Deutsche Bahn:Alle Weichen stehen still

Hauptbahnhof Mainz

Hier der blitzblanke, global operierende Logistikkonzern, dort das peinliche Chaos in Mainz: Die zwei Gesichter der Deutschen Bahn (im Bild das Gleisgewirr am Mainzer Hauptbahnhof)

(Foto: dpa)

Das peinliche Chaos am Mainzer Hauptbahnhof zeigt, wo die Schwachstellen des hochpolierten Konzerns liegen - nämlich in der Infrastruktur. Deshalb ist es überfällig, das Schienennetz von der Deutschen Bahn zu lösen und es in Staatshand zu betreiben.

Ein Kommentar von Michael Bauchmüller

Es tut sich allerhand bei der Bahn. Neuerdings durchkämmen sogenannte Unterwegsreiniger die deutschen ICEs, auf der Suche nach verschmutzten Toiletten. Auch Techniker fahren jetzt in den Zügen mit, die eine defekte Klimaanlage, eine kaputte Tür mal eben in Gang setzen. 450 Bahner sind damit künftig beschäftigt.

Wer öfter Bahn fährt, weiß: Das Geld ist gut angelegt. 450 neue Leute in den Zügen - und in Mainz funktioniert ein Hauptbahnhof nur noch im Notbetrieb, weil ein paar Stellwerker Urlaub machen oder das Bett hüten.

Es sind die zwei Gesichter der Deutschen Bahn. Hier der blitzblanke, global operierende Logistikkonzern, dort das peinliche Chaos in Mainz. Hier der europäische Prestigezug ICE, dort Stellwerke in der Provinz, an denen der Kaiser persönlich schon vorbeigefahren ist. Wäre es um die Bahn überall so bestellt wie bei ihrer Infrastruktur, dann müsste hierzulande noch die eine oder andere Dampflok verkehren. Es ist das Nebeneinander von schönem Schein und rauer Wirklichkeit.

Dieses Nebeneinander hat durchaus Methode. Bahn-Chef Rüdiger Grube hat in den vergangenen Jahren nichts unversucht gelassen, das Ansehen des Unternehmens zu steigern. Die Bahn setzt nun auf Ökostrom, ermahnt ihre Zugbegleiter zur Freundlichkeit und ist nicht selten sogar pünktlich. In Kinospots wirbt sie für ihre Qualitäten als Arbeitgeber. Und wenn doch mal wieder etwas schiefläuft in deutschen Zügen, dann entschuldigt sich der verbindliche Herr Grube. Es soll verärgerte Kunden geben, die plötzlich den Bahn-Chef höchstselbst an der Strippe hatten. Ein gutes Image ist viel wert.

Der aufpolierte Konzern wird von der rauhen Wirklichkeit eingeholt

In Mainz holt das Unternehmen nun die raue Wirklichkeit ein - in Form einer Infrastruktur, die sich durch die Abwesenheit einiger weniger Mitarbeiter auf Wochen hin lahmlegen lässt. Vieles in Mainz mag auf unglückliche Umstände zurückgehen, möglicherweise auch auf ein mieses Betriebsklima im Stellwerk.

Aber das Desaster enthüllt eben auch die Schwachstellen des Erfolgs: Die Bahn mag noch so viel tun, um Reisende zurückzugewinnen. Ob sie diese verlässlich befördern kann, hängt aber letztlich immer am Netz; jener Infrastruktur also, um deren Besitz die Bahn stets gekämpft hat, als hinge daran allein ihre ganze Existenz.

Es ist insofern nicht ohne eine gewisse Ironie, dass nun die Blamage neben der Schiene alle Bemühungen um ein besseres Image auf der Schiene zunichtezumachen droht. Die Bahn, auch Grube, wird zum Opfer des eigenen Lobbyismus.

Ähnlich den Stromleitungen, den Autobahnen, den Schifffahrtswegen ist auch das Schienennetz Rückgrat des Standorts Deutschland. Doch während die meisten dieser Netze staatlich betrieben werden, andere zumindest unabhängig von jenen, die das Netz für ihre Erzeugnisse brauchen, hält die Bahn daran fest: Eine Trennung des Zugverkehrs von Schienen und Stellwerken kommt für sie nicht infrage. Selbst eine stärkere Regulierung, wie sie der Bund jüngst plante, prallte an dem Unternehmen ab, wie stets im Verbund mit der Eisenbahn-Gewerkschaft EVG. Die Gewerkschaft hatte SPD-geführte Länder gegen die Regulierungs-Pläne mobilisiert. Solche Allianzen des Stillstands schmieden Gewerkschaft und Bahn gern.

Das Resultat ist grotesk

Das Resultat ist grotesk. Genauso gut könnte der Bund eine Großspedition mit dem Betrieb der Autobahnen betrauen - und ihr zugleich das Recht verleihen, von anderen Spediteuren Straßengebühren einzutreiben. Was dann geschähe? Richtig: Auch im Fernverkehr auf deutschen Schienen hat es bisher nur ein einziges Unternehmen geschafft, mit der Bahn in Wettbewerb zu treten. Und das auch nur dank einer Zähigkeit, wie man sie unter Start-ups selten findet.

Damit nicht genug, streicht die Bahn auch alle Gewinne ein, die ihre Netztochter mit Schienen- und Bahnhofsentgelten macht. Etwa im Regionalverkehr, den der Bund mit Milliarden bezuschusst; nur hier sind ein paar Konkurrenzfirmen unterwegs.

Die ungleichen Chancen aber sind zementiert: Die Bahn muss zwar auch für das Netz zahlen, doch das Geld fließt zurück in die Konzernkasse. Und wenn Mitbewerber angesichts hoher Trassenentgelte schlappmachen, muss das die Bahn nicht ärgern. Derweil wird im Netz gespart, was nur geht - schließlich steigert das den Gewinn der Mutter. Die Folgen lassen sich in Mainz besichtigen.

Das Netz von der Bahn zu lösen, es in Staatshand zu betreiben und allen Anbietern dieselben Chancen zu öffnen, ist überfällig - auch, um mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern. Dazu freilich müsste der Bahn-Aktionär und Dividendenempfänger Bund endlich den Mut zu Einschnitten aufbringen. Wenn Grubes Erfolge mehr waren als schöner Schein, muss er die Konkurrenz ja nicht fürchten.

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