Geheimdienst in der "Guardian"-Redaktion:Szenen wie aus einem Spionagethriller

Britische Geheimdienstmitarbeiter bedrängen die Redaktion der Zeitung "Guardian" und lassen Festplatten und Computer mit Dokumenten von Edward Snowden zertrümmern. Was ist der Sinn hinter der staatlich beaufsichtigten Aktion und warum hat sich der Chefredakteur darauf eingelassen?

Von Oliver Klasen

Alan Rusbridger, Chefredakteur des britischen Guardian, tendiert nicht zu großspurigen Übertreibungen. Es ist eher ein Mensch der feingeistigen Sorte; einer, der den Langmut besitzt, 18 Monate lang zu üben, bis er eine irrsinnig schwierige Chopin-Ballade auf dem Klavier meistern kann. Jemand, der nicht unüberlegt vorprescht, sondern seine Worte sorgsam abwägt.

Deshalb nennt Rusbridger das, was sich vor einigen Wochen in den Redaktionsräumen am Londoner Kings Place abgespielt hat, in britischem Understatement "einen der bizarreren Momente in der langen Geschichte des Guardian". Zwei Sicherheitsexperten des britischen Geheimdienstes GCHQ seien in der Redaktion gewesen und man sei gemeinsam in den Keller des Gebäudes gegangen. Dort hätten sich die Geheimdienstler persönlich davon überzeugt, dass Festplatten und sogar ein kompletter Apple-Rechner zertrümmert wurden. "Jetzt können wir die schwarzen Helikopter abziehen", soll einer der Geheimdienstler noch gewitzelt haben, als "wir das aufkehrten, was vom Macbook Pro noch übrig war", wie Rusbridger schreibt.

Ziel der geheimdienstlich überwachten Zerstörungsaktion waren brisante Dokumente des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden, die dieser dem Guardian zugespielt hatte. Seit Wochen enthüllt die Zeitung immer neue Details über die gigantischen Überwachungsaktivitäten US-amerikanischer und britischer Geheimdienste. Die entscheidende Rolle übernimmt dabei der in Brasilien ansässige Guardian-Reporter Glenn Greenwald, der in direktem Kontakt mit Snowden steht.

Die Regierung in London schritt ein, so Rusbridgers, nachdem das Blatt auf Basis von Greenwalds Recherchen und Snowdens Akten Anfang Juni erste Artikel über die NSA-Spähpraktiken veröffentlicht hatte. Was dann folgte, beschreibt der Guardian-Chef als eine beispiellose Einschüchterungsaktion: Er sei von "einem sehr hochrangigen Regierungsvertreter", kontaktiert worden. Bei zwei Treffen habe der Mann "die Herausgabe oder Zerstörung von allem Material, an dem wir arbeiten" verlangt.

Nummer 10 war eingeweiht

Später seien weitere Mitarbeiter aus dem Regierungsapparat aufgetaucht, außerdem habe es Telefonanrufe gegeben. Die Botschaft sei immer die gleiche gewesen: "Ihr hattet euren Spaß. Jetzt wollen wir das Material zurück." Die Regierung habe andernfalls mit juristischen Konsequenzen gedroht. Rusbridger sei zu verstehen gegeben worden, dass "einige Vertreter in Whitehall" (dem britischen Regierungsviertel, Anm. d. Red.) sich auch noch "weit drakonischere Maßnahmen" vorstellen könnten.

Offenbar wollte die britische Regierung nicht nur die Herausgabe des Snowden-Materials erzwingen, sondern auch eine Berichterstattung schon im Vorfeld unterbinden - und das von höchster Stelle: In einem Interview mit der BBC sagte Rusbridger, dass "Number 10" in die Aktion involviert gewesen sei. Downing Street Nr. 10 ist der Amtssitz des britischen Premierministers David Cameron.

Von dort gab es am Dienstag keine Stellungnahme. Zum Fall Snowden liegt nur ein allgemeines Statement des Innenministeriums vor, das sich vor allem auf den Fall von David Miranda bezieht, den Lebenspartner von Greenwald, der am Sonntag neun Stunden lang am Londoner Flughafen Heathrow festgehalten wurde: "Die Regierung und die Polizei haben die Pflicht, die Öffentlichkeit und die nationale Sicherheit zu schützen. Wenn die Polizei glaubt, dass jemand in Besitz von zuvor gestohlenen, hochgeheimen Informationen ist, die Terrorismus begünstigen könnten, dann muss sie handeln und das Recht gibt ihr den Rahmen vor, in dem sie das tun kann", heißt es darin.

Auswärtiges Amt verweigert Stellungnahme

Auch die deutsche Regierung hat sich bisher nicht zum Vorgehen der britischen Behörden gegen den Guardian geäußert. Markus Lönning (FDP), der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, hat die Schilderungen in Rusbridgers Text auf Twitter zwar als "zutiefst beunruhigend" bezeichnet. Eine offizielle Stellungnahme will das Auswärtige Amt aber nicht abgeben. Eine Sprecherin verweist gegenüber Süddeutsche.de darauf, dass es sich um eine rein britische Angelegenheit handele.

