Organspende-Skandal in Göttingen:Verteidiger geben Anklägern Schuld am Rückgang der Organspenden

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Weil er medizinische Daten manipuliert und unnötige Operationen mit tödlichem Ausgang vorgenommen haben soll, steht der frühere Leiter der Göttinger Transplantationsmedizin vor Gericht. Beim Prozessauftakt hat die Verteidigung die Anschuldigungen als "absurd" bezeichnet - und die Staatsanwaltschaft heftig angegriffen.

Zum Auftakt des Prozesses um den Organspende-Skandal hat der angeklagte Mediziner alle Vorwürfe zurückgewiesen. Der frühere Leiter der Göttinger Transplantationsmedizin bestritt in einer schriftlichen Erklärung seiner Verteidiger, Manipulationen bei der Verteilung von Organen vorgenommen oder veranlasst zu haben.

Als die Anklage verlesen wurde, schüttelte er mehrfach den Kopf. "Ich war Tag und Nacht für die Patienten bereit", betonte er. Sein Beruf als Arzt sei eine Lebensaufgabe für ihn gewesen. Selbst wenn er sich auf Kongressen im Ausland aufgehalten habe, sei er immer erreichbar gewesen.

Die Staatsanwaltschaft in Niedersachsen wirft dem 46-Jährigen versuchten Totschlag in elf und Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen vor. Der Arzt soll manipulierte medizinische Daten an die zentrale Vergabestelle Eurotransplant gemeldet haben, um schneller Spenderorgane für seine Patienten zu bekommen. Dabei soll er in Kauf genommen haben, dass andere schwer kranke Menschen kein Spenderorgan erhielten und deshalb möglicherweise starben. Außerdem soll der damalige Oberarzt in drei Fällen Patienten Lebern transplantiert haben, bei denen dies medizinisch nicht geboten war. Alle drei Patienten starben.

Die Staatsanwältin forderte während der Verlesung der Anklage, dem Arzt müsse die Ausübung seines Berufes verboten werden. Die Verteidigung bezeichnete die Vorwürfe dagegen als absurd. Niemand sei zu Schaden gekommen, dies sei inzwischen nachgewiesen. Auch ein nachvollziehbares Motiv für die Verbrechen könne die Staatsanwaltschaft nicht nennen, erklärten die Verteidiger. Die Anwälte gingen anschließend in die Offensive: Sie machten die Staatsanwaltschaft für den Rückgang an Organspendern in Deutschland verantwortlich. Die Behörde habe ein Zerrbild des Arztes gezeichnet und ihn fälschlich als Verbrecher und "verantwortlungslosen Halunken" dargestellt, der sich die Taschen vollstopfe, sagte einer der Verteidiger. Dabei habe der Mediziner in keinem Fall finanziell partizipiert.

Das Gericht selbst hatte das Verfahren als "juristisches Neuland" bezeichnet, da der Mediziner wegen Totschlags angeklagt sei, ohne dass Klarheit darüber bestehe, wen er totzuschlagen versucht habe.

Nach Bekanntwerden der Manipulationsvorwürfe im vergangenen Sommer sank die Bereitschaft zu Organspenden in Deutschland dramatisch, zumal weitere Verdachtsfälle in Leipzig, Regensburg und München bekannt wurden. Ein Rückgang, den auch Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) bedauert. Der Politiker rief die Menschen dazu auf, wieder mehr zu spenden. "Wer sich derzeit gegen die Organspende entscheidet, der bestraft die 12.000 Menschen auf der Warteliste, die auf ein Spenderorgan warten."

Manipulationen bei Organvergabe-Daten wie im Göttinger Transplantationsskandal sind laut Bahr inzwischen unmöglich geworden. Ärzte könnten nach Gesetzesverschärfungen nicht mehr allein über die Position auf der Warteliste entscheiden. Unter anderem seien nach dem Fall ein Mehr-Augen-Prinzip und unangemeldete Prüfungen eingeführt worden. "Deswegen kann ich guten Gewissens sagen, dass solche Fälle nicht mehr vorkommen können." Manipulationen der Warteliste seien heute außerdem strafbar. Für Verstöße gibt es seit diesem Sommer eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe. Ob noch mehr alte Fälle ans Licht kommen, soll sich Anfang September herausstellen. Am 4. September gibt die Bundesärztekammer die Ergebnisse der Überprüfungen der 24 Lebertransplantationsprogramme in Deutschland bekannt.

© Süddeutsche.de/dpa/AFP/feko - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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