"The Look of Love" im Kino:Nacktheit ist sein Geschäft

Film "The Look of Love" im Kino

Regisseur Michael Winterbottom versucht sich auch in "The Look of Love" wieder als Chronist der britischen Popkultur.

(Foto: Alpenrepublik GmbH)

London in den Sechzigern: Paul Raymond, der britische Hugh Hefner, feiert seinen exzessiven Lebensstil. In dem Biopic "The Look of Love" zeichnet Regisseur Michael Winterbottom die abenteuerliche Karriere des Playboys nach. Eine quicklebendige Zeitgeist-Revue zwischen Exzess und Melancholie.

Von Rainer Gansera

Der fiebrige Wellengang von Rausch und Ernüchterung prägt Michael Winterbottoms Filme: ein Rhythmus aus Exzess und Melancholie, seismografisch registriert mit dem Anspruch, den Nerv der Zeit zu treffen. Winterbottom ist derzeit der faszinierendste Filmemacher Großbritanniens. Als "britischen Steven Soderbergh" hat man ihn bezeichnet, weil er in verschiedensten Genres arbeitet, zwischen aufwendigen Produktionen, die populären Mustern folgen, mit eigenwillig stilisierten, persönlichen Projekten überrascht.

Die Galerie seiner Arbeiten umfasst Western, Noir-Krimis, sozialrealistische Studien, aber auch die beklemmenden Science-Fiction-Vision "Code 46" und die intime, tabubrecherisch in Szene gesetzte Liebesgeschichte "Nine Songs".

Ein atemloser Geschichtenerzähler, der von politischen Brennpunkten magnetisch angezogen wird: Sarajewo im Bürgerkrieg, Guantanamo, sein "In This World", 2003 mit dem Goldenen Berlinale-Bären ausgezeichnet, begleitete afghanische Flüchtlinge von Pakistan nach London.

Ein Workaholic, der sich in seinen stärksten Arbeiten als virtuoser Chronist britischer Popkultur erweist. Mit "24-Hour Party People", 2002, stürzte er sich in die Musikszene Manchesters der Siebziger und Achtziger. Steve Coogan als fulminanter Impresario, der das Factory-Label begründet und Bands wie Joy Division zum Durchbruch verhilft.

Moderne König-Midas-Story

In vielen Momenten zeigt sich sein neuer Film "The Look of Love" als Pendant zu "24-Hour Party People". Wieder sehen wir den grandiosen Steve Coogan als großen Zampano, wieder entfaltet sich über mehrere Jahrzehnte hinweg eine quicklebendige Zeitgeist-Revue, in deren Zentrum sich das Karussell eines exzessiven Lebensstils dreht.

Porträtiert wird die abenteuerliche Karriere des Paul Raymond (1923-2008), der sich mit exklusiven Nachtclubs, trendy Sexshows und Soho-Immobilien ein Imperium schuf, das ihn 1992 zum reichsten Mann Englands machte. Ein skandalumwitterter Parvenü, dessen Lebensgeschichte Winterbottom als moderne König-Midas-Story präsentiert. Alles, was Raymond unternehmerisch berührt, wird zu Gold, aber die Menschen, die er liebt, wenden sich ab, entgleiten ihm. Steile Erfolgsgeschichte und bittere Tragik.

Zu Beginn des in Rückblenden aufgerollten Biopics zeigt sich Raymond als Missionar einer neuen Libertinage. Er entwendet der Prüderie der Fünfziger ein Feigenblatt nach dem anderen. Nacktheit ist sein Geschäft: Revuegirls, nur mit Federboa und Perlenkollier bekleidet. Wenn ihm im Gerichtssaal vorgehalten wird, er sei "König dieser anrüchigen Schlüsselloch-Shows", entgegnet er: "Ich sehe mich eher als König der Glamour-Shows!" Er lässt jede Menge Champagnerkorken knallen und zelebriert sein Möchte-gern-Upperclass-Image.

Die britische Antwort auf Hugh Hefner

In den knallbunten Sechzigern des "Swingin' London" reüssiert er als Verleger von Hochglanz-Männermagazinen. Die britische Antwort auf Hugh Hefner. Rücksichtlos baut er sein Imperium aus, stößt alle vor den Kopf, verliert die drei Frauen, die ihn erden könnten: Ehefrau, Geliebte und Tochter Debbie, seine Prinzessin, die 1992 an einer Überdosis Kokain stirbt.

Im Triptychon der Frauenfiguren spiegeln sich die drei Akte von Aufstieg, Höhenflug und Fall des "Königs von Soho". Einmal flaniert er mit der zehnjährigen Debbie durch die Straßen Sohos. "Gehört dir dieses Haus auch, Daddy?", fragt die Kleine. Ein stolzes Ja, und dazu der Merksatz: "Nichts verschafft einem mehr Respekt als der Besitz von Immobilien!"

All dies ist temporeich, mit ätzendem Witz und brillanten Darstellern erzählt, und doch fehlt "The Look of Love" der funkensprühende Elan von "24-Hour Party People". Bei der Manchester-Pop-Historie tummelte sich Winterbottom in einer Welt, die er liebt und aus seiner Jugendzeit kennt. Zum Erotik-Business-Mogul mit seinem protzigen Kitsch und dem "Champagner für alle"-Mantra aber bleibt er auf Distanz. So entsteht raffinierte Nostalgie-Coolness, wenn sich die Geschichte vom großen Exzess, über den sich der Schatten existenzieller Tristesse legt, kaleidoskopisch aufblättert.

The Look of Love, GB/USA 2013 - Regie: Michael Winterbottom. Buch: Matt Greenhalgh. Kamera: Hubert Taczanowski. Szenenbild: Jacqueline Abrahams. Mit: Steve Coogan, Anna Friel, Tamsin Egerton, Imogen Poots. Alpenrepublik, 99 Minuten.

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