Politiker der deutschen Oppositionsparteien halten sich erwartungsgemäß nicht zurück: "Das Vorgehen des britischen Geheimdienstes ist ein massiver Angriff auf die Pressefreiheit in Großbritannien", sagte die medienpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Tabea Rößner. Die Bundesregierung und die EU-Kommission dürften angesichts der Vorfälle nicht schweigen.

Die "Zerstörung von Festplatten macht erneut deutlich, dass die Geheimdienste außer Kontrolle geraten sind", sagte der Linke-Abgeordnete Steffen Bockhahn, Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG), das für die Überprüfung der Geheimdienste zuständig ist. Bockhahn appelliert an die Bundesregierung, die Zusammenarbeit der deutschen Geheimdienste mit den britischen und US-Behörden auszusetzen.

Snowden könnte der letzte Informant gewesen sein, der sich mit brisanten Informationen an die Öffentlichkeit traut, fürchtet der SPD-Medienpolitiker Siegmund Ehrmann. Sollten die Berichte über die umfassende Kommunikationsüberwachung durch den US-Geheimdienst NSA und die britische GCHQ zutreffen, dann gebe es "bei der elektronischen Kommunikation keinen Informantenschutz mehr", sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete.

"Sinnloser Fall vom Symbolpolitik"

Auch der Deutsche Journalistenverband kritisiert das Vorgehen britischer Behörden gegen die Zeitung: "Die Schikanen gegen den Guardian sind mit der Pressefreiheit nicht vereinbar", sagte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken. Es sei nicht hinnehmbar, dass britische Behörden weitere Enthüllungen über Ausspähungen und Datenmissbrauch offenbar mit Methoden verhindern wollten, wie sie aus Spionagethrillern bekannt seien.

"Die millionenfachen Überwachungen von Telekommunikationsdaten durch US-amerikanische und britische Geheimdienste betreffen alle Bürger. Deshalb ist es die Aufgabe der Journalistinnen und Journalisten, darüber kritisch zu berichten. Wenn der Guardian über Informationen verfügt, gehören sie an die Öffentlichkeit und nicht in die Archive der Geheimdienste", sagte Konken.

Einen schockierenden Eingriff in die Pressefreiheit - so nennt die Organisation "Reporter ohne Grenzen" das Verhalten der britischen Sicherheitsbehörden. Dass der Geheimdienst GCHQ den Chefredakteur der renommiertesten Zeitung des Landes zwinge, zugespieltes Material zu vernichten, sei erschütternd, sagte Vorstandsmitglied Michael Rediske in Berlin. Es sei aber unverständlich, warum der Guardian-Chefredakteur der Erpressung nachgegeben habe, ohne die Gerichte anzurufen und sofort an die Öffentlichkeit zu gehen.

Rusbridger gab auf diese Frage am Dienstag in mehreren Interviews eine einfache Antwort. Er sei bereit gewesen, die Festplatten und den Computer zu zerstören, weil das Material mehrfach verfügbar gewesen sei. "Ich erklärte, dass es andere Kopien gebe, die sich nicht in Großbritannien befänden", sagte Rusbridger in dem Interview, "und ich verstehe nicht den Sinn darin, ein Exemplar zu zerstören". Als die Geheimdienstler allerdings darauf bestanden hätten, habe er "mit großer Freude das in London befindliche Material zerstört." Ohnehin sei das Vorgehen der GCHQ-Leute ein "besonders sinnloser Fall von Symbolpolitik", der davon zeuge, dass die Geheimdienstler offenbar "nichts vom digitalen Zeitalter" verstünden.

Weiter berichten - nur nicht mehr von London aus

Natürlich hätte er gegen die rabiate Vorgehensweise vor Gericht gehen können, argumentiert Rusbridger, doch das hätte möglicherweise über ein Jahr gedauert und in dieser Zeit wäre es dem Guardian nicht erlaubt gewesen, über den Fall zu berichten.

Die Konsequenz, die der Guardian-Chef nun zieht, ist, die Berichterstattung über die Snowden-Enthüllungen örtlich zu verlagern. "Direkt ausgedrückt, wir müssen unsere Berichterstattung nicht von London aus führen", so Rusbridger. "Ist ihnen aufgefallen, dass Greenwald in Brasilien lebt?"

Großbritannien brauche dringend eine Debatte über die staatliche gelenkte Überwachung. Selbst US-Präsident Barack Obama, in dessen Amtszeit die Spähaktivitäten der Dienste massiv ausgeweitet wurden, habe mittlerweile erkannt, dass eine Korrektur zwingend nötig sei. Die USA hätten bei all ihren Problemen mit Whistleblowern immerhin die Pressefreiheit als Grundrecht in der Verfassung verankert, im Gegensatz zu Großbritannien, wo es keine schriftlich kodifizierte Verfassung gibt. Und in Europa, also auf dem europäischen Festland, sei man ohnehin weiter in der Diskussion. Die Berichterstattung über den Fall Snowden bedeute "sehr viele Flugreisen für die Mitarbeiter, um persönliche Treffen wahrzunehmen. Bald werden wir wieder bei Bleistift und Papier angelangt sein", schreibt Rusbridger.

Eine Perspektive, die sich für den kritischen Journalismus im 21. Jahrhundert wohl niemand ernsthaft wünschen kann.

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