo kommt das her? Das wollte doch keiner.

Linktipp: Ein weiteres Interview zum Thema mit dem Hildesheimer Psychologen Werner Greve finden Sie hier.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: