NPD-Kundgebung in Marzahn-Hellersdorf:"Da herrscht Krieg"

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NPD-Anhänger brüllen "Frei, Sozial und National" - mancher zeigt auch den Hitlergruß (der im Bild zu sehende Mann wurde deshalb von der Polizei in Gewahrsam genommen) (Foto: AFP)

In Marzahn-Hellersdorf haben nicht mehr nur die Flüchtlinge Angst, sondern auch die Anwohner. Grund ist eine NPD-Kundgebung. Die Lage im Bezirk scheint aussichtslos zu sein. Dabei gibt es auch gute Nachrichten.

Von Antonie Rietzschel, Berlin

Ein Kinderchor singt mit hohen Stimmen "Du bist vom selben Stern" der Pop-Band Ich+Ich, langbeinige Mädchen in knappen Röckchen wedeln im Takt von einem Song von Jennifer Lopez mit ihren grünen Pompons, der Geruch von Bratwurst liegt in der Luft. Es ist Stadtteilfest in Marzahn-Hellersdorf. Der Bezirk kämpft am Samstagnachmittag unter blauem Himmel um ein Stück Normalität. Doch hier im Osten Berlin ist nichts normal, das zeigt sich allein schon an der geringen Besucherzahl des sonst sehr beliebten Fests. Viele hätten Angst, besonders um ihre Kinder und seien deswegen zuhause geblieben, sagt ein Besucher.

Der Grund für die Angst ist nur wenige Meter entfernt, auf dem Alice-Salomon-Platz. Dort stehen an diesem Nachmittag 150 NPD-Anhänger. Sie brüllen "Frei, Sozial und National" und zeigen den Mittelfinger Richtung andere Straßenseite. Dort stehen 700 Gegendemonstranten. "Haut ab", schreien die. "Kommt doch rüber", bellt es zurück. 400 Polizisten sollen verhindern, dass es dazu kommt. Die Stimmung ist zu Beginn der Kundgebung aggressiv.

Die Bundes-NPD hat den aufgeheizten Streit um ein Asylbewerberheim in Marzahn-Hellersdorf zum Anlass genommen, während ihrer Deutschlandtour in dem Bezirk Halt zu machen. Bereits vergangenen Dienstag hatte der Berliner Landesverband auf dem Platz demonstriert. Gerade mal 30 NPD-Anhänger hatten sich damals zusammengefunden. Sie wurden von 400 Demonstranten umzingelt. Einen Tag später hielt die Rechtspopulistische Partei Pro Deutschland eine Kundgebung ab. Die Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan, von denen seit Montag mittlerweile ungefähr 50 eingezogen sind, halten sich versteckt.

Medienvertreter ziehen durchs Wohngebiet, um Anwohner zu befragen. Vor laufenden Kameras, rufen einige, dass man nicht alles Elend aufnehmen könne. Gleichzeitig fühlen sie sich aber von den Rechten missbraucht. "Jetzt heißt es, wir wären alle rechts."Viele müssten sich auf Arbeit dafür rechtfertigen, dass sie hier wohnen, sagt ein Angehöriger von Anwohnern. Die Lage in Marzahn-Hellersdorf ist für Alteingesessene und Flüchtlinge gleichermaßen aussichtslos, die Hoffnung doch noch zusammenzukommen ist gering - so scheint es zumindest.

Es gibt auch gute Nachrichten

Dabei gibt es bei all dem Streit auch gute Nachrichten: "Uns hat eine Welle der Solidarität erreicht", sagt Michael von der Initiative "Hellersdorf hilft". Seinen kompletten Namen will er nicht nennen. Sie hätten aus dem Wohngebiet aber auch aus ganz Deutschland Hilfsangebote bekommen - Zahnärzte bieten Behandlungen an, Dolmetscher Übersetzungshilfe, so mancher will mit Kuchen und Blumen die Asylbewerber begrüßen. Als sie über ihre Facebookseite im Namen des Roten Kreuzes nach einer Babyschale für den Transport von Flüchtlingen nach Marzahn-Hellersdorf fragten, sei der Eintrag innerhalb von einer halben Stunde 32 mal geteilt worden. Michael und die anderen 19 Freiwilligen, viele davon auch Anwohner, koordinieren in Absprache mit dem Bezirksamt die Hilfe für die Asylbewerber.

Am Montag wird der Flüchtlingsrat in das Heim gehen und nachfragen, was wirklich gebraucht wird. Die Informationen werden anschließend an "Hellersdorf hilft" weitergegeben. Vom Bezirk bekommen sie Lagerräume zur Verfügung gestellt, sowie einige Büroräume. Auch die Aktivisten der Mahnwache, die bis vor wenigen Tagen noch vor dem Asylbewerberheim ausgeharrt hatten, haben nun eine Wohnung zugeteilt bekommen, von der aus sie ihre Arbeit koordinieren können. Auch sie sammeln Hilfsangebote und sprechen sich mit "Hellersdorf hilft" ab.

Derzeit arbeiten Michael und die anderen mithilfe von Dolmetschern an einem Flyer, der den Flüchtlingen die Situation vor Ort erklären soll. "Die wissen gar nicht, wer für oder wer gegen sie ist", sagt Luisa, die sich ebenfalls in der Initiative engagiert. Am Montag hatte einer der Flüchtlinge einen Antifa-Aktivisten angeschrien. Er habe in der Situation die Kontrolle verloren, sagte er in einem Interview mit der Tageszeitung. Anschließend ist er zurück gegangen in die zentrale Auffangstelle für Flüchtlinge in Berlin-Spandau. Mit ihm verließen fünf weitere Männer die Unterkunft. Darunter auch Hamad, der seinen richtigen Namen nicht nennen will. Er steht am Freitagmorgen vor dem Maschendrahtzaun, der das Gelände der zentralen Auffangstelle umgibt. Hinter ihm sitzen in zwei Wagen des Roten Kreuzes ein paar wenige Flüchtlinge. Sie sollen nach Marzahn-Hellersdorf verlegt werden. 28 werden insgesamt an diesem Tag abtransportiert. Doch Hamad will auf keinen Fall zurück. "Lieber gehe ich ins Gefängnis", sagt er.

"Was passiert mit uns, wenn die weg sind?"

Als er am Montag in der Unterkunft angekommen sei, habe er die Menschen gesehen, die Transparente hoch hielten. Er konnte nicht lesen, was darauf stand. Und dann die vielen Polizisten. "Was passiert mit uns, wenn die weg sind?", fragt er. "Da herrscht Krieg, der ist viel komplizierter als bei uns Zuhause." Hamad und die fünf Männer können an diesem Tag ihren erneuten Abtransport nach Marzahn-Hellersdorf verhindern. "Die Flüchtlinge haben unser Angebot auf kostenlosen Transport abgelehnt", sagt Manfred Nowak, Vorsitzender der Arbeiterwohlfart in Berlin-Mitte, die die Auffangstelle in Spandau betreibt. Für ihn ist es eine eine schwierige Situation. Neue Flüchtlinge sollen kommen und es ist so schon kaum Platz. "Doch wir können sie nicht zwingen zu gehen. Schon gar nicht bei der aktuellen Situation", sagt er. Michael glaubt, dass sich die Situation in Marzahn-Hellersdorf bald wieder beruhigen wird. "Spätestens bis nach den Bundestagswahlen", sagt er. Die NPD werde sicher nicht noch ein drittes Mal auflaufen.

Asylstreit in Berlin
:Empfang mit Hitlergruß

Die Fenster sind geschlossen, niemand ist zu sehen. Die Bewohner eines Asylbewerberheims in Marzahn-Hellersdorf halten sich versteckt. Sie haben Angst vor Anwohnern und Rechtsextremen, die Stimmung gegen sie machen. Doch die Eskalation in Berlin hat dafür gesorgt, dass sich nun auch die Bundespolitik in das Thema Asyl einschaltet.

Von Antonie Rietzschel, Berlin

Am Alice-Salomon-Platz hat sich die Lage am Samstagabend schließlich entspannt. Mehrmals hatten Gegendemonstranten versucht zu den NPD-Anhängern durchzubrechen. Die Polizei setzte Pfefferspray ein, es gab mehrere Festnahmen. Doch schließlich zogen die NPD-Anhänger mit ihrer Lautsprecheranlage, Plakaten und Flaggen wieder ab.

Auf der Bühne des Stadtteilfestes probt eine Sängerin, die Lieder der DDR-Kultband Silly covert. Vor der Kulisse der hinter den Wohnblocks untergehenden Sonne singt sie mit rauer Stimme "Batallion d`amour".

